Bücher versandkostenfrei*100 Tage RückgaberechtAbholung in der Wunschfiliale
10% Rabatt11 auf Tonieboxen, Figuren & Zubehör mit dem Gutscheincode: TONIE10
Jetzt einlösen
mehr erfahren
product
cover

Talât Pascha

Gründer der modernen Türkei und Architekt des Völkermords an den Armeniern. Eine politische Biografie

(0 Bewertungen)15
480 Lesepunkte
Buch (gebunden)
Buch (gebunden)
48,00 €inkl. Mwst.
Zustellung: Di, 15.07. - Do, 17.07.
Sofort lieferbar
Versandkostenfrei
Bestellen & in Filiale abholen:
Empfehlen
Talât Pascha (1874-1921) stand in Istanbul einem aus Krisen hervorgegangenen, neuartigen jungtürkischen Einparteiregime vor, dessen radikale Politik das Zeitalter der Extreme, das Europa der Diktaturen, Weltkriege und Genozide, eröffnete. Es nahm 1913-1918 unter dem Einfluss des Ideologen Ziya Gökalp ein faschistisches Staats-, Gesellschafts- und Geschichtsverständnis vorweg und schuf einen zentralistischen Einparteistaat, der Minderheiten beseitigte und sich alles, auch die Religionen, autoritär unterzuordnen trachtete. Seiner gewaltsamen Bevölkerungspolitik fielen die osmanischen Christen, allen voran die Armenier, zum Opfer. Trotz der Weltkriegsniederlage bereitete Talât den Boden für die Kemalisten nach ihm, die fast alle seiner Partei angehört hatten. Dank deutscher Behörden fand er 1918 Zuflucht in Berlin, von wo er in Absprache mit Kemal Atatürk und den Bolschewiki für den fortgesetzten Krieg in Kleinasien agitierte, bevor er 1921 ermordet wurde. Nach ihrem Sieg und dem Vertrag von Lausanne (1923) leiteten Talâts Nachfolger eine ultranationalistische Modernisierung ein, mit der sie bei vielen Applaus ernteten - auch beim vormaligen deutschen Bündnispartner, dessen Diplomatie noch bis ins frühe 21. Jahrhundert den Völkermord an den Armeniern leugnete.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Einleitung


Teil I: Istanbul 1915. Ein Revolutionär an der Spitze eines Weltreichs

1 Vermählt mit einer grossen Sache
2 Auf den ersten Blick ein klarer Geist (April 1915)
3 Unter Druck, doch hochgestimmt: Vor dem Verbrechen, das die Nation neu begründet
4 Verlass auf Deutschland
5 «Das Volk ist der Garten, wir sind die Gärtner»
6 Revolutionäre «Staatskunst», imperial voreingenommen und brachial ein Prototyp
7 Ein nachosmanisches Jahrhundert überbrücken


Teil II: Rebellion der Patrioten. Gemeinsam gegen Sultan Abdulhamid II.

8 Aus Edirne im europäischen Teil der Türkei die 1870er-Jahre
9 Verbannt nach Saloniki
10 Verschwörung in Saloniki und Paris
11 Talâts Führerschaft auf dem Weg zur Revolution von 1908
12 Im Schatten von Dr. Nâz m und Dr. Bahaeddin S akir


Teil III: Ein Komitadschi und die Herausforderung des Parlamentarismus (1908 1911)

13 Der osmanische Frühling
14 Wider die Konterrevolution: Mehr Macht für das Zentralkomitee
15 Von verborgener zu halb öffentlicher Politik: Talât als Minister
16 Ernüchtert, beunruhigt, niedergeschlagen: Talâts Krise und die osmanische Zukunft
17 Ein neuer Freund: Ziya Gökalp, Prophet des messianischen Türkismus

Teil IV: Hinwendung zu Krieg und Parteidiktatur (1911 1914)

18 Krisen, Sturz und radikale Neuausrichtung des CUP
19 Kriegslustig, revanchistisch, risikobereit: Talât holt das CUP aus seiner Depression heraus
20 Der Putsch, Januar 1913
21 «Revolutionäre» an den Hebeln imperialer Macht
22 Edirne 1913: Initialisierung der Komiteevorherrschaft
23 Der Moment der Wahrheit: Die armenische Frage
24 Verhandlungen über von Europa unterstützte Reformen der Ostprovinzen
25 Bizarrer Frühling 1914: Reform und Frieden oder Krieg und Katastrophe?
26 Vertreibung der Rûm: Ein katastrophaler Erfolg


