Im Bild, das sich Europäer von ihren Nachbarn machen, finden sich noch
immer zahlreiche imagologische Altlasten. Sie stammen nicht nur aus historischen
Kontakten, sondern öfter noch aus einem altüberlieferten literarischen
und ethnographischen Fundus. Auf der um 1700 entstandenen sog. Völkertafel
sind die Eigenschaften, die den vermeintlichen Nationalcharakter der Spanier,
Franzosen, Deutschen, Ungarn, Russen etc. konstituieren, in ein penibel
geordnetes Schema gebracht. Davon ausgehend werden in diesem Essay die
wichtigsten Quellen für solche Vorstellungen von der Antike bis ins 18.
Jahrhundert hinein aufgesucht. Es zeigt sich dabei, was bisher kaum beachtet
worden ist, daß ein 'Nationalcharakter' sehr oft das Ergebnis einer ethnischen
oder nationalen Überprägung von traditionellen Typen menschlichen Verhaltens,
wie z.B. den mittelalterlichen Lasterkatalogen oder den Temperaments- und
Standestypen ist. Neben einer eingehenderen Analyse des Charakters des
Deutschen und des Engländers wird auch dem Bild der Frau, das einer doppelten
Schematisierung nach Geschlecht und nach Nationalität, unterliegt, ein
Kapitel gewidmet.