Jonathan Safran Foer schafft es erneut, uns ein komplexes Thema wie die Klimakrise so nahe zu bringen wie niemand sonst. Und das Beste: Einen Lösungsansatz liefert er gleich mit.
Mit seinem Bestseller »Tiere essen« hat Jonathan Safran Foer weltweit Furore gemacht: Viele seiner Leser wurden nach der Lektüre Vegetarier oder haben zumindest ihre Ernährung überdacht. Nun nimmt Foer sich des größten Themas unserer Zeit an: dem Klimawandel. Der Klimawandel ist zu abstrakt, deshalb lässt er uns kalt. Foer erinnert an die Kraft und Notwendigkeit gemeinsamen Handelns und führt dazu anschaulich viele gelungene Beispiele an, die uns als Ansporn dienen sollen. Wir können die Welt nicht retten, ohne einem der größten CO2- und Methangas-Produzenten zu Leibe zu rücken, der Massentierhaltung. Foer zeigt einen Lösungsansatz auf, der niemandem viel abverlangt, aber extrem wirkungsvoll ist: tierische Produkte nur einmal täglich zur Hauptmahlzeit.
Foer nähert sich diesem wichtigen Thema eloquent, überzeugend, sehr persönlich und mit wachem Blick und großem Herz für die menschliche Unzulänglichkeit. Und das Beste: Seinen Lösungsansatz können Sie gleich in die Tat umsetzen.
Besprechung vom 08.09.2019
Was essen wir?
Jonathan Safran Foer will in "Wir sind das Klima!" die Welt ein bisschen retten
Dieses Buch, schreibt der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer, handelt von den Auswirkungen landw2irtschaftlicher Tierhaltung auf die Umwelt. Es sei weder eine umfassende Erläuterung des Klimawandels noch eine kategorische Verurteilung des Verzehrs von Tierprodukten. Es befasse sich mit einer Entscheidung, die die Krise des Planeten uns abverlange: Wir können nicht unsere vertrauten Mahlzeiten und zugleich unseren vertrauten Planeten behalten. Eins davon müssen wir aufgeben. So einfach und so schwierig sehe es nun mal aus: "Wo waren Sie, als Sie sich entschieden haben?"
Wo genau - möchte man zurückfragen - steht aber Jonathan Safran Foer? Wofür entscheidet er sich in seinem neuen Buch "Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können", das in dieser Woche weltweit in mehreren Sprachen erscheint?
Es ist inzwischen neun Jahre her, dass Foer, dessen letzten Roman "Hier bin ich" man für sein Tempo und seinen Witz eigentlich nur bedingungslos bewundern kann, schon einmal ein Sachbuch geschrieben hat: "Tiere essen". Während der Recherche war er nachts in Mastbetriebe eingebrochen, hatte auf Schlachthöfen daneben gestanden, wenn eine Kuh zerlegt wurde, hatte mit Farmern und Tierrechtlern gesprochen und war selbst zum Vegetarier geworden. Dass wir das Klima ändern müssen und dass Viehzucht, was die Umwelt angeht, die zerstörerischste Industrie der Welt sei, schrieb er schon damals. Dass es nicht mehr akzeptabel sei, nicht zu fragen, wo das Essen herkomme. Er schrieb es mit einer Dringlichkeit, die dazu führte, dass viele seiner Leserinnen und Leser nach der Lektüre von "Tiere essen" zu Vegetariern wurden. Er war so umgetrieben von seinem Sujet, dass es ihm gelang, andere mitzureißen.
Und genau diese Dringlichkeit fehlt ausgerechnet jetzt, wo Klimaschutz politisch zum wichtigsten Thema geworden ist. "Wir sind das Klima!" ist ein unerwartet zögerliches Buch. Siebzig Seiten lang verwendet Jonathan Safran Foer darauf, nicht zur Sache zu kommen, also ausdrücklich nicht zu benennen, worum es ihm geht. Er sei ein Bewunderer von Al Gore, schreibt er, dessen Dokumentarfilm "Eine unbequeme Wahrheit" für ihn eine intellektuelle und emotionale Offenbarung gewesen sei. Als die Leinwand nach den letzten Bildern schwarz wurde, sei ihm die Lage sonnenklar gewesen, und ebenso seine Pflicht, etwas zu tun. Doch klaffe in Al Gores Erzählung eine eklatante Lücke, und was da fehle, sei auch 2017 in der Fortsetzung "Immer noch eine unbequeme Wahrheit" unsichtbar geblieben. Gemeint ist der Zusammenhang von Tierhaltung, Ernährung und Umwelt. Foer macht es in seinem neuen Buch wie Gore. Er hält es für die beste Strategie, das Thema erst mal zu umschiffen, "aus Angst, dass sich damit kein Blumentopf gewinnen" lasse: "Diskussionen über Fleisch, Eier und Milchprodukte bringen die Leute auf die Barrikaden. Sie gehen ihnen auf die Nerven. Kein Nicht-Veganer hat darauf große Lust, und der Eifer der Veganer kann einem noch den letzten Spaß daran verderben."
