eine faszinierende und merkwürdig passive Odyssee voller Hoffnung
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, "Was man sieht, wenn man über das Meer blickt", aber Fabio Gedas Roman hat mir gezeigt, wie leicht man sich verlieren kann, wie einfach es ist, verloren zu gehen und wie schwierig es ist, den Selbstverlust wieder auszugleichen. Gedas Buch ist beschreibt die faszinierende, seltsam passive, fast biblische Odyssee des Vertretungskunstlehrers Andrea, dessen Leben, nachdem seine Frau eine Fehlgeburt erlitten hat, aus den Fugen gerät. Auf der Suche nach Freiheit, der eigenen Vergangenheit und einem anderen Leben als dem, das ist, reist Andrea nach New York und strandet dort, lässt sich treiben und sich geschehen. Eindrucksvoll schildert Geda den Weg von Andrea durch verschiedene Phasen und eine Reise, die scheinbar so wenig und tatsächlich doch so viel mit Entscheidungen zu tun hat, mit Gewissen und Schuld, mit Wünschen und Zielen. Auf berührende Art kommt dieser Roman, der im Rückblick wie eine ausgedehnte Allegorie auf das Gleichnis des verlorenen Sohns erscheint, welches auch in Form von Rembrandts Gemälde als zentrales Motiv im Text dient, zu dem Schluss, dass der Mensch nicht ohne andere Menschen existieren kann, dass die meisten Menschen gut sind und Schutz bieten und dass man sich nur mit der Hilfe anderer retten kann - der Rettungsgedanke, allerdings in der Form der Selbstrettung ist im italienischen Originaltitel enthalten (wie es zu dem deutschen Titel kam würde mich tatsächlich interessieren. Ich persönlich habe ihn ganz spontan als Variation des deutschen sprochwörtlichen "Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite" assoziiert, musste aber auch an Mariana Lekys "Was man von hier aus sehen kann" denken). Auch wenn mein Glaube an die Realitätsnähe der Handlungsführung das ein oder andere Mal fast bis zum Äußersten getrieben wurde, hat mich der Roman immer wieder abgeholt, habe ich die Momente, die ich für nicht möglich oder des Guten zu viel hielt, mit einem Schulterzucken hingenommen - zu faszinierend, zu spannend, zu fesselnd war Andreas Geschichte, als dass mich diese Momente des ungläubigen Augenrollens gestört hätten. Andreas Passivität, die dadurch verstärkt wird, dass die wörtliche Rede nicht durch Zeichensetzung gekennzeichnet wird, war auf unheimlich Art nachvollziehbar, auch wenn sein Handeln oder besser Nichthandeln sehr verstörend war. Der Roman transportiert auf sehr reduzierte Art Trauer, Verlust, Rastlosigkeit und das umfassende Gefühl des Verlorenseins in dieser Welt und diesem Leben, aber vor allem auch einen überwältigenden Eindruck von Hoffnung und Vertrauen in das Gute und behandelt seinen Protagonisten mit sehr viel zugewandter, liebevoller Zärtlichkeit. Sprachlich ist der Roman gelungen, teilweise fast minimalistisch, glänzt er aber immer wieder mit wunderschönen, ausdrucksstarken Beschreibungen. Für mich war der lange Weg in Andreas neue Welt eine bereichernde und tief berührende Reise, die mich noch etwas beschäftigen wird. Ein sanftes, bereicherndes und lohnendes Leseerlebnis, wenn man gewillt ist, über die allzu konstruierten Momente hinwegzusehen.