Teil V: Totaler Krieg, Zerstörung der Heimat, forcierter Aufbau der Nation

27 Krieg in Europa: Liquidation der orientalischen Frage?
28 Aus Liebe für Turan, nach Deutschlands Willen: Angriff statt Reform
29 Polarisierung und Neugestaltung des Ostens
30 Ja zu Krieg und Machtkonzentration: Talâts diktatorische Herrschaft
31 Auftrumpfen nach der Depression, dank Gallipoli
32 Heldentat? «Die armenische Frage existiert nicht mehr»
33 Die Bündelung antichristlicher Kräfte in den Ostprovinzen
34 Ausplünderung und Gleichschaltung, Ausrottung und nationaler Aufbau
35 «Sieger», «Noah», «Vater der Nation» die toxische Ausstrahlung einer schillernden Figur
36 Talât, die Juden und der Zionismus in Palästina


Teil VI: Triumph und Fall in Istanbul, Tod in Berlin und Nachleben in Ankara

37 Die «neue Türkei» von Grosswesir Talât Pascha
38 Vermessene Nationalrevolutionäre im Bund mit haltlosen Eliten Europas
39 Mit Deutschland gegen das wankende British Empire
40 Imperialismen, Utopien und Dystopien: Sykes-Picot, Balfour, Brest-Litowsk
41 Verdrängung in Istanbul und Wahrheit in Berlin Talâts Rücktritt
42 Den Kampf fortsetzen: Flucht nach Deutschland
43 Eine antiliberale Internationale von Revolutionären
44 Tod und Nachleben in Deutschland und der Türkei
45 Talâts langer dunkler Schatten

Epilog

Dank

Bibliografie
Archive
Veröffentlichte Quellen
Memoiren und Egodokumente
Ausgewählte Studien

Personenindex

Produktdetails

Erscheinungsdatum
31. Dezember 2020
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
440
Autor/Autorin
Hans-Lukas Kieser
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Abbildungen
23 SW-Abb., 6 Ktn.
Gewicht
898 g
Größe (L/B/H)
244/166/35 mm
ISBN
9783034015974

Portrait

Hans-Lukas Kieser

ist Geschichtsprofessor in Newcastle, Australien, und Titularprofessor an der Universität Zürich.

Pressestimmen

Besprechung vom 26.03.2021

Die Christen sah er als Gefahr
Ethnische Homogenität als Ziel: Hans-Lukas Kisers politische Biographie des Panturkisten Talât Pascha

Genozide haben ihren Klang. Mit Lilili-Trillern stachelten türkische und kurdische Musliminnen 1915/16 ihre Männer zu Raub und Mord an christlichen Armeniern an. Geplant von der osmanischen Regierung, geleitet von örtlichen Staatsvertretern, durchgeführt von Militärs und Zivilisten, stellt der Armeniergenozid den ersten großen Massenmord in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts dar. Und wie bei anderen Genoziden ging es nicht nur um Morden, sondern auch um die Bereicherung der Täter.

Hans-Lukas Kiesers kluge, sprachlich feine und nachdenkliche Biographie von Talât Pascha, dem Organisator des Genozids, verleiht der Ermordung von rund eineinhalb Millionen christlicher Armenier erstmals ein Gesicht. Talât war geprägt von der Krise des (Spät-)Osmanischen Reiches: christliche und muslimische Untertanen forderten Autonomie und Rechtsstaatlichkeit. Bei den Eliten wuchs die Furcht vor dem Zerfall des Reiches. Talâts Sozialisierung erfolgte in Geheimorganisationen reformorientierter radikaler Offiziere. 1908 stürzten diese Jungtürken den autoritär herrschenden Sultan Abdul Hamid, der den Panislamismus als Herrschaftsideologie mobilisiert hatte, um auch nichttürkische Muslime wie Albaner, Kurden und Araber an das Reich zu binden. 1908 bestand eine Chance, auch die vielen Millionen osmanischer Christen über einen parlamentarischen Rechtsstaat für das Reich zu gewinnen. Die Jungtürken aber etablierten eine Militärdiktatur. Als diese in den Jahren 1911/12 gegen Italien und die Balkanstaaten vernichtende Niederlagen erlitt, radikalisierte sich ihre Führung.

Das Schwanken zwischen revolutionärem Triumph und Jammer der Niederlage beeinflusste Talâts Denken. Hatte er einige Zeit mit Armeniern zusammengearbeitet, sah er bald in diesen insgesamt eine tödliche Bedrohung für das Ziel seiner Gruppe: ein ethnisch und religiös homogenes Anatolien als Heimstatt einer islamisch-türkischen Nation. Die Armenier lebten sowohl in den großen Städten wie Istanbul als auch im östlichen Anatolien. Seit 1894 hatte Sultan Abdul Hamid blutige Pogrome mit Zehntausenden Opfern inszeniert. 1909 war es in Südanatolien zu weiteren Massakern an Armeniern gekommen. Die israelischen Historiker Benny Morris and Dror Zeevi sprachen jüngst von einem dreißigjährigen muslimischen Genozid an den Christen Anatoliens, der 1894 begann und mit Tod, Vertreibung und Flucht der Opfer 1924 abgeschlossen wurde.