So schreibt er also ein Buch über das Klima, will uns verschonen und uns (er spricht uns direkt an) eigentlich auch die Wahrheit sagen: "Aber wir haben keine Chance, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, wenn wir nicht offen über seine Ursachen sprechen - und darüber, wie wir uns ändern können." Da wird man ziemlich ungeduldig. Wer will schon in Watte gepackt werden? Wozu auch, wo es doch um Zusammenhänge geht, die die aktuelle politische Diskussion längst bestimmen? Mit "Tiere essen" mag Jonathan Safran Foer vorne dran gewesen sein, jetzt ignoriert er nicht nur die Klimaschutzdebatte, sondern auch eine globale politische Bewegung wie "Fridays for Future", die in seinem Buch gar nicht vorkommt.
Die besten Passagen in "Wir sind das Klima!" sind die Listen in der Mitte des Buchs, die unter der Überschrift "Das größte Sterben verhindern" in Stichworten zusammenfassen, was uns droht, wenn wir nichts ändern. Es sind aus Büchern und wissenschaftlichen Zeitschriften zusammengetragene Fakten, die die Probleme anschaulich umreißen: Da geht es um Methan und Stickoxide als die zweit- und dritthäufigsten Treibhausgase in der Atmosphäre und die Tatsache, dass Nutztierhaltung für 37 Prozent des menschengemachten Methanausstoßes und für 65 Prozent des menschengemachten Stickoxidausstoßes verantwortlich ist. Es geht um Abholzung und Brandrodung. Darum, dass Nutztierhaltung der Grund für 91 Prozent der Rodungen im Amazonas ist. Und dass "die Rodung tropischer Regenwälder mehr CO2 freisetzt als alle Autos und Lastwagen der Welt zusammen".
Wo Jonathan Safran Foer aber erzählt, verliert er sich oft eitel in der eigenen Gelehrsamkeit. Es gibt kaum ein Thema oder einen Mythos, bei dem er nicht Bescheid wüsste. Alles setzt er mit allem in Beziehung, versucht, so viele Analogien wie möglich herzustellen, die an vielen Stellen überhaupt nicht einleuchten. So vergleicht Foer, der aus einer Familie von Holocaustüberlebenden kommt, den Widerstand gegen die Nazis mit der Notwendigkeit, den Klimawandel aufzuhalten. Er erzählt vom Selbstmord seines Großvaters, der sich viele Jahre nach dem Krieg an einer Klimaanlage erhängte, und assoziiert: "Ich bin fast so alt wie mein Großvater, als er sich umgebracht hat. In dem Sinne, dass wir vor der Wahl stehen, ob wir weiterleben wollen oder nicht, sind wir alle so alt wie er." Doch bleiben solche Sätze hingeworfene Behauptungen. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, inwiefern sich beides miteinander vergleichen ließe, fragt er nicht.
Denn Foer - das jedenfalls ist der Eindruck, der beim Lesen entsteht - interessiert sich mehr noch als für die klimapolitische Lage für sich selbst. Das führt zu ausführlichen, aber einigermaßen irrelevanten "Beichten" wie der, dass der Autor, nachdem er "Tiere essen" geschrieben, Hunderte Lesungen, Vorträge und Interviews zum Thema gegeben und den Standpunkt vertreten hat, man solle kein Fleisch essen, später, als es ihm nicht gut ging, an Flughäfen mehrmals Burger gegessen hat. Es verleitet ihn dazu, sich allzu überschwänglich zum gehobenen Lebensstandard zu bekennen: "Meine Urgroßeltern wohnten in einem Holzhaus ohne Innentoilette und schliefen in kalten Nächten auf dem Küchenboden neben dem Herd. Sie hätten niemals geglaubt, was ich alles besitzen würde: ein Auto, mit dem ich eher aus Bequemlichkeit denn aus Notwendigkeit fahre, eine Speisekammer voll aus aller Welt importierter Lebensmittel und ein Haus mit Zimmern, von denen nicht einmal alle täglich genutzt werden."
Irgendwann hat man den Autor genau so vor Augen: wie er in einem riesigen sonst unbewohnten Zimmer einer Villa heimlich und allein Burger isst. Für ein Buch mit dem Titel "Wir sind das Klima!" sagt er wirklich sehr oft: "Hier bin ich."
JULIA ENCKE
Jonathan Safran Foer: "Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten beim Frühstück retten können". Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs und Jan Schönherr. Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten
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