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Die Ausweichschule

Roman | Shortlist Deutscher Buchpreis 2025: Die Vermessung des Unfassbaren

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Buch (gebunden)
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Die Vermessung des Unsagbaren

Am letzten Tag der Abiturprüfungen im Jahr 2002 fallen Schüsse im Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Unser Erzähler erlebt diesen Tag als Elfjähriger, wird mit seinen Mitschülern evakuiert und registriert in den folgenden Wochen die Hilflosigkeit der Erwachsenen im Angesicht dieser Tat. Mehr als zwanzig Jahre später bricht das Ereignis völlig unerwartet erneut in sein Leben ein und löst eine obsessive Beschäftigung mit dem Sujet aus, die in ein Romanprojekt resultieren soll. Aber warum nach so vielen Jahren alte Wunden aufreißen? Hat er ein Recht dazu? Wie verhält es sich mit seinen Erinnerungen, welche Geschichten hat er so häufig erzählt, dass sie wahr wurden?

Kaleb Erdmanns Roman Die Ausweichschule ist ein gekonntes Spiel mit Perspektiven, ein Stück Autofiktion, das gleichermaßen publikumskritisch (wie voyeuristisch ist unser Interesse an der Aufarbeitung von Gewalttaten?) wie autokritisch ist (was gibt mir das Recht, über diesen Tag zu schreiben?). Ein pointierter, persönlicher, erschütternder Text über ein Phänomen, das uns weltweit umtreibt.

»Wie sich Kaleb Erdmann dem Erfurter Amoklauf literarisch annähert ist ein Kunststück - er findet Worte für das Unsagbare und lässt einen wortlos zurück. Das Traurigste, Lustigste und Beste, was ich seit langem gelesen habe. « Caroline Wahl

Produktdetails

Erscheinungsdatum
31. Juli 2025
Sprache
deutsch
Auflage
3. Auflage
Seitenanzahl
304
Autor/Autorin
Kaleb Erdmann
Illustrationen
1 Abb.
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Abbildungen
1 Abb.
Gewicht
370 g
Größe (L/B/H)
208/128/31 mm
ISBN
9783988160225

Portrait

Kaleb Erdmann

Kaleb Erdmann, Jahrgang 1991, studierte Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, sowie Soziologie und Politische Theorie in München und Frankfurt am Main. Er war Finalist des open mike, wurde für sein Theaterstück Unten für den Retzhofer Dramapreis nominiert und war als Autor und Redakteur Teil verschiedener Fernseh- und Unterhaltungsformate. Sein erster Roman wir sind pioniere wurde mit dem Debütpreis der LitCologne ausgezeichnet. Zuletzt schrieb er für das Berliner Ensemble das Stück Always Carrey On. Kaleb Erdmann lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Pressestimmen

»Sein Zugang zur erdrückenden Schwere dieser Thematik bleibt überaus sensibel und dank seines trockenen und nahbaren Stils sogar überraschend lustig ein bemerkenswerter Balanceakt. « Jan-Malte Wortmann, funky. de

»Kaleb Erdmann ist mit Die Ausweichschule ein Roman gelungen, der schwer und leicht zugleich ist [. . .]. « Miriam Fendt, BR

»Es ist kein düsterer Roman geworden. Es ist ein kluger und eindringlicher Text, dem es gelingt, über das eigentlich Unbeschreibliche zu schreiben. « Hans-Michael Marten, MDR Artour

» Die Ausweichschule ist ein wenig Pitival, noch mehr André Gide, lediglich zu einem Mü Joachim Meyerhoff und in dieser Konstellation das bislang beste literarische Mashup dieses Bücher-Herbstes« Jan Drees, Deutschlandfunk

»Entstanden ist [. . .] ein zutiefst bewegender Roman. « Romy Gehrke, MDR Thüringen Journal

»Wie also umgehen mit dem Trauma? Den Roman bewegt, welchen Zugang wir zu unseren eigenen Verletzungen haben. « Gerrit ter Horst, Der Tagesspiegel

»Der Spagat zwischen Ernst und Leichtigkeit [. . .] ist Kaleb Erdmann eindeutig gelungen. « Katharina Mild, Radio Bremen Zwei