Die wirtschaftlich erfolgreichen armenischen Kaufleute und Freiberufler störten die muslimischen Eliten ebenso wie die Klagen der armenischen Bauern in Ostanatolien, die von türkischen und kurdischen Grundbesitzern und Bandenführern enteignet und brutal behandelt wurden. Als sich die Großmächte am Vorabend des Ersten Weltkriegs dieser Frage annahmen, erschien dies Männern wie Talât als Kontrollverlust des Imperiums. Ihre Antwort auf die vielstimmigen Rufe nach Reform und Besserstellung der Christen war radikale Zentralisierung und Militarisierung der Macht. Sie waren gefangen in einem Ideengeflecht aus Sozialdarwinismus und extremer Christenfeindlichkeit.

Im Ersten Weltkrieg trat das Osmanische Reich an die Seite der Mittelmächte. Talât und seine Gesinnungsgenossen erkannten in dieser Konstellation die Möglichkeit, die Armenier ein für allemal auszurotten. Kieser spricht von einem Dschihad nach innen, gegen die eigene christliche Bevölkerung.

Das Deutsche Reich wurde dabei zum Komplizen. Talât nützte die Abhängigkeit Berlins von dem Verbündeten im Osten aus. Deutsche Eliten aber haben den am 24. April 1915 einsetzenden Genozid nicht nur hingenommen, sondern in Teilen auch begrüßt und unterstützt. In der deutschen Presse wurde Talât als beeindruckender Staatsmann gefeiert. Der Panturkismus, so Kieser, war von Deutschland großgezogen worden.

Talât gelang es auch, die Duldung und mediale Unterstützung einer zweiten wichtigen Gruppe zu erlangen: der Zionisten, die zur Erreichung ihrer Ziele in Palästina auf Talâts Wohlwollen hofften. Im Gegenzug erhielten sie von dem schlauen Taktiker aber keine konkreten Zugeständnisse. Kieser stellt die These einer "Leugnung, Relativierung, Beschönigung und Vertuschung der Armeniermassaker und des Genozids, von Herzls Bemühungen um Annäherung an Abdul Hamid bis zu israelischer Interessenpolitik im 21. Jahrhundert" auf. Israel hat bis heute den Genozid an den Armeniern nicht anerkannt. Die Regierung Netanyahu hat Aserbaidschan mit jenen Waffen ausgestattet, mit denen das Regime in Baku jüngst den Krieg um Berg-Karabach gewonnen hat.

Die eigentliche Kontinuitätslinie betrifft aber die moderne Türkei. Im Gegensatz zu der Selbstdarstellung, dass mit der Gründung der türkischen Republik durch Kemal Atatürk (1923) eine Epochenzäsur stattgefunden habe, betont Kieser die Kontinuität von Abdul Hamid über Talât, Atatürk bis zu Erdogan: christenfeindlicher Islamismus, Panturkismus, Ultranationalismus und Autoritarismus ziehen sich durch diese Geschichte. Sie haben, so Kieser, "zerrissene Gesellschaften und tödlich polarisierende Politikstile" hervorgebracht. Die Genozidtäter sind auch verantwortlich dafür, dass sich die durchaus reale Chance auf eine ganz andere Entwicklung des Osmanischen Reiches nicht umsetzen ließ.

Dabei betrifft der von Talât ins Werk gesetzte Völkermord nicht nur das Osmanische Reich und als nie aufgearbeitete mentale Last die heutige Türkei. Der Völkermord muslimischer Türken und Kurden an christlichen Armeniern ist keine peripher-orientalische Erscheinung, sondern der Auftakt zu den Mordkampagnen des zwanzigsten Jahrhunderts. Als Person ist Talât nur schwer greifbar. Der zeugungsunfähige Mann hatte seine ganze Kraft auf das konzentriert, was er als Rettung seiner Nation ansah. Bei Kriegsende floh er nach Berlin, wo er viel Unterstützung genoss. Er wurde von einem Armenier erschossen. Der Täter wurde freigesprochen. Sein Prozess erst machte die deutsche Öffentlichkeit mit Talâts Verbrechen bekannt. Heute feiert Präsident Erdogan die Verantwortlichen für den Genozid: Er tat dies zuletzt bei der Siegesparade Aserbaidschans im Dezember 2020. Talât Pascha und seine Taten gehören nicht einer fernen Geschichte an. Sie sind Teil der Gegenwart.

OLIVER JENS SCHMITT

Hans-Lukas Kieser:

"Talât Pascha". Gründer der modernen Türkei und Architekt des

Völkermords an den

Armeniern. Eine

politische Biografie.

Aus dem Englischen von Beat Rüegger. Chronos Verlag, Zürich 2020.

440 S., Abb., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

Bewertungen

0 Bewertungen

Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Talât Pascha" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.

Hans-Lukas Kieser: Talât Pascha bei hugendubel.de. Online bestellen oder in der Filiale abholen.