Auch ich habe mir mit Interesse auf Instagram die Videos angeschaut, in denen ein freundlicher älterer Herr sehr fundiert die Fragen einer jungen Frau beantwortet hat, Fragen nach literarischen Vorlieben, nach den wichtigsten Büchern des 20. Jahrhunderts, nach über- und unterschätzten Autoren und viele mehr. Klaus Willbrand hieß der Mann, der sich sein ganzes Leben intensiv mit Literatur beschäftigt hat. Er war gelernter Buchhändler und Antiquar und hat über zwanzig Jahre lang ein gut sortiertes Antiquariat in Köln, in der Nähe der Universität, geführt. Anfang 2024 steht er vor der Frage, ob er sein Geschäft, das schon während der Corona-Pandemie in Schieflage geriet, schließen muss. Da hat seine junge Kundin und Freundin Daria Razumovych, eine Germanistin und Social Media-Expertin, die Idee, Videos mit Buchempfehlungen auf TikTok und Instagram hochzuladen. Nicht nur sein Antiquariat erhielt neuen Zulauf, nein, innerhalb kürzester Zeit wurde Willbrand als ältester Bookfluencer Deutschlands bekannt. Er begeisterte über 150.000 Follower mit seiner Leidenschaft für gute Literatur und widerlegte das Vorurteil, das Buch sei ein aussterbendes Medium.
Klaus Willbrand ist im Januar im Alter von 83 Jahren gestorben und posthum erscheint nun sein Vermächtnis. Einfach Literatur heißt das Buch, das er gemeinsam mit Daria Razumovych geschrieben hat und das kein verbindlicher Kanon sein will, sondern ein Literaturverführer, wie es auf der Rückseite heißt.
Es ist eine Mischung aus Biografie und literarischen Empfehlungen.
Schon sehr früh fand Klaus Willbrand Zugang zu Büchern. Mit fünf Jahren musste er wegen seinem starken Asthma ins Krankenhaus, wo er sich aus Langeweile selbst das Lesen beibrachte. Der Grundstock für eine lebenslange Leidenschaft war gelegt. Sein Weg führte ihn in den Buchhandel, zeitweise auch in die Verlagswelt. Dabei machte er Bekanntschaften mit Schriftstellern wie Heinrich Böll, den er auch als Mensch schätzen lernte oder Rolf Dieter Brinkmann, mit dem ihn bis zu dessen frühen Tod eine enge Freundschaft verband. Mit dem Dichter H.C. Artmann zog er um die Häuser. Das hatte wenig mit Literatur zu tun, bekennt Willbrand freimütig. In seine Erinnerungen flicht er einige Anekdoten ein, die den Lesenden schmunzeln lassen. So hat er z.B. einmal Günter Grass vor den Kopf gestoßen, weil er kein Autogramm von ihm wollte.
Es war kein bürgerliches Leben, das Klaus Willbrand geführt hat. Immer wieder beginnt er etwas völlig Neues. So gönnt er sich auch ein dreijähriges Lesesabbatical. In dieser Zeit unternimmt er nichts, außer lesen. Dabei legt er sich eine literarische Basis an, von der wir alle nun profitieren dürfen.
Zwischen den unterhaltsamen Geschichten aus seinem Leben folgen Abschnitte über die Literatur, beginnend mit der deutschsprachigen, dann der angloamerikanischen und endend mit der französischsprachigen Literatur. Alle drei Großkapitel schließen mit einer langen Liste der wichtigsten Schriftsteller und Schriftstellerinnen.
Romane aus dem asiatischen und dem afrikanischen Raum sucht man hier allerdings vergebens. Ein kleines Manko, das aber durch die Art, wie Klaus Willbrand Bücher und Autoren vorstellt, ausgeglichen wird. Kurz und prägnant, dabei immer fundiert und respektvoll schreibt er über die einzelnen Werke und deren Schöpfer, greift Besonderheiten heraus, so z.B. die Ironie und die elegante Sprache bei Thomas Mann, die Hellsichtigkeit Kafkas und an Joseph Conrad schätzt er dessen Auseinandersetzung mit anderen Kulturkreisen. Hans Fallada will er nicht als Unterhaltungsschriftsteller abgestempelt sehen. Virginia Woolf gesteht er ewige Bedeutung zu und an Proust führt für ihn kein Weg vorbei.
Eine Leseliste mit deren bedeutendsten Werken findet sich bei einigen Schriftstellern
Bei vielen der angesprochenen Bücher werden bei mir Leseerinnerungen wach und nicht bei wenigen habe ich Lust bekommen auf eine Zweitlektüre. Andere wiederum stehen schon seit langem auf meiner unendlichen Leseliste und bei manchen wurde erstmals mein Interesse geweckt. So ist das Buch nicht nur für Menschen, die Zugang zu guter Literatur finden möchten, sondern auch für Literaturkenner lesenswert.
Einfach Literatur ist eine Einladung an alle, die das weite Reich der Literatur für sich entdecken wollen. Denn: Am Ende des Tages heißt es: lesen, lesen, lesen