»Der Autor Kaleb Erdmann findet eine Art über diese Tat, ihren Folgen und ihren Umgang, [. . .] die berührt und zum Nachdenken anregt. « Sofie Czilwik, rbb radio3

»Wie der Amoklauf von Erfurt bis heute nachwirkt beschreibt Die Ausweichschule in jedem Fall mit beeindruckender Behutsamkeit. « Kais Harrabi, MDR

»So erzählt dieser faszinierende Roman von einem letztlich gescheiterten Projekt eines Schriftstellers, das seine Höllenfenster geöffnet hat [. . .]« Sandra Kegel, FAZ

Besprechung vom 21.07.2025

Die Schule, das Trauma und der Text

In Kaleb Erdmanns "Die Ausweichschule" ringt ein Autor mit seinem Stoff. Der Erzähler hat als Elfjähriger den Amoklauf von Erfurt überlebt. Das fesselnde Hörbuch fragt, wie man über das Böse schreiben kann.

Immer wieder greift der Ich-Erzähler zu Emmanuel Carrères "Der Widersacher". Er ist ein Fan des französischen Autors, hat jedes Interview mit ihm gelesen und kennt alle Details. Wie sich dessen frühe Romane gnadenlos auf ein schreckliches Finale zubewegen und warum Carrère in seinem Buch über den Hochstapler Jean-Claude Romand erstmals eine wahre Geschichte behandelt. Der Franzose hatte Freunde und Familie jahrelang getäuscht, indem er vorgab, bei der WHO in Genf zu arbeiten, während er in Wahrheit ein Lügengebäude errichtet hatte. Als alles aufzufliegen drohte, erschlug Romand zuerst seine Frau, tötete tags darauf seine Kinder und am dritten Tag seine Eltern. Die Weltöffentlichkeit rieb sich damals die Augen ob der Monstrosität dieses Verbrechens. Carrère aber suchte den Kontakt zum Täter im Gefängnis, um über ihn zu schreiben. Doch es gelang ihm nicht, bis er schließlich aufgab. Er verfasste eine Notiz über sein Scheitern, die immer länger wurde, bis er begriff, dass dies sein Buch werden würde. Ein Text über Carrères Konflikt mit sich und seiner Scham, von dieser bestialischen Tat fasziniert zu sein.

Dass Kaleb Erdmann in seinem zweiten Roman "Die Ausweichschule", der am 31. Juli als Buch und Hörbuch erscheint, immer wieder auf Carrère zu sprechen kommt, wie auch auf andere Autoren, die sich mit Gewalt beschäftigt haben - Ines Geipel, Herta Müller, Leïla Slimani und einen namenlosen Dramatiker -, verdankt sich der faszinierenden Machart dieses Metaromans. Denn auch Erdmanns Erzähler ist ein Autor, der wie Carrère mit seinem Stoff ringt. Dieser Stoff ist jedoch nicht angeeignet, sondern wurde vor mehr als zwanzig Jahren von ihm selbst durchlebt. Als Fünftklässler hat er am Erfurter Gutenberg-Gymnasium das Attentat von Robert Steinhäuser überlebt.

Der von der Schule verwiesene Abiturient war im April 2002 in seine ehemalige Schule eingedrungen, hatte 71 Schüsse abgefeuert und 16 Menschen ermordet, ehe er im Treppenhaus von seinem ehemaligen Geschichtslehrer aufgehalten wurde, der ihn aufforderte, ihm beim Töten in die Augen zu schauen, woraufhin Steinhäuser entgegnete "Für heute reicht's".

Wie "Der Widersacher" ist auch dieser aufwühlende Roman mit dem prosaischen Titel "Die Ausweichschule" ein Buch mit zwei Ebenen. Einerseits wird über Steinhäuser und seine monströse Tat erzählt, jedoch immer nur indirekt und vermittelt, etwa durch Gespräche mit dem Dramatiker, der aus dem Stoff so leichthändig ein Theaterstück verfasst hat, dass es den Ich-Erzähler schaudert. Oder er studiert den Gasser-Bericht, der auf 371 Seiten die Vorgänge vor und während der Tat minutiös rekonstruiert, wobei doch viele Fragen unbeantwortet bleiben. Auch die Geschichte der damals einzigen Traumatherapeutin in ganz Thüringen, die später die vielen Fehler nach dem Amoklauf beklagen sollte, die aus Unwissen oder mangelndem Willen gemacht wurden, kreist um die Tat. Der Mittdreißiger ist seit seiner Kindheit selbst in Therapie. Er weiß, dass Traumabewältigung nicht bedeutet, zu trauern, "nicht mal, mit Trauer umzugehen", sondern dass es einzig darum geht, wieder Boden unter die Füße zu bekommen.

