Rätsel

GELESEN: Jan Morris "Rätsel" Dieses Buch ist wirklich unglaublich. Es vereint so vieles: Tragik, Abenteuer, Himmel und auch ein bisschen Hölle. Jan Morris (*1926 -¿2020) schreibt Erstaunliches. In seiner frühesten Erinnerung wähnt sich James, sitzend unter dem Klavier der Mutter. Lieber Gott, betet er, mach doch ein Mädchen aus mir. Aber bis es soweit war, vergingen noch Jahrzehnte, und vor ihm lag ein langer und oftmals mehr als steiniger Weg. James fühlt sich immer als Frau. Seine Schilderungen sind pragmatisch und kein bisschen schlüpfrig, und man kann sich tatsächlich ein wenig einfühlen, wie es Menschen gehen mag, die so eine Last mit sich herumtragen. Die Schilderungen während seiner Zeit beim Militär sind besonders interessant, denn für James war es immer erstaunlich, in einer solchen Männerrunde Anerkennung zu erfahren, obwohl er doch eine Frau war. So dachte und fühlte er. James, ein wirklich gut aussehender, sportlicher Mann, wurde akzeptiert. Sein Sexualleben war für ihn eher immer zweitrangig. Als er Elisabeth kennenlernte, wusste er sofort, hier ist eine Seelenverwandte. Diese beiden Menschen verstanden sich von der ersten Sekunde an. James machte kein Geheimnis aus seinem Wunsch, eine Frau sein zu wollen. Elisabeth nahm ihn, wie er, und sie bekamen zusammen fünf Kinder. Ein Kind starb. Nach dem Militär hatte er drei Arbeitsstellen. Er war fünf Jahre Journalist beim Guardian. Als Auslandskorrespondent bei der Times, und er war für die Arab News Agency in Kairo tätig. In diesen zehn Jahren war er fast nur auf Reisen rund um den Erdball. Er lernte Menschen wie Che Guevara und Eichmann kennen; bestieg für die Times, 26-jährig, 1953 den Mount Everest bis zur Flanke und berichtete exklusiv nach London am Krönungstag von Elizabeth II. von der Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay Und genau nach dieser Zeit wurde es für James immer schlimmer, in seinem männlichen Körper zu leben. Die Stärke und Schönheit der Jugend liebte er an sich, aber eben nicht den Mann, und so begann er sich zehn Jahre auf eine Geschlechtsumwandlung vorzubereiten, bis es endlich zur Operation in Casablanca kam. Die OP gelang, und aus James wurde Jan, die ihr Leben in kurzen Worten beschreibt: "35 Jahre als Mann. 10 Jahre in einem Zwischenzustand, und für den Rest des Lebens ich selbst." Mein erstes Buch im Jahr 2021 habe ich mit Erstaunen gelesen und freue mich, dass Jan ein langes und recht erfülltes Leben als Frau verbringen konnte. Noch mehr Informationen über Jan Morris bietet Wikipedia.

Der Roman ¿Rätsel. Betrachtung einer Wandlung¿ der englisch-walisischen Autorin Jan Morris erschien erstmals bereits 1974. Er erzählt von der inneren und äußeren Wandlung des Jungen/Mannes James zum Mädchen/zur Frau Jan und strotzt vor Ambivalenzen, auf die ich später noch genauer eingehen werde. Die offensichtlichste Ambivalenz ist dabei die zwischen Mann sein und Frau sein. Obwohl die Protagonistin sich von kleinauf als Mädchen/Frau empfand, obwohl sie sich den Frauen verbunden fühlte und eine Frau sein wollte und obwohl sie ihren männlichen Körper letztlich operativ in einen weiblichen um- bzw. verwandeln ließ, lesen wir unzählige frauenverachtende Aussagen. Das ist die zweite große Ambivalenz in dem Roman. Die 1926 geborene Schriftstellerin hatte bereits als 4-jähriges Kind das Gefühl, im falschen Körper zu stecken. Sie fühlte sich in ihrem Innersten als Mädchen, das in den Körper eines Jungen hineingeboren wurde und natürlich auch einen männlichen Namen, James, trug. Schon früh empfand sie sich als einsame Beobachterin, die in einer anderen Welt lebte und ihr Geheimnis lange für sich behielt. Später besuchte sie das College, eine Chorschule in Oxford und den Militärdienst. Sie arbeitete als Reiseautor und Auslandsreporter, veröffentlichte Bücher und begleitete als Reporter für die ¿Times¿ Sir Edmond Hilary auf einem Teil seines Weges hinauf zum Mount-Everest. Sie heiratete eine Frau, zeugte Nachwuchs und war Vater bzw. Mutter von vier Kindern. Seit Mitte der 1960-er Jahre lebte Morris als Frau und 1972, mit Mitte fünfzig, entschloss sie sich schließlich zur operativen Geschlechtsanpassung, ein chirurgischer Eingriff, der in Casablanca durchgeführt wurde und für den im Vorfeld die Ehe geschieden werden musste, weil im Großbritannien der 1970-er Jahre keine gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt war. In dem Roman geht es letztlich, wie oben schon angedeutet, um innere Ambivalenzen. Zunächst ist es der offensichtliche Zwiespalt zwischen Mann sein und Frau sein. Wir lesen von einer Frau in einem Männerkörper, die sich sexuell von Männern angezogen fühlt, aber eine Frau geheiratet hat. Jan Morris fühlt sich Frauen verbunden, erscheint aber nicht selten frauenfeindlich. Immer wieder bedient sie sich überholter Geschlechterklischees und Rollenbilder, was nicht nur deplatziert, sondern auch überflüssig und ärgerlich ist. Ich kann ihre Haltung und ihre Meinungen in diesem Kontext nicht als Zeitphänomen einordne