Eine topografische Zeitreise durch Berlin
Die Stadt Berlin rückte im 20. Jahrhundert nur allzu oft ins Zentrum des Geschehens. Berlin war eine monarchische, eine demokratische, eine faschistische und eine sozialistische Hauptstadt. Von hier aus wurden zwei Weltkriege in die Welt getragen, die mit großer Wucht auf die Stadt zurückfielen. In Berlin erlebte der Kalte Krieg seine Zuspitzung, bevor er hier sein symbolisches Ende fand. Die Stadt stand im Mittelpunkt der Weltgeschichte wie Rom vor zweitausend Jahren. Deshalb gilt Berlin als das Rom der Zeitgeschichte.
Hanno Hochmuth nähert sich der Geschichte und der Gegenwart Berlins auf topografische und fotografische Weise. Ausgehend von populären Zuschreibungen der Stadt begibt er sich an 51 historische Orte und erzählt so die Geschichte Berlins im 20. Jahrhundert.
»Mit diesem Buch durch Berlin und seine Geschichte zu gehen, ist nicht nur faszinierend und bewusstseinserweiternd, sondern auch ein großes Abenteuer. « Marion Brasch
»Ein elegant gegliedertes und geschriebenes, klug wägendes Buch, das die Zeitgeschichte Berlins auf vielen spannenden Ebenen nahebringt, ohne belehrend zu wirken. « Christoph Kreutzmüller
Besprechung vom 04.09.2024
Im Zentrum des Geschehens
Grün und Rot am Potsdamer Platz: Hanno Hochmuth durchquert mit stilistischer Prägnanz die jüngere Geschichte Berlins.
Seit den Neunzigerjahren wurde Berlin in Ausstellungen und Büchern mit anderen Metropolen des zwanzigsten Jahrhunderts verglichen: Berlin und Moskau, Berlin und Paris oder Berlin und New York im Werk von George Grosz. Vergleiche mit historischen Metropolen waren nicht darunter. Der Untertitel von Hanno Hochmuths Berlin-Buch "Das Rom der Zeitgeschichte" deutet auf einen solchen Versuch hin, doch bleibt der Verfasser auf dem Teppich der Zeitgeschichte und wechselt nicht wie Jürgen Osterhammel souverän zwischen historischen Zeiten und Räumen. Dafür ist die Leitmetapher, die offenbar vom ehemaligen Kulturstaatssekretär André Schmitz stammt, auch zu unspezifisch.
In der Tat bringt Hochmuth den Rom-Vergleich nur am Anfang und Ende des Buches in allgemeiner Form in Anschlag: Berlin als Ort "mythischer Zuschreibungen", als "einzigartige Geschichtslandschaft" und als "Zentrum des Geschehens" im zwanzigsten Jahrhundert. Die Frage des städtischen Mythos, der für die Serie "Babylon Berlin" erkenntnisfördernd ist, spielt im Verlauf der Darstellung keine zentrale Rolle, da Filme und die erzählende Literatur nur eine untergeordnete Bedeutung haben (Gedichte, Dramen und Werke der bildenden Kunst werden sogar ganz ausgespart). Und als eine an der römischen Antike orientierte Architekturlandschaft wird die Stadt - anders als in Horst Bredekamps Buch "Berlin am Mittelmeer" (2018) - nur in wenigen Teilkapiteln behandelt.
In der Darstellung der Zeitgeschichte liegt die Stärke von Hochmuths Buch. Zweifellos hat Berlin hier mehr zu bieten als viele Metropolen der Gegenwart, auch wenn dies eher für die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts gilt, wie einige Superlative deutlich werden lassen, auf die der Verfasser genauer eingeht: erste deutsche Kolonialausstellung 1896; Inbetriebnahme der ersten Verkehrsampel am Potsdamer Platz 1924; größte Partymetropole der Welt in den Zwanziger- und den Neunzigerjahren; Karstadt am Hermannplatz als modernstes Warenhaus Europas am Ende der Zwanzigerjahre; das 1942 fertiggestellte Flughafengebäude in Tempelhof als weltweit größtes Bauwerk; ganz zu schweigen von den Verbrechen der Nationalsozialisten, die Berlin als "Germania" zur Welthauptstadt machen wollten.
Wie aber bewältigt man eine solche Masse an Fakten, will man nicht ein umfangreiches Werk von tausend Seiten veröffentlichen, wie dies Jens Bisky in historischer Perspektive 2019 tat? Hochmuth hat die Herausforderung elegant gelöst, indem er sich auf den Zusammenhang von Architektur, Politik und Kultur konzentriert und dafür siebzehn thematische Bereiche ausgewählt hat, die als Teile für das Ganze stehen, darunter "Das steinerne Berlin", "Das rote Berlin", "Das jüdische Berlin" und "Die Frontstadt". Die übergeordneten Themen werden jeweils an drei gewählten Beispielen veranschaulicht. Sie lassen deutlich werden, dass der Verfasser kenntnisreich über sein Material verfügt.
Unzureichend, zumal für einen Geschichtswissenschaftler, der am Leibniz-Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam arbeitet, ist allerdings die Auseinandersetzung mit der vorliegenden Literatur, die überwiegend aus Zitatnachweisen besteht. Auch die verwendeten Fotos bilden nur die Gegenwart, nicht aber die erläuterten Bauten, Straßen und Plätze der Vergangenheit ab, obwohl umfangreiches Bildmaterial vorliegt, das Vergleiche zwischen den historischen Zeitschichten möglich gemacht hätte. Auf der anderen Seite unterscheidet sich Hochmuths Darstellung von vielen umfangreichen und bebilderten Werken durch stilistische Prägnanz, die die Lektüre des Buches nicht nur für Berlin-Einsteiger, sondern auch für Berlin-Kenner zu einem Gewinn werden lässt. DETLEV SCHÖTTKER
Hanno Hochmuth: "Berlin". Das Rom der Zeitgeschichte.
Mit Fotografien des Autors.
Ch. Links Verlag, Berlin 2024. 304 S., Abb., geb.
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