Auf der anderen Ebene handelt der Roman von den Plänen, Gedanken und Zweifeln des Ich-Erzählers: Vierzig offene Tabs "hängen wie schwarze Trauben" über der Adresszeile seines Computers, die Titel tragen wie "Steinhäuser", "Gutenberg-Gymnasium", "Opfer", "Taliban", "Glock 17", "Mossberg 590", "Waffengesetz Thüringen", "Gedenktafel", "Wie Trauma erkennen" oder "Dom": Er sieht die Dateien und klappt den Laptop wieder zu.

Der deutsch-französische Schauspieler Pascal Houdus findet für die dialogische Struktur des Romans, die vielen Gespräche und Selbstgespräche, die passenden Nuancen. Selbst dass der Roman nicht chronologisch erzählt, sondern Orte und Zeiten unentwegt wechseln, was für eine Lesung eine Herausforderung ist, meistert er so gekonnt, dass wir ihm mühelos folgen können von der Kindheit in die Gegenwart, von Frankfurt nach Erfurt, München, Prag, ins Elsass und nach Bamberg.

In Frankfurt versucht der hadernde Autor mit seiner Freundin den Alltag zu meistern, doch sein Romanprojekt macht ihn nervös. Sich der gewaltvollen Geschichte anzunehmen, kommt ihm zunehmend anmaßend vor, während Hatice gerade ihre erste eigene Ausstellung kuratiert und mit sich selbst genug zu tun hat. Und dann ist da noch Frau Czerny, die Therapeutin, die dem Ich-Erzähler beibringt, innere Listen zu erstellen, wenn alles zu viel wird. Seine Liste besteht aus Ländern mit kleinen Hauptstädten. Am Ende des Romans werden viele dieser Länder genannt worden sein.

Das Romanprojekt, von dem "Die Ausweichschule" erzählt, trägt den Titel "Unterm Herrenberg" und wird bald selbst zu einem Ausweichroman. Vor lauter Skrupeln, in die Falle zu tappen und dem Voyeurismus zu erliegen, flüchtet sich der Autor auf Nebenschauplätze und sucht in Ausweichmanövern den dunklen Kern der Tragödie zu umschiffen, um stattdessen von dem Jungen zu erzählen, der er einmal war und der mit 700 anderen Schülern nach dem Amoklauf in eine "Ausweichschule" ausgelagert wurde. So erzählt dieser faszinierende Roman von einem letztlich gescheiterten Projekt eines Schriftstellers, das seine Höllenfenster geöffnet hat - eben darin liefert Kaleb Erdmann eine kluge und bewegende Reflexion über die Macht und die Ohnmacht von Gewalt und Literatur. SANDRA KEGEL

Kaleb Erdmann:

"Die Ausweichschule". Roman.

Gelesen von Pascal Houdus. Hörbuch Hamburg, Hamburg 2025. Digital, 383 Min., 18,95 Euro. Erscheint zeitgleich mit dem Buch (park x ullstein Verlag) am 31. Juli.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.

