Warmherzig, ehrlich und quietschlebendig: Dieses Buch ist eine Wohltat!
Kinder sind von sich aus unbefangen, wenn es um den Tod geht. Sie wollen alles wissen, was damit zu tun hat. Wie fühlt sich Sterben an? Was passiert dabei mit dem Körper? Wie funktioniert ein Krematorium? Und was genau macht eine Bestatterin? Vorher, nachher, mittendrin: "Radieschen von unten" zeigt umfassend alles, was rund um einen Tod geschieht. In einer wunderbaren Mischung aus Sachlichkeit und Herzlichkeit, tiefem Ernst und entlastenden Witzen geht es um spannende Rituale, kuriose Todesfälle, die Erlebnisse eines Friedhofsgärtners, die Trauer der Tiere und vieles mehr.
Nach ihren beliebten Büchern rund um Körper und Sexualität (u. a. "Klär mich auf!") widmen sich Katharina von der Gathen und Anke Kuhl erneut einem existenziellen Thema. Entstanden ist ein tröstliches, augenöffnendes Buch, das uns, egal welchen Alters, den Tod freundlich anschauen lässt.
Preise und Auszeichnungen:
Besprechung vom 10.08.2025
Hundegespenster dürfen sogar aufs Sofa
Das Haustier stirbt, die Großeltern und manchmal sogar die Mutter oder der Vater. Zehn neue Kinderbücher, die von Sterben, Tod und Abschied erzählen
Von Bettina Hartz
Den kleinen roten Drachen, den Egon zusammen mit seinem Vater im Krankenhaus gebaut hat, lässt der Junge nicht mehr los. Er ist das Kind, dessen Vater "für immer" fort ist. Das ist "länger als unendlich und ungefähr so lang wie ewig". Aber das wird Egon erst mit der Zeit bewusst. Als die Beerdigung vorbei ist und niemand mehr sagt: "Das arme Kind!" und es nichts mehr zu tun und nichts mehr zu sagen gibt. Als die anderen beginnen, ihn zu meiden, als hätte er eine ansteckende Krankheit - weil sie nicht wissen, was sie sagen, wie sie ihn trösten sollen. Sogar diejenigen, von denen Egon glaubte, dass sie Freunde wären, weichen ihm aus. Da fängt die Trauer erst richtig an, und Egon könnte gut jemanden brauchen, der bei ihm ist und mit ihm die Schnur des roten Drachens hält, diese letzte, fragile Verbindung zu seinem Vater, der mit jedem Tag mehr aus Egons Leben und seiner Erinnerung zu verschwinden droht.
"Für immer" von Kai Lüftner und Katja Gehrmann ist ein schmales Buch über die Trauer eines Kindes und die Angst vorm Alleingelassensein (Beltz & Gelberg, ab 5 Jahren). Doch alles, was wichtig ist, wird darin gesagt, oder Katja Gehrmann erzählt es mit ihren lasierten Buntstiftzeichnungen, in denen jeder Ausdruck, jede Körperhaltung, jedes Geschehen in der nicht von Trauer betroffenen Umgebung stimmt. Mit dem roten Drachen, der im Text von Kai Lüftner gar nicht vorkommt, hat sie für Egons Trauer das Bild gefunden, das einen den existenziellen Verlust und den Prozess des Abschiednehmens und Neuen-Lebensmut-Findens mitfühlen lässt.
Trauer und Tod sind selbst für Erwachsene nur schwer zu bewältigende Erfahrungen. Kinder trauern anders und finden schneller ins Leben zurück, aber auch sie trauern vor allem für sich, im Spiel, beim Malen, in ihren Träumen.
Dass Vater oder Mutter sterben, solange die Kinder klein sind, ist wohl die zweitgrößte Angst im Leben der Eltern, nach der, das eigene Kind könnte sterben. Sich dieser Angst im Kinderbuch zu stellen, erfordert Mut. Joana Dürnberg hat mit "Mamas Schal" (Minedition, ab 3 Jahren) ein ganz ähnlich gestricktes Buch wie Lüftner und Gehrmann geschrieben, nur ist hier alles viel zu "erwachsen" gedacht.
Der etwa vierjährige Otis und sein Papa bereden darin die Trauer über den Tod der Mutter. Sie zählen Sachen auf, die sie gern mochte oder was sie noch vorhatte und nun nie mehr tun können wird: am Schiefen Turm von Pisa Pistazieneis essen etwa, was an das Buch "100 Places to See Before You Die" erinnert, nur dass jetzt leider der Tod zu früh kam. Man lernt die tote Mutter über ihre unerfüllt gebliebenen Wünsche kennen, aber ihre Wünsche sind so wenig individuell, dass sie weder Interesse noch Mitgefühl wecken. Statt der Mutter fährt dann Otis mit seinem Vater nach Pisa, und die Doppelseite "Pisa" zeigt uns genau das, was auch der Text erzählt - und verschenkt die großartigen Möglichkeiten der Gattung, die sich immer dann erfüllen, wenn Bild und Text, wie bei Lüftner und Gehrmann, je eigene Wege gehen und dennoch zu einer gemeinsamen Gesamtkomposition finden.
