Der Einstieg in den Roman fiel mir nicht ganz leicht. Die vielen verschachtelten Sätze, schnellen Szenenwechsel und Zeitsprünge machen das Lesen zunächst recht herausfordernd. Es ist definitiv kein Buch, das man mal eben nebenbei lesen kann dafür ist es sprachlich und inhaltlich zu anspruchsvoll. Der Erzählfluss wirkt anfangs sprunghaft und teilweise wirr, was das Nachvollziehen der Handlung erschwert.
Auch mit den Figuren hatte ich zu Beginn meine Schwierigkeiten. Viele von ihnen bleiben distanziert, wirken eher unsympathisch oder agieren in oberflächlichen, beinahe zweckmäßigen Beziehungen. Im Mittelpunkt steht Susanne, die von Anfang an einen zutiefst einsamen und unsicheren Eindruck macht. Ihre Freundschaften scheinen zu zerbrechen, und ausgerechnet Stella, ihre frühere Freundin, eignet sich Susannes Vergangenheit an, um daraus Anerkennung zu ziehen. Dass sich gleichzeitig das gesamte soziale Umfeld von Susanne abwendet, verstärkt ihr Gefühl der Isolation enorm.
Im weiteren Verlauf wird Susannes belastende Lebensrealität immer deutlicher: Ängste, Sucht, die Erfahrung sexueller Gewalt, das ständige Gefühl, nirgends dazuzugehören. Ihr tief verinnerlichter Selbstzweifel zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Die metaphorische Kraft, mit der Susanne beispielsweise alle Spiegel in der Wohnung verhüllt, hat mich besonders berührt: sie will sich selbst nicht mehr sehen, was sinnbildlich für ihren zerstörten Selbstwert steht.
Ein zentrales Rätsel des Romans bleibt lange unbeantwortet: Was ist wirklich mit Stella passiert? Hat sie sich das Leben genommen, und wenn ja, warum? Doch auch am Ende bleiben viele Fragen offen, nicht nur, was Nebenfiguren wie Oskar betrifft, sondern auch Susannes Entwicklung als Figur. Zwar wirkt sie gegen Ende etwas gefestigter, aber ein Gefühl der Befreiung bleibt aus.
Der Roman behandelt hochkomplexe Themen wie: psychische Erkrankungen, soziale Ausgrenzung, Sucht, Gewalt, Manipulation, Identität, Schuld all das wird aufgegriffen, jedoch meist nur angedeutet, fragmentarisch und bruchstückhaft erzählt. Genau darin liegt möglicherweise die Intention der Autorin: ein Roman, der keine klaren Antworten gibt, sondern die innere Zerrissenheit seiner Hauptfigur auch stilistisch widerspiegelt.
Insgesamt ist Alles ganz schlimm ein literarisch ambitionierter Roman, der mich zwar in einzelnen Momenten berühren konnte, mich aber als Ganzes nicht überzeugt hat. Zu vieles blieb mir zu vage, zu wirr, zu unaufgelöst.
Eine Empfehlung für alle, die sich auf psychologisch dichte, komplex erzählte Literatur einlassen wollen und keine schematischen Erzählstrukturen erwarten, sondern bereit sind, sich auf Widersprüche, Leerstellen und emotionale Ambivalenz einzulassen.