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Von Monsieur am 22.09.2025

Der Wahrheit nicht länger ausweichen

Wohl jeder Schriftsteller kennt jenes seltsame, manchmal quälende Phänomen: Eine Geschichte, die tief im eigenen Inneren ruht womöglich eng verknüpft mit persönlichen Erfahrungen , bleibt lange ungesagt. Sie liegt verborgen, schweigt über Jahre hinweg, bis sie sich langsam, fast unmerklich, nach außen drängt. Irgendwann aber ist der Augenblick gekommen, in dem sie geschrieben werden muss. Selten jedoch ist der Kern einer solchen Geschichte so erschütternd wie bei Kaleb Erdmann, der in seinem jüngsten Werk Die Ausweichschule, das vom Verlag als Roman bezeichnet wird, auf den Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium zurückblickt. Als Elfjähriger war er damals Augenzeuge. Nun, mehr als zwei Jahrzehnte später, wagt er es, dieses Trauma in literarische Form zu bringen. Zunächst könnte man annehmen, es handle sich um ein klassisches Projekt der Verarbeitung: Ein Autor versucht, ein einschneidendes Erlebnis durch Schreiben zu bewältigen. Doch gleich zu Beginn wird klar, dass Erdmann weit mehr beabsichtigt. Er findet eine ungewöhnliche Form, die Erlebnisse, ihre Folgen und die eigenen Reflexionen in einen Text zu verwandeln, der sich jeglicher einfachen Zuordnung entzieht. Das Buch wirkt wie eine Meta-Erzählung, beinahe wie ein Making-of zum eigenen Roman. Auslöser ist ein Dramaturg, der Erdmann für Recherchen zu einem Theaterstück zum Thema Amoklauf kontaktiert und damit alte Wunden aufreißt. Plötzlich sieht sich der Autor gezwungen, sich erneut mit einem Teil seiner Kindheit auseinanderzusetzen, der lange im Verborgenen schlummerte. Erdmann war Teil des Geschehens, hat den maskierten Täter gesehen, die Panik gespürt und die Nachwirkungen Medienberichte, Therapien, Gespräche hautnah erlebt. Zugleich hat er jedoch keine unmittelbare Gewalt oder Tote mit eigenen Augen gesehen. Diese ambivalente Position wirft für ihn selbst die Frage auf, ob er überhaupt als glaubwürdiger Chronist gelten kann. Gerade diese Unschärfe führt jedoch zu einer literarischen Form, die sich von einem bloßen Augenzeugenbericht deutlich unterscheidet. Das Buch ist weder bloße Dokumentation noch reine Recherche, es ist kein Sachbuch, und es ist doch all das zugleich erweitert um den Blick des Suchenden, Zweifelnden, Reflektierenden. So entsteht ein Text, der seine Kraft gerade aus dieser Vielschichtigkeit bezieht. Erdmann lädt seine Leser ein, Teil eines Denkprozesses zu werden. Statt eine klare Chronologie der Ereignisse zu liefern, öffnet er den Raum für Fragen, Unsicherheiten, Widersprüche. Erinnerungen erweisen sich nicht als unverrückbare Fakten, sondern als fragile Konstrukte, die sich im Nachhinein verschieben können. Erdmann beschreibt, wie er während des Schreibens immer wieder an den Punkt gelangt, vermeintlich gesicherte Erinnerungen in Frage zu stellen. Was lange als wahr galt, wirkt plötzlich brüchig. Neue Deutungen entstehen, frühere Ansichten erscheinen absurd oder zumindest fragwürdig. Gerade diese Offenheit macht den Roman so eindrucksvoll. Ein hochbrisantes Thema ein Schulmassaker wird hier nicht nur von außen beschrieben, sondern von innen her ausgeleuchtet. Unterschiedliche Perspektiven werden miteinander verflochten, ohne dass am Ende ein endgültiges Resümee gezogen würde. Vielmehr zeigt sich: Der Weg der Auseinandersetzung ist selbst das Ziel. Erdmanns Versuch, mit dem eigenen Trauma ins Reine zu kommen, berührt mindestens so sehr wie seine Schilderungen des Tages selbst. Eine besondere Stärke des Romans liegt darin, dass er auch die vermeintlichen Nebensächlichkeiten ernst nimmt. Kleine Irritationen, offene Fragen, unklare Erinnerungen alles, was in offiziellen Berichten oder Therapiegesprächen kaum Platz findet , werden hier zu zentralen Elementen. So erinnert er sich etwa an eine Schulsituation nach der Tat: die Frage, wer den Pinguin-Test korrigieren würde, den die Klasse kurz vor dem Amoklauf bei der später ermordeten Lehrerin geschrieben hatte. Für ein Kind mag dies banal erscheinen, doch in Wahrheit zeigt sich darin der tiefe Bruch, der Verlust von Normalität und die Unfähigkeit, das Geschehen in vertraute Abläufe einzuordnen. Gerade diese Details verleihen dem Text seine Authentizität und bringen dem Leser die menschliche Seite einer Katastrophe nahe, die sonst oft nur in nüchternen Zahlen oder reißerischen Schlagzeilen erscheint. Besonders eindrucksvoll ist die Metapher der Ausweichschule: Jene Einrichtung, in die die Kinder nach der Tat gebracht wurden, um so etwas wie Normalität zurückzugewinnen, wird für Erdmann zum Sinnbild einer viel größeren Suche. Sie steht für den Versuch, einen Weg zurück ins Leben zu finden einen Weg, der oft zu früh als abgeschlossen galt, obwohl er es nie wirklich war. Auch für Leser, die den Amoklauf nur aus den Nachrichten kennen oder vielleicht noch zu jung waren, um ihn bewusst mitzuerleben, öffnet das Buch neue Perspektiven. Man erfährt von inneren Bewegungen, die in keiner Berichterstattung, keiner Fachliteratur und kaum in Therapien vorkommen würden. Diese unscheinbaren Momente, die nie Schlagzeilen machen, sind es, die den Roman so einzigartig und eindringlich machen. Die Ausweichschule ist damit weit mehr als eine autobiografische Spurensuche. Es ist ein literarisches Experiment, das die Grenzen zwischen Dokumentation, Fiktion und Reflexion verschwimmen lässt. In seiner schonungslosen Ehrlichkeit, in seiner Bereitschaft, auch Widersprüche auszuhalten, schafft Erdmann ein Werk, das lange nachhallt. Ein starkes, verstörendes und zugleich erhellendes Buch, das zeigt, wie Literatur selbst das Unaussprechliche in Sprache fassen kann.
Von Anonym am 19.09.2025