Auch Marion Hübingers und Sonia Eliashvilis "Eine Tüte voll Papa" (Susanna Rieder Verlag, ab 3 Jahren) erzählt vom Tod eines Elternteils und erreicht nicht die Qualität von "Für immer". Es ist ganz verliebt in seine Idee, den samstäglichen Gang von Kind und Vater zur Bäckerei, den die Mutter nach der Beerdigung zusammen mit dem Kind wieder aufnimmt, als Leitmotiv zu etablieren, und vergisst darüber, die entwurzelnde Erfahrung des frühen Vaterverlusts, die das Leben des Kindes ab sofort grundiert, ernst zu nehmen. Man bekommt den Eindruck, eigentlich wichtig für das Kind sei der gewohnte Kauf des selbst ausgesuchten Zuckerkringels, und als der wieder stattfindet, ist seine Welt rundum in Ordnung.
Dass es ein Buch über Trauer, Tod und Sterben, aber auch übers Trösten, Erinnern, Gebären, Sich-Verlieben und Neu-Anfangen gibt, haben wir Sophia Bartenstein und Andrea Peter sowie dem Schweizer Verlag Vatter & Vatter zu verdanken, die das Wagnis eingegangen sind, selbst Zweijährigen auch die traurigen Seiten des Lebens zu zeigen. "Das Wimmelbuch vom Abschiednehmen" begleitet das Nebeneinander und Miteinander von alten und jungen, gesunden und kranken, heimischen und neu ankommenden Menschen mit ihren unterschiedlichen Gefühlen, Träumen und Ängsten. Beim Betrachten lassen sich immer mehr Details und Bezüge entdecken, erschließen sich Vorgeschichten und entwickelt man Ideen dafür, wie es mit denen, die noch am Leben sind, weitergehen könnte. Dabei haben die Autorinnen darauf geachtet, dass sich auch ganz alltägliche Situationen, die jedes Kind kennt, wie Trennungsschmerz, Ärger, Wut, Streit, mit den außergewöhnlichen Momenten mischen - und auch die kleinen und großen Freuden des Lebens sind mit dabei. Das Buch ist eine wahre Schule der Empathiebildung.
Dass der Tod, jedenfalls der eines Haustiers, auch eine positive Seite haben kann, davon erzählen Frauke Angel und Elisabeth Kihßl in "Ein eiskalter Fisch" (Verlagsanstalt Tyrolia, ab 5 Jahren). Schon der doppeldeutige Titel ist genial, denn der tote Onno, der einzige Fisch im Aquarium des namenlos bleibenden Erzähler-Kindes, ist zwar ein toter, also erkalteter Fisch - ein "eiskalter Fisch" in übertragener Bedeutung aber ist der Vater, nämlich ein absoluter Antikuscheltyp. Nun aber laufen ihm zum Erstaunen des Kindes beim Anblick des toten Onno die Tränen übers Gesicht (wenn auch aus anderen Gründen, als das Kind vermutet, wie man als Erwachsener im Laufe der Geschichte erahnt), und plötzlich nimmt er seinen Sohn in die Arme und entwickelt ein ausgiebiges Kuschelbedürfnis, eine richtiggehende "Kuscheltyperei", die die Traurigkeit verfliegen lassen kann. Dann ist Zeit für die Beerdigung, bei der die Familie wieder zueinander findet und der Vater flüstert: "Wir lieben dich", damit aber nicht den toten Onno meint.
Kinder lieben Haustiere, fast alle wollen eins haben: Fische, Kaninchen, Hamster, Katzen, Hunde. Wie es ist, wenn der Hund, den das Kleinkind als Spielgefährten und Beschützer kannte, alt und krank wird (Hunde altern etwa fünfmal so schnell wie Menschen), erzählen Burkhard Spinnen und Andrea Stegmaier in "Beppo wird alt" (Coppenrath, ab 3 Jahren). Beppo wird demnächst 13 Jahre alt, hat jetzt ein Bäuchlein, eine tiefe Stimme und graues Fell, er hört schlecht, und beim Spazierengehen muss man auf ihn warten. Das Kind weiß, dass Beppo bald sterben wird, aber ob Beppo das auch weiß, da ist es sich nicht so sicher.
Ein Gespensterhund ist dagegen Herschel. Er lebte bei Familie Mick, war uralt, als er starb, und hatte Schmerzen beim Gehen. Durch die Einschlafspritze des Tierarztes verwandelte er sich in ein Hundegespenst, das nur noch Leichtigkeit verspürt und Freude. "Man sieht ihn nicht. Man hört ihn nicht. Aber man spürt ihn!" Am liebsten macht er ein Gespensternickerchen auf dem Sofa - Hundegespenster dürfen das. Und jeder im Haus, Vater, Mutter, Kind, hat sein eigenes Hundegespenst, mit dem gesprochen wird und dem man innerlich verbunden bleibt. Thomas Meyer und Magali Franov haben mit "Herschel, der Gespensterhund" (Atlantis, ab 4 Jahren) ein wunderbares Bild für die schwebende Anwesenheit der Toten gefunden und für den kindlichen Prozess des Abschiednehmens, das sinnlich ist und voller schnell umschlagender Gefühle.
