Max Frisch, der in Millionenauflage gelesene Schweizer Weltautor, taugt noch lange nicht zum wirkungslosen Klassiker. Gerade in Krisensituationen bewährt er sich, weil er immer vom Individuum ausgeht, das sich zu seiner Zeit verhalten muss.
Nach dem gefeierten ersten Band schließt Julian Schütt seine maßgebliche Max-Frisch-Biographie mit der Darstellung der spektakulären Jahre des Schriftstellers ab. In diesen verfasst er Meisterwerke wie Homo faber, Andorra, Mein Name sei Gantenbein oder Montauk, prägt wichtige Debatten und wird in der Öffentlichkeit zu einer kritischen Instanz. Ebenso erregt sein glamouröses Liebesleben wie etwa die Beziehung mit Ingeborg Bachmann Aufsehen.
Auf Basis von bisher unveröffentlichten Briefen und Aufzeichnungen sowie zahlreicher Gespräche mit Weggefährten erzählt Schütt auch von unbekannten Seiten Frischs. Trotz immensen Ruhms erlebt er private Desaster und will sich immer wieder entfliehen. So lässt sich jenseits der Klischees und Verklärungen ein neuer Max Frisch entdecken, der sagt, er habe als Autor »mit Leben bezahlt«.
Besprechung vom 28.05.2025
Bis sich sein Ich vergisst
Was eine "Gegenbiographie" leisten kann: Julian Schütt schließt seine Lebensbeschreibung zu Max Frisch ab.
Im Jahr 2011 legte der Schweizer Literaturwissenschaftler Julian Schütt den ersten Band seiner Max-Frisch-Biographie vor, der die frühen Jahre des "Aufstiegs" bis zum Erscheinen des Romans "Stiller" (1954) umfasste, mit dem sich Frisch als einer der wichtigsten Autoren der Nachkriegszeit etablieren konnte. Jetzt erscheint der zweite Band zu den Jahren von 1955 bis 1991, als "Biographie einer Instanz".
Eine Biographie zu Frisch muss sich - wie Schütt es tut - zum Umstand verhalten, dass Frisch ein Experte der Biographik und Autobiographik war, deren Möglichkeiten er mit einer Mischung aus Fabulierlust und Skepsis auslotete. Auf den Spuren von Sartres Existenzialismus erprobte er, wie Leben erzählerisch gebildet, Erzählen als Selbstentwurf fungieren kann. Dass er dabei auch von sich schrieb, liegt in Tagebüchern, Briefen und Notizheften auf der Hand; Schütt kennt sie wie kein anderer, auch die unpublizierten im Frisch-Archiv (etwa die Notizhefte). Dazu kommen Gespräche mit Frischs Zeitgenossen, die Schütt über Jahre hinweg führte und als eigenen Quellenfundus aufbaute.
Indirekt spricht Frisch auch in literarischen Texten von sich. Stets scheint er die These aus dem "Tagebuch 1946-1949" beherzigt zu haben: "Schreiben heißt: sich selber lesen", in der kaum verhüllt Montaignes autobiographische Maxime, das Motto von "Montauk", widerhallt: "Denn ich bin es, den ich darstelle." Frischs autofiktionalen Experimenten ist aber auch zu entnehmen, dass es ihm keineswegs um affirmative Selbstbehauptung ging, vielmehr um prekäre und schmerzhafte Spiele mit Möglichkeiten. Als Erzeugnis von Selbstentwürfen und Selbstzweifeln, von Projektionen aller Art verstand er das "Ich".
Mit Blick darauf versteht Schütt sein Buch treffend als "eine Art Gegenbiographie. Die Geschichte nicht eines sich suchenden, sondern eher eines sich entfliehenden Schriftstellers." Schütt lässt sich auf Frischs quasitheatrales Schreiben zwar ein, für das jener ikonische Sätze prägte wie Gantenbeins "Ich probiere Geschichten an wie Kleider". Er muss ihm aber auch darin folgen, dass das Spiel in Qual umschlagen, das Selbst sich verlieren kann - wie Frisch Montaignes autobiographische Maxime skeptisch revidiert: "Es stimmt nicht einmal, dass ich immer nur mich selbst beschrieben habe. Ich habe mich selbst nie beschrieben. Ich habe mich nur verraten." Von eben dieser Skepsis lässt sich der Frisch-Gegenbiograph inspirieren: "Warum also dieser zweite Band der Biographie, wenn offenbar alles und vor allem Frisch gegen sie spricht?" Diese Selbstkritik biographischer Setzung ist fruchtbar, insofern sie historische Sorgfalt fordert und vor vorschnellen Verallgemeinerungen bewahrt, Tugenden, die Schütts Biographie auszeichnen. Unter der Regie seiner sehr kenntnisreichen dokumentarischen Erzählung entfaltet sich das Bild eines Schriftstellerlebens zwischen Literatur, Beziehungen und Politik, das von Arbeit und Anerkennung ebenso geprägt war wie von inneren Widersprüchen und äußeren Konflikten. Einzig der pompöse Untertitel "Biographie einer Instanz" will zu dieser "Gegenbiographie" nicht passen.