Antiseptikum

Es fällt mir schwer, Die Ausweichschule von Kaleb Erdmann wie einen gewöhnlichen Roman zu bewerten. Dieses Buch ist kein leichter Begleiter für den Strand, keiner, den man in einem Atemzug wegschnökert. Es erzählt eine wahre Geschichte, die von Gewalt, Leid und dem Überleben handelt. Allein schon deshalb wäre es unpassend, eine einfache Sternebewertung abzugeben, wie man es vielleicht bei einem fiktionalen Roman tun würde. Ich habe den Text nicht verschlungen, sondern musste ihn immer wieder zur Seite legen, ja, mich sogar zeitweise mit einem anderen Buch ablenken. Die Nüchternheit, die Tatsachenberichte oft mit sich bringen, ließ mich anfangs nicht sofort hineinfinden. Auch baut sich die Erzählung nur langsam auf, beinahe tastend. Doch gerade darin liegt ihre Authentizität: Man spürt, wie schwer es dem Erzähler fällt, die schmerzvollen Erinnerungen hervorzuholen, und wie er sich Schritt für Schritt an das Herzstück seiner Geschichte heranwagt. Diese Zögerlichkeit ist keine Schwäche, sondern macht die Darstellung realistisch und glaubwürdig. Dass Kaleb Erdmann schreiben kann, steht außer Frage. Er ist ein Ästhet, und er zeigt, dass Literatur Kunst sein kann. Um Die Ausweichschule zu begreifen, muss man es als Gesamtkunstwerk betrachten. Jede Länge, jede scheinbare Umwegbewegung gehört zum Prozess der Verarbeitung und macht spürbar, wie tief das Erlebte in ein Leben eingreift. Dieses Aushalten sowohl für den Autor als auch für den Leser ist Teil der Erfahrung, die das Buch vermittelt. Trost spendet die Sprache selbst: Erdmanns Worte legen sich wie eine heilende, antiseptische Schicht über die Brutalität der Ereignisse. Er schreibt nicht bloß, er malt mit einer Besonnenheit in der Wortwahl, die Genuss bereitet, auch wenn das Thema schwer wiegt. Man merkt jeder Seite an, dass hier jemand am Werk ist, der Literatur nicht nur studiert hat, sondern sie mit Hingabe lebt. Am Ende bleibt bei mir ein Eindruck, der sich schwer in Zahlen fassen lässt: Dieses Buch war für mich wie ein Museumsbesuch. Dort begegnet man nicht nur Schönem, sondern auch Bildern, die schwer auszuhalten sind und doch hinterlassen sie durch ihre präzise Machart ein ästhetisches Erlebnis, ja sogar einen Genuss.
Kaleb Erdmann: Die Ausweichschule bei hugendubel.de. Online bestellen oder in der Filiale abholen.