Besprechung vom 31.07.2025
Was sie wirklich, wirklich will
It's the marketing, stupid! Julia Friese reflektiert in "delulu" ihre eigene popkulturelle Prägung
Taylor Swift ist nicht Britney Spears. Dafür kann sie nichts. Als warenförmige Verheißung, deren Abglanz in tausend Schattierungen verkauft wird, steht sie der tragischen Prinzessin des Pop nicht nach. Es ist die Zeit, die sich gewandelt hat. In der Ära der Handbildschirme, Influencer und KI-Algorithmen rechnet niemand mehr mit dem Echten hinter dem Glitzernden. Simulation hat die Stimulation abgelöst. Das war in den Neunzigern noch anders: Die Millennials waren vielleicht die Letzten mit quasireligiöser Verehrung für ihre Ikonen. Das Marketing störte dabei nicht, im Gegenteil: Ein gigantischer Millionendeal, wie ihn Britney Spears 2001 mit Pepsi einging, machte sie erst endgültig zum Megastar. Die ins kollektive Gedächtnis eingebrannten Werbeclips inszenierten die längst Unerreichbare als echte, nahbare Person (mit Pepsi-Durst). Film, Musik und Werbung, das war eine erstaunlich unschuldig wirkende Einheit. Weil Facebook und der ganze Rest noch nicht existierten, saßen die Fans in ihren Kinderzimmern alleine vor MTV. Es gab Sendung und Empfang, keine Gemeindebildung wie bei den Swifties, die einander mehr brauchen als ihr Idol.
Über den Starkult um die Jahrtausendwende und seine psychologischen Tiefenwirkungen - das Begehren, sich selbst in ein Produkt oder eine Marke zu verwandeln - hat Julia Friese einen ziemlich verrückten, eloquenten, poptheoretisch versierten, zugleich aber hemmungslos überambitionierten, in viel zu viele Vignetten voller Innerlichkeit (darunter sehr schöne) zersplitternden Roman geschrieben, der keine klar benennbare Handlung besitzt, sondern im Grunde eine 250-seitige Collage im hippen Reflexionssound über das Unbewusste der Populärkultur darstellt - und der dann doch etwas zu pathetisch an der unterhaltungsindustriellen Vortäuschung eines Ich-Upgrades leidet.
Die Protagonistin und Ich-Erzählerin namens Res (ja, wie "die Sachen") ist Kulturjournalistin wie ihre Autorin. Und sie hat seit Kindertagen ein musikalisches Idol, Frances Scott, in die zwar alle Megastars von den Beatles bis Beyoncé eingeflossen zu sein scheinen, aber die sich - bis hin zum eigenen Kinofilm - insbesondere mit Britney Spears identifizieren lässt, bezeichnenderweise ohne das markanteste Charakteristikum der Marquise von Oops, die Entmündigung, auch wenn ein unbotmäßiges Verhalten Frances', das Werbekunden verschreckt, durchaus eine Rolle spielt.
Der Moment, auf den Res insgeheim hingelebt hat, ist da: Sie darf ein Interview mit Frances Scott führen. Auch wenn die Rahmenhandlung bereits als rein innerliche gedeutet werden könnte, als quasi notwendiges Scheitern vor der Erfüllung der Sehnsüchte, eröffnet sie wenigstens die Chance, die folgenden, traumlogisch strukturierten Szenen an einen konkreten Auslöser rückzubinden. Res also hat im Hotelzimmer, wartend auf das Interview, aus Versehen mit nassen Händen in eine Steckdose gefasst. Sterbend gerät sie in einen letzten Rausch aus Erinnerungen und Hoffnungen, der sich als Strudel aus Verdichtung und Entblößung aller hedonistischen, aber wahnhaften ("delulu" stammt von "delusional") Versprechungen der westlichen Popkultur in ihrer großen, apolitischen Zeit erweist.