Den Neuanfang von 1955, Ausgangspunkt des neuen Buchs, erzählt Schütt als radikalen Bruch, nachdem Frisch Ende 1954 Architekturbüro, Frau und drei Kinder verlassen hatte, mithin seine bürgerliche Existenz an den Nagel hängte, um sich in einer "Junggesellenwohnung" ganz der Literatur zu widmen. Dieser Neuanfang aber verlief prozessual, wie Schütt zeigt, und das betrifft auch die Architektur. Zwar ließ Frisch die praktische Architektur hinter sich, dafür entdeckte er sie politisch-theoretisch, so 1955 in einem "Weckruf" mit dem Titel "Achtung: Die Schweiz!". Mit dem Aufruf "Gründen wir eine neue Stadt" wollten Frisch und seine Mitstreiter eine Debatte anstoßen und die Schweiz aus ihrem "Mumien"-Schlaf aufrütteln. Schütt arbeitet das politische Potential dieser Frage auch für die USA heraus, indem er zeigen kann, wie die CIA über die Rockefeller Foundation Intellektuelle für die Vermittlung positiver Amerika-Bilder gewinnen wollte. Dazu hatte Frisch nach seinem durch diese Stiftung finanzierten USA-Jahr 1951/52 mit dem Vortrag "Unsere Arroganz gegenüber Amerika" (1953) "mustergültige Arbeit geleistet".
Schütt scheint gegenüber den CIA-Absichten allerdings etwas gutgläubig, wenn er sie gegen die Bespitzelung Linksintellektueller (wie Frisch, der seit 1948 überwacht wurde) durch den Schweizer Nachrichtendienst stellte: "In den Fünfzigerjahren umwarben die Amerikaner europäische Intellektuelle, unterstützten sie, während der Schweizer Staatsschutz in Kulturleuten wie Frisch immer nur eine potenzielle Gefahr sah." Das blendet aus, dass besonders die USA bis Ende 1954 von einer durch Joseph McCarthy geleiteten Kampagne gegen "kommunistische Unterwanderung" geprägt waren, im Zuge derer sich selbst ein bürgerlicher Exilant wie Thomas Mann 1951 dem "Komitee für unamerikanische Umtriebe" stellen musste, der Anlass seiner Rückkehr in die Schweiz.
Besondere Erwartung muss Schütts Kapitel zu Frisch und Bachmann wecken, worüber erst seit der Publikation des lange unter Verschluss gehaltenen Briefwechsels gesicherte Aussagen getroffen werden können. Schütt setzt mit einer Richtigstellung überkommener Vorstellungen dieser Beziehung ein, die etwa so lauteten: "Hier die singuläre Intellektuelle der Nachkriegsjahrzehnte, die den Dialog mit Überlebenden und Exilierten (Celan, Adorno, Scholem, Arendt, Kesten, Hildesheimer, Szondi) ebenso gesucht habe wie die Auseinandersetzung mit einem 'Denken nach Auschwitz', dort der eine 'spezifische Schweizer Ahnungslosigkeit' verkörpernde Bestsellerautor, der auf Antisemitismus nur mit 'Nichtverstehen' reagiert habe. Hier die Verteidigerin des 'Rechts auf das Private, das Geheimnis', die sich gegen das 'Erzählen von Lebensläufen, Privatgeschichten und ähnlichen Peinlichkeiten' wandte; dort der schlichte Bekenntnisautor, der 'jegliche Reflexion über die Tradition, Form und Problematik autobiographischen Schreibens vermissen' lasse und sich stattdessen ganz dem 'Liebesleid eines alternden Mannes' hingebe. Hier die 'weltgewandte Femme de lettres', die sich ihre Freiheit und eine weibliche Ästhetik erkämpfte; dort der auf männlichen Chauvinismus fixierte, angeblich von kleinlichen Minderwertigkeitsgefühlen beherrschte Erzähler." Erst recht der moralischen Überbietung dieser Gegenüberstellung, wonach er "gar ihr 'Mörder' gewesen sein soll, verantwortlich letztlich für ihren entsetzlichen frühen Tod", widerspricht Schütt: "Dank des Briefwechsels lässt sich nun belegen: Für das, was zwischen den beiden stattfand, gibt es kein anderes Wort als Liebe."
Dass dies aber eine letztlich unmögliche Liebe war, wird ebenso klar, nicht nur weil beide noch in anderen Beziehungen waren, Frisch zunächst mit Madeleine, Bachmann mit Paul Celan, Hans Werner Henze, Hans Magnus Enzensberger, Paolo Chiarini. Noch schwieriger wurden die Pläne, zusammen zu wohnen, die vor allem bei Bachmann Fluchttendenzen provozierten. Aber auch Frisch fragte sich etwa auf einer gemeinsamen Italienreise: "Fort von ihr oder zu ihr? In ihrer Nähe gibt es nur sie, in ihrer Nähe beginnt der Wahn". Das "Unheil" konnte weder Frischs Heiratsantrag noch der sogenannte "Venedig-Vertrag" abwenden, der eine "offene Beziehung" vereinbaren sollte. Womit er zuletzt nicht zurechtkam: Einsamkeit und ihrer "Heimlichkeitsstrategie". Womit sie nicht: Nähe und der literarischen Preisgabe des Privaten in Frischs "Gantentbein".
Die Darstellung dieser wohl umstrittensten Beziehung der Nachkriegsliteratur war vielleicht die schwierigste Aufgabe dieser Biographie. Sie gelingt, weil Schütt Widersprüche beließ und auf Glättung verzichtete. Das ließe sich auch an anderen Kapiteln dieses Lebens bestätigen: an der Ehe mit Marianne Frisch, an Freundschaften wie denen zu den Verlegern Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld, zum Regisseur Kurt Hirschfeld, zu Schriftstellerkollegen wie Brecht und Dürrenmatt, an neuen Erzählexperimenten in "Montauk", wo sich ein Ich erinnert, und "Der Mensch erscheint im Holozän", wo sich ein Ich vergisst. Immer neu gilt: Kaum etwas war in diesem Schriftstellerleben sicher gegeben, alles musste immer wieder neu errungen werden. Dem Rechnung getragen zu haben, macht Schütts Biographie so überzeugend. ANDREAS KILCHER
Julian Schütt: "Max Frisch". Biographie einer Instanz 1955-1991.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2025.
706 S., Abb., geb.
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