Ich bin bei diesem Buch ehrlich gesagt ziemlich hin- und hergerissen. Es hat auf alle Fälle Potenzial: sprachlich raffiniert, atmosphärisch dicht, thematisch nicht ohne. Trotzdem fand ich beim Lesen keinen richtigen Zugang ich war eher verwirrt als verzaubert, mehr ratlos als mittendrin.
Die Geschichte beginnt vielversprechend: Ein eingefrorener Toter im See, ein einzelgängerischer Archivar namens Schibig, der sich auf dem Eis plötzlich wieder lebendig fühlt und dann taucht da auch noch eine geheimnisvolle alte Frau auf, mit der er sich sofort versteht. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Reise in die Vergangenheit und beschließen, das Rätsel um die Leiche zu lösen, denn so einfach wollen sie den Fall nicht abhaken, wie es die Polizei bereits getan hat. Klingt erstmal wie der Beginn eines literarischen Krimis mit Tiefgang. Doch dann wirds komplex. Oder sagen wir: ambitioniert verwoben. Da gibt es ein geplantes Mahnmal, Erinnerungen an Nazi-Zeiten, ein Ehepaar mit unerfülltem Kinderwunsch, eine alte Mutter mit dunkler Nazi Vergangenheit, Drachenlegenden (!), immer wieder die Vergangenheit, die in die Gegenwart hineinwirkt und natürlich: viele Geschichten, die alle irgendwie miteinander zu tun haben. Zumindest behauptet das die alte Frau immer wieder mit dem Mantra: Jede Geschichte gehört zu einer anderen. Ja, schon, aber vielleicht nicht alle gleichzeitig? Die Drachenlegenden? Hätten für mich gern im Archiv bleiben dürfen.
So spannend diese Vielschichtigkeit klingt, so schwierig war sie für mich im Lesefluss. Ich habe mich oft zwischen den Ebenen verloren. Zwar bleiben die Perspektiven weitgehend bei Schibig und Kern, aber selbst das reicht, um sich zwischen all den Zeitebenen, Erinnerungen, inneren Abgründen und verschlungenen Gedankengängen ordentlich zu verheddern. Die Erzählweise wirkt oft diffus, nicht, weil ständig jemand anders spricht, sondern weil sich alles wie durch Nebel liest. Besonders die langen inneren Monologe Kerns, seine Gedanken, seine Sichtweise, seine fast träumerische Verlorenheit, fand ich schwer zugänglich.Sein Blick auf die Welt ist verschwommen, nicht nur wegen seiner schwindenden Sehkraft, sondern auch gedanklich: Alles bleibt rätselhaft, vage, irgendwie entrückt. Und genau so fühlte sich auch das Lesen oft an: schwer greifbar, schwer zu fassen. Viel Rätsel, wenig Halt.
Aber: Es gibt auch wirklich schöne Momente. Die Sprache hat poetische Kraft, gerade in der Beschreibung der Landschaft oder in den stillen, nachdenklichen Beobachtungen. Schibig, dieser grüblerische Archivar mit seinem schrägen Blick auf die Welt, war für mich eine sehr starke Figur vielleicht, weil er so herrlich antiheldisch ist. Er ist mir richtig ans Herz gewachsen. Manche Sätze haben mich tatsächlich innehalten lassen: poetisch, klug, zum Nachdenken anregend. Auch das Spiel mit Form und Struktur war interessant und hat dem Buch etwas Eigenes verliehen. Ja, ein sprachlich ambitioniertes Buch mit einem spannenden Ansatz und interessanten Themen, aber in seiner Erzählweise oft zu sprunghaft und rätselhaft, um mich wirklich mitzureißen. Trotzdem bin ich froh, es gelesen zu haben. Clavadetscher kann zweifellos schreiben und das war wohl auch der Grund, warum ich dran geblieben bin.