Dr. Heidi Kastner kennt sie alle: Josef Fritzl, die Eissalon-Lady Estebaliz C., Raubmörder, Serienkiller, Pädophile: Als Gerichtspsychiaterin erstellt sie seit vielen Jahren Gutachten und Täterprofile, die für die weiteren Verfahren von großer Bedeutung sind. Ihr Ziel ist es immer, die Innenwelten der Täter und ihre seelische Logik zu verstehen. Dabei kommt oft Erstaunliches zutage: etwa bei jenem Mörder, der während seiner gesamten langen Haftzeit seine Unschuld beteuerte, um ihr nach seiner Freilassung mitzuteilen, er sei es doch gewesen. Oder bei jenem Häftling, der zwar noch nie ein Strafmandat für Falschparken erhalten hatte, aber kein moralisches Problem darin sah, einen Raubmord zu begehen. In ihrem Buch erzählt Heidi Kastner bildhaft und mit großer Einfühlung Geschichten von unterschiedlichsten Tätern und den immer wieder verblüffenden Facetten ihrer Persönlichkeit. Das vermittelt eine grundlegende Erkenntnis: Auch Täter sind Menschen, und beileibe nicht nur böse. In einer entsprechenden Kombination von Umgebungsbedingung und Persönlichkeit kann vielleicht (fast) jeder selbst zum Täter werden.
Hier muss ganz klar gesagt werden, dass es sich bei dem Buch "Schuldhaft" von Heidi Kastner nicht um einen Roman handelt, sondern um einen Tatsachenbericht, der sowohl Geschichten aus der Praxis sowie die jeweiligen Theorien der dazugehörigen Persönlichkeitsstörungen beinhaltet.
Der Aufbau gestaltet sich so, dass erst ein Fall bzw. eine Geschichte aus dem Arbeitsalltag von Dr. Heidi Kastner (Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie) erzählt wird und im Anschluss gibt es dann die theoretischen Ausführungen, die sich auf die jeweiligen neurotischen, schizophrenen oder hysterischen Persönlichkeiten der verschiedenen Täter beziehen. Diese Idee gefällt mir ausgesprochen gut, denn auf diese Weise hat man den unmittelbaren Bezug zum vorausgegangenen Fall und somit die Möglichkeit, diese Geschichte besser zu verstehen oder nachzuvollziehen.
Die Geschichten an sich sind zum Teil sehr heftig, viele von ihnen haben mich tief berührt und mich sehr betroffen gemacht. Es wird mehr als deutlich, dass der Lack der Zivilisation oft sehr dünn ist und vor allem aber, dass Verbrecher nicht von Grund auf böse sind, sondern dass sie, genau wie alle anderen Menschen auch, ebenfalls gute und auch schlechte Anlagen in sich tragen.
Diese Einsicht ist mehr als erschreckend, denn im Umkehrschluss stellt sich dann wohl hier die Frage, ob mir selber auch passieren kann, "böse" zu werden. Nachdem ich dieses Buch gelesen habe, bin ich überzeugt davon, dass es jeden von uns treffen kann. Natürlich sind gewisse Dinge wie eine behütete liebevolle Kindheit und ein stabiles sicheres Umfeld Grundvoraussetzungen, dass es uns möglicherweise nicht trifft, doch auch Menschen mit diesen Voraussetzungen können durchaus "krank" werden.
Alleine aus dem Grund, um sich das eben aufgeschriebene einmal vor Augen zu halten, ist dieses Buch hier absolut lesenswert und lehrreich! Hier gibt es Dinge zu erfahren, die man bzw. frau einfach wissen sollte, auch wenn diejenige (so wie ich z. B.) mit all diesen verschiedenen Persönlichkeitsstörungen noch nie so richtig zu tun hatte!