Wie die Geburt hat der Tod für Kinder etwas Faszinierendes. Er beschäftigt sie, auch wenn sie nicht unmittelbar mit ihm konfrontiert sind. Und wie alles, was ihnen begegnet, bauen sie auch den Tod in ihre Spiele ein. So auch Ester, deren kleiner Bruder Putte und der Ich-Erzähler in Ulf Nilssons und Eva Erikssons Buch "Die besten Beerdigungen der Welt" (Moritz, ab 5 Jahren). Eine tote Hummel ist der Auftakt für ihr Beerdigungsinstitut, das sich um alle toten Tiere in der Welt kümmern und diesen eine würdevolle Bestattung ermöglichen will. Ester, als Älteste, ist fürs Graben zuständig, das Ich für die Totengedichte und Putte, dem das alles sehr zu Herzen geht, fürs Weinen.
Die Kinder gehen mehr und mehr in ihren Rollen auf, aber als sie am Abend aus nächster Nähe eine Amsel sterben sehen, ist das Spiel kein Spiel mehr, sind die Kinder tief ergriffen. Etwas vom großen Geheimnis hat sich ihnen mitgeteilt und sie ihre eigene Sterblichkeit spüren lassen. Die Autoren scheuen weder vor dem kindlichen Sadismus, der sich bei Ester zeigt, noch vor der genauen Beschreibung der toten Tierkörper zurück, die Erzählung ist realistisch genau und direkt und lässt sich auf viele verschiedene Arten vortragen und interpretieren: humorvoll, tieftraurig, ironisch-pathetisch. Wie von selbst führt sie zum Nachdenken und zu Gesprächen über Leben und Tod.
Keine Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen, haben auch Katharina von der Gathen und Anke Kuhl in "Radieschen von unten" (Klett Kinderbuch, ab 8 Jahren), dem "bunten Buch über den Tod für neugierige Kinder". Das renommierte Autorinnen-Illustratorinnen-Duo beleuchtet darin so ziemlich jeden Aspekt des Sterbeprozesses, thematisiert Abschied, Trauer und Tod, Todesarten, Bestattungsformen und Totengedenkfeiern und auch das beredte Schweigen über den Tod. Nicht nur Kinder im Grundschulalter erfahren hier viel, was sie sich (vielleicht) nicht zu fragen trauen, auch für Erwachsene birgt das Buch Nichtgewusstes, Tabuisiertes, und die comichaften Zeichnungen halten gekonnt die Balance zwischen Augenzwinkerei und Ernst.
Einem Fluch oder bösen Zauber ein Schnippchen zu schlagen, dem Tod mit List noch mal von der Schippe zu springen, einen Verstorbenen ins Leben zurückzuholen, davon erzählen Sagen und Märchen oft mit brutaler Drastik. Viele Kinder sind fasziniert von solchen Geschichten, und nicht immer ist es eine gute Idee, sie in harmlosen Überarbeitungen zu neutralisieren. Dayeon Auh hat jedoch dem koreanischen Märchen "Samnyeongogae" in ihrer Adaption "Ein Berg, ein Sturz, ein langes Leben" (Nord Süd, ab 4 Jahren) - der Geschichte über einen verhängnisvollen Berg, auf dem zu stürzen einem Todesurteil gleichkommt - eine wunderbare Wendung gegeben, ohne den ernsten Kern zu beschädigen. Die Prophezeiung, dass, wer auf dem Weg über den Berg hinfällt, nur noch drei Jahre zu leben habe, verwandelt sie durch den Mund eines gewieften Kindes in eine Lebensverlängerungskraft. Der Fluch wird zu einem Segen: Wer einmal stürzt, lebt noch drei Jahre, wer zweimal stürzt, noch sechs, wer zehnmal stürzt, noch dreißig Jahre! Mit Begeisterung wirft sich der Großvater, der sich durch seinen Sturz schon dem Tode geweiht sah, auf dem Berg auf den Boden, springt sofort wieder auf, nur um wieder und wieder hinzufallen. Ein richtiger Trickster ist aus ihm geworden.
Das düstere Märchen aber hat sich in eine Erzählung über die Liebe zum Leben verwandelt und über die wirklichkeitsverändernde Macht von Gedanken und Glaube. Dayeon Auhs Lithographien sind so lebensfroh wie diese Geschichte, eine richtige Fauve-Landschaft hat sie gemalt, mit einer in allen Farben strotzenden Vegetation und einem punkigen Hipster-Opa, der am Ende die Angst vorm Sterben verloren hat.
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