Die Protagonistin in Kathrin Bachs Debütroman Lebensversicherung leidet unter einer Angststörung:
Ich habe Angst, seitdem ich drei bin. Ich habe meine Angst und die Angst meiner Mutter. Ich habe die Angst meines Vaters. Die Angst von Oma F und Opa F. Die Angst von Oma G und Opa O.
Ich habe die Angst unseres Dorfes und die Angst des Neubaugebiets. Ich habe Angst, weil immer was passieren kann.
Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in der westdeutschen Provinz, Ende der 90er Jahre. Die Eltern führen das Versicherungsunternehmen der Großeltern weiter. Das Geschäft läuft gut, bewirkt aber bei der Ich-Erzählerin, dass von klein auf immer drohende Gefahren und Ängste ihr Leben beeinflussen.
Ich bin drei Jahre alt und habe Angst.
Ich bin drei Jahre alt und am meisten Angst habe ich davor, dass alle sterben. Ich bin neun Jahre alt und am meisten Angst habe ich davor, dass alle sterben. Ich bin achtzehn Jahre alt und am meisten Angst habe ich davor, dass alle sterben. Ich bin vierunddreißig Jahre alt und am meisten Angst habe ich davor, dass alle sterben.
Weil immer was passieren kann.
Weil Opa F gestorben ist.
Weil Opa O gestorben ist.
Weil Oma F gestorben ist.
Weil Oma G gestorben ist.
Weil mein Onkel gestorben ist.
Und weil alle anderen sterben werden.
Weil wir alle sterben werden.
Weil immer was passieren kann.
Weil ich weiß, dass es keine Versicherung gibt, die davor schützt.
Weil ich weiß, dass Zeit vielleicht Geld, aber Geld eben doch keine Zeit ist.
Besonders das Leben im Dorf ihrer Kindheit fand ich sehr authentisch dargestellt:
Was passiert,
wenn etwas in unserem Dorf passiert
[...]
Wenn jemand in unserem Dorf stirbt, läutet die Totenglocke. Sie ist leiser als die Glocken, die zur halben oder vollen Stunde läuten. Immer, wenn etwas Schlimmes passiert, wird meine Mutter von der Nachbarin angerufen. Zusammen kennen meine Mutter und die Nachbarin die Todesursache von schätzungsweise neunzig Prozent der Menschen aus dem Dorf.
Auch als Erwachsene bleiben diese Ängste; als Corona kommt, teilt die Protagonistin diese immerhin mit vielen Menschen:
März 2020.
[...]
Kurze Zeit später ist mein Onkel ein Risikopatient. Mein Vater ist auch ein Risikopatient. Ich bin keine Risikopatientin. Aber ich habe Angst. Fast alle haben Angst. Endlich haben fast alle Angst.
Das Buch lässt mich etwas ratlos zurück. Es hatte durchaus seine guten Momente, der Schreibstil ist auf jeden Fall ungewöhnlich, was sicher auch ein (berechtigter) Grund war, dass das Buch für die Longlist des Deutschen Buchpreises nominiert war.
Mich konnte der eher nüchterne, distanzierte Schreibstil jedoch leider nicht berühren.
Insgesamt ein interessantes Leseerlebnis zum Thema Ängste und dem Wunsch nach Absicherungen, dem ich 3/5 Sterne vergebe.
Vielen Dank an den Verlag und an NetGalley für dieses Rezensionsexemplar!