
Besprechung vom 06.11.2025
Polnische Backkunst mit jüdischen Wurzeln
Die polnische Küche ist bekannt für ihre herzhaften, deftigen Gerichte. Legendär sind die Teigtaschen Pierogi, gefüllt mit Quark, Zwiebeln oder Pilzen. Aber auch köstliche Suppen gehören östlich der Oder-Neiße-Grenze zu einem guten Mittagessen dazu. Viele enthalten Rote Beete wie zum Beispiel Barszcz oder Chlodnik, andere schmecken leicht säuerlich wie Zurek, eine saure Mehlsuppe mit Wurst und Ei. Und für das mächtige Nationalgericht Bigos köchelt ein großer Topf voll Sauerkraut, getrockneten Pilzen und Fleisch stunden- und tagelang vor sich hin. Sowieso haben die Polen eine Schwäche für saure Speisen und eingelegtes Gemüse - Sauerkraut und Essiggurken gehören zu den wichtigsten Zutaten.
Süße Backwaren hingegen verbindet man spontan kaum mit der kulinarischen Tradition unseres Nachbarlandes. Das ist ein Fehler, denn auch in den polnischen Bäckereien und Konditoreien gibt es viel zu entdecken. Wobei die meisten Teigwaren nicht durch ein Übermaß an Süße hervorstechen. Mit dem Zucker geht man in Polen nicht nur in der Küche, sondern auch in der Backstube erfreulich sparsam um.
Passenderweise hat sich die Bäckerin Laurel Kratochvila auch über einen kuriosen Umweg in polnische Backwaren verliebt. Sie suchte nach guten eingelegten Essiggurken und betrat zufälligerweise eine polnische Bäckerei. Der Besuch wurde für sie zu einem kulinarischen Erweckungserlebnis. Die gebürtige Amerikanerin lebt seit vielen Jahren in Europa und führt die Bäckerei Fine Bagels in Berlin, die auf jüdische Backwaren spezialisiert ist. Sie hat sich in Frankreich zur Bäckerin ausbilden lassen und selbst polnisch-jüdische Wurzeln - ihre Vorfahren stammen aus der Nähe von Warschau.
Kratochvila erklärt in ihrem hervorragenden "Polen-Backbuch", warum die polnische Backtradition jüdisch geprägt ist. Viele Bäckereien und Konditoreien in Polen waren vor dem Krieg in jüdischer Hand, schreibt Kratochvila in ihrem Buch, dessen Rücken in den polnischen Nationalfarben gehalten ist. Viele polnische Juden, die auf der Flucht vor den Nazis emigrierten, nahmen ihre Backrezepte mit in ihre neue Heimat, wo neue Einflüsse hinzukamen. Die polnisch-jüdische Backtradition bringt die Autorin auf den gemeinsamen Nenner "Dobre, dobre, nie za slodkie" - lecker, aber nicht zu süß.
Mehr als 100 ihrer liebsten Backrezepte hat Kratochvila in ihrem Backbuch versammelt. Nicht alle Teigwaren sind süß, viele auch herzhaft. Klassiker der polnischen Backtradition sind dabei wie Käsekuchen, Zwiebelfladen, Mohnstriezel, Windbeutel, Baisertorte, Mazurek, Engelsflügel, Chalka und Apfelkuchen. Aber auch New Yorker Bagels führt die Autorin auf polnische Wurzeln zurück. Zu vielen Rezepten erzählt sie kleine Anekdoten.
Die ansprechenden Rezeptfotos stammen von Malgosia Minta und machen große Lust, sich gleich selbst die Schürze umzubinden und zur Tat zu schreiten. Etwas Geschick ist nötig: Der Hefeteig zum Beispiel ist anspruchsvoll, aber der Aufwand lohnt sich. Wenn er gelingt, wirft er große Blasen und schmeckt wunderbar zart.
Ob aus Milchteig, Sauerteig, Hefeteig, Mürbeteig oder Brandteig, das Nachbacken lohnt sich. Mit dem Polen-Backbuch von Kratochvila wird die Fangemeinde der polnischen Backkunst mit Sicherheit wachsen. RAINER SCHULZE
Das Polen-Backbuch,
Laurel Kratochvila, Prestel-Verlag, München 2025, 320 Seiten
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