Der Clou des Buchs ist, dass die Heldin alles, was man gewöhnlich im Außen verortet, nun in sich selbst wiederfindet. Es geht also um Selbstbespiegelung, die über die außer Kontrolle geratene Selbstbespiegelung räsoniert, eine kybernetische Beobachtung zweiter Ordnung: "Denn wo immer Res hinsieht, sieht sie nur sich selbst." Erinnerungsfetzen zeigen eine allfällige Achtziger- und Neunzigerjahre-Kindheit inmitten der Eruptionen des Marketings (Haribo, Wrigley's, Kellogg's), eine Kindheit mit Walkman, Abschlussball und wuchtiger kulturindustrieller Programmierung. Hingerissen zeigt sich diese Res bis heute von den künstlichen Paradiesen, die einen Star wie Frances Scott umgeben: diese "Welt hinter dem Fernseher, wo sie alle leben in tiefsitzenden Hosen". Die Barbie-Lebensform der perfekten Oberfläche zu erreichen, wurde ihre beherrschende Sehnsucht: "Unsterblich wie Plastik, aber mit Sex, aber nicht als Mensch, sondern immer als Puppe".
In ihrem Fiebertraum bekommt Res dann doch noch ihr langes, über viele Stationen gehendes Interview. Es erfüllt sich scheinbar sogar ihr Wunsch, sich mit dem bewunderten Star zu befreunden. Doch Frances entzieht sich auch, wirkt keineswegs vom Glück geküsst, sondern gelangweilt, deprimiert. Mal gibt sie Plattitüden von sich, erwartete Sätze des professionellen Selbstmarketings, dann durchbricht sie den Schein: "Ich kann das alles nicht mehr. Ihr kommt hier nur hin, um zu glotzen." Wenn aber einmal die Illusion zerstört sei, dass Stars für das Publikum existierten, wenn ausgesprochen werde, dass da eigentlich Selbsthass am Werk sei, "fällt doch alles zusammen".
"Ich will an ihrer Seite der Realität verloren gehen", gesteht die Heldin der mitimaginierten Mutter des Stars. Seit Kindertagen sei sie davon überzeugt, eines Tages - wenn sie nur allen Merch gekauft habe - Frances zu werden: "It's what drives me. Insane." Mehr und mehr verliert sich Res schließlich in ihren Phantasien, verschmilzt tatsächlich mit Frances Scott, aber auch das unter Schmerzen, denn es bleibt lediglich die gemeinsame Ausflucht, das Zerreißen der Scheinwelt. Das alles ist ähnlich introvertiert und auch larmoyant wie Julia Frieses gesellschaftskritischer Mutterschaftsroman "MTTR" (2022), aber noch viel assoziativer und verspielter erzählt. Der schwache narrative Bogen und der poppig-apodiktische Ton erinnern an Blogs und Kolumnen im Netz. Eine Weile lang folgt man den tausenderlei Referenzen aufbietenden Gedankenpirouetten einer Glitzerpop-Versehrten ganz gerne, weil Friese fraglos schreiben kann, aber dann wird es doch zu viel, zumal der kulturkritische Ertrag trotz vielfacher Reformulierung überschaubar bleibt: Fallt nicht herein aufs Marketing!
Schon bei einer der ersten von Res imaginierten Begegnungen lässt Friese Frances sagen: "Alle denken, mich zu treffen, würde sie zu einem Teil von mir machen, als wären sie eine Tablette, die in meinem Wasser aufgelöst werden kann." Die Auratische warnt vor der Anziehung durch das Auratische. Es läuft immer auf eine bittere Einsicht hinaus: "Res ist eine Zuschauerin. Kein Main Character, keine Protagonistin." Die leider enervierend naive Heldin gibt sich - um den Preis der Selbstauflösung - trotzdem noch einmal dieser alten Illusion hin, aber viel mehr, als dass es eine Illusion ist, lernt sie dadurch nicht. Da sind die Swifties vermutlich schon weiter. OLIVER JUNGEN
Julia Friese: "delulu".
Der Roman.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2025.
247 S., geb.
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