Besprechung vom 08.11.2021
Robin Hood auf der Alm
Über das Ferkelschlachten und die Agrarindustrie
Florian Klenk ist so etwas wie der Heldentenor des österreichischen Zeitungsjournalismus. Seine Bühne ist die linksalternative Wochenzeitung Falter, deren Chefredakteur er ist. Doch zuweilen tritt er auch solo auf, aktuell als Buchautor. In "Bauer und Bobo" vermarktet er gekonnt und, wie es sich für einen Starjournalisten gehört, gut geschrieben und kurzweilig erzählt eigenes Erleben. Dabei ist er der besserwisserische "Bobo" aus der gut situierten Wiener Oberschicht.
Die passend in bekenntnishafter Ich-Form gehaltene Geschichte, die Falter-Leser schon kennen und die im Frühjahr auch ins Kino kommt, ist schnell erzählt: Der streitlustige Jurist Klenk legt sich im Streit um ein Urteil, das Angehörigen einer von einer Kuh totgetrampelten Frau Schadenersatz zuspricht, mit der Bauernlobby an. Auf Facebook wird er von einem besonders verhöhnt. Es kommt, wie es kommen muss. Klenk redet mit ihm und fährt auf ein mehrtägiges Praktikum auf die Alm. Für Klenk wird es zu einer Art Damaskuserlebnis.
Aus der teilnehmenden Beobachtung auf der Alm mit schlechtem Netzempfang, Facebook-affinem Wutbauern und dessen vorzüglich kochender Mutter erwächst eine Freundschaft. Das Erlebte führt zur Rückbesinnung auf die eigene Familiengeschichte. Stammt doch der Vater des Autors vom Bauernhof aus einem Dorf, das längst nicht so aussieht wie früher. Doch darf der alte Herr sich in eingestreuten Interviewpassagen erinnern, wie das war, als Schweinen nicht die Schwänze kupiert wurden, sie nicht im eigenen Kot auf Spaltenböden vegetierten, kurz, als das Tier noch Kreatur und nicht vor allem Produkt war. Alles vielfach erzählt, beschrieben und analysiert.
Aber Klenks neuer Bauern-Freund ist tiefer in die unaufhaltsam mahlenden Mühlen der Agrarindustrie verstrickt als gedacht. Seine wirtschaftliche Existenz steht auf dem Spiel. "Hier ging es nicht um einen einzelnen Bauern in Not, hier ging es um die Systemfrage." Doch wo die Gefahr so groß, ist die Rettung nicht fern. Klenk, der "auf die Butterseite des Lebens" gefallene Großstädter, aktiviert sein Netzwerk aus Rechtsgelehrten und PR-Profis, stellt eine Spendenseite ins World Wide Web und wird vom Erfolg überwältigt. Mehr als 416 811,25 Euro kommen binnen weniger Stunden von 12 829 Spendern zusammen. Der Bauer ist gerettet. Die Raiffeisenbank, die in diesem Robin-Hood-Stück den Sheriff von Nottingham spielen darf, ist kaltgestellt. Aber für wie lange? Und wen rettet Klenk als Nächstes? ANDREAS MIHM
Florian Klenk: Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2021, 160 Seiten
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