Besprechung vom 13.03.2021
Unser Fußballgott heißt Kubitschek
Noch ein Sportroman von Martina Wildner: "Der Himmel über dem Platz" vereint Drama mit Humor.
Von Elena Geus
Ronaldo und Kubitschek sind für die dreizehn Jahre alte Jo Fußballgötter. Der portugiesische Superkicker ist das Idol des Mädchens, weniger sportlich und attraktiv wirkt Kubitschek: Er ist der Nachbar, mit dem ihr Vater im Dauerclinch liegt. Nur der Hund des älteren Herrn lässt eine Nähe zum Fußball erahnen: Er heißt Zico, wie der "weiße Pelé", einer der populärsten Fußballspieler der achtziger Jahre.
Jo hat Talent, das in ihrer Mädchenmannschaft nicht mehr ausreichend gefördert wird. Den Wechsel zum besten Verein der Stadt, denn nur dort komme sie voran, hat ihr Vater betrieben, der überhaupt vieles besser weiß. Ignoriert zu werden ist noch das Netteste, was Jo bei den Jungens erfährt. Sie ist "voll der pain in the ass" und eine "Missgeburt", wie Niclas, der Stürmerstar der Mannschaft, ätzt.
Mit Sport kennt Martina Wildner sich aus. Für die "Königin des Sprungturms", einen Roman um zwei junge Wasserspringerinnen, erhielt sie den Deutschen Jugendliteraturpreis. Wie in ihrem preisgekrönten Werk geht es auch in "Der Himmel über dem Platz" nur vordergründig darum, mit welchen Herausforderungen und Entbehrungen verbunden ist, wenn aus Hobby Leistungssport wird. Es sind, wie immer bei Wildner, die Geschichten hinter der eigentlichen, die ihr Schreiben besonders machen.
Für Jo ist die Welt nach vielen Rückschlägen "voller Ärsche" und das Leben bei "Blau-Weiß" die Hölle. Das Mädchen leidet unter der Ausgrenzung, zu Selbstzweifeln kommt Versagensangst.
Um Mädchen- versus Jungenfußball geht es nicht, sondern darum, wie es sich anfühlt, nicht Teil einer Gemeinschaft zu sein, und wie schwer es ist, ohne Rückhalt - hier wörtlich - am Ball zu bleiben. Mindestens einen Niclas, männlich oder weiblich, gibt es in jedem Verein, an jeder Schule, ebenso wie die Außenseiter, die es sind oder sich so fühlen. Für die Hürden des Lebens und für allerlei Vorurteile ist hier das Kicker-Milieu der Schauplatz. Als Jo sich endlich gegen Niclas wehrt, kommt es am Rande des Spielfelds zu einem Tumult unter Vätern. Es geht um das Mädchen, das fehl am Platze sei, um freie Meinungsäußerung, das Grundgesetz und darum, dass der Vater von Ahmed seine "schmierigen Türkenfinger" von Niclas' Vater nehmen solle.
"Er ist Tunesier", bemerkt Ahmeds Mutter trocken, und das ist nur einer von vielen Sätzen, die wie nebenbei gesagt wirken, aber reich an Humor, an Drama oder an beidem sind. So wie Mama Ahmed, wie sie genannt wird, auch nur eine von vielen sparsam, aber wunderbar eigenwillig gezeichneten Figuren ist. Voll verschleiert, weil zum Islam konvertiert, haut sie in breitestem Berliner Dialekt Lebensweisheiten heraus. Mama Ahmed weiß auch, dass Ressentiments immer dort entstehen, wo Menschen Angst haben - Angst vor dem Unbekannten.
Wildners Roman lässt sich als Plädoyer für mehr Diversität lesen. Man kann, man muss aber nicht. Auch der, für den Vielfalt und (Un-)Gleichbehandlung noch keine gesellschaftlich aufgeladenen Themen sind, hält einen tiefgründigen, poetisch klaren, eingängig geschriebenen Jugendroman in Händen, mit einer Ich-Erzählerin, die denkt, spricht und die vor allem zweifelt, wie Dreizehnjährige das tun. Das Hin und Her im Kopf beim Weg raus aus der Kindheit spiegelt sich schön in den Gegensatzpaaren der Kapitelüberschriften, etwa "Highheels: Stollen", "Ego:Team" oder "Willkommen:Verhasst".
Mit der beginnenden Pubertät wachsen nicht nur die Zweifel, gelegentlich wird der Blick auch klarer. Ganz kritischer Teenager ist Jo genervt von einer Mutter, deren Reden aus einer Aneinanderreihung von Floskeln bestehen, besonders bei Seitenhieben gegen den Ex, und von einem Vater, der sich im Dauer-Nörgelmodus befindet und der mit seinen zusätzlichen Trainingseinheiten dem Mädchen nur noch mehr das Gefühl gibt, nicht gut genug zu sein - als Fußballerin und als Tochter.
Es ist die charakteristische Kunst Wildners, von der Lebenswelt ihrer Protagonisten mit all ihren Stolperfallen zu erzählen: echt, stilsicher, unangestrengt, unaufgeregt und jammerfrei. Jo gelingt es, sich durchzusetzen. Dabei hilft ihr auch eine Portion Selbstironie - und die Einsicht, nicht so allein zu sein, wie sie sich fühlte. Und Kubitschek? Der entpuppt sich als etwas anderer Fußballgott als Ronaldo. Unerwartet driftet Wildner ins Übersinnliche. Das hat durchaus Charme, wäre aber nicht nötig gewesen, denn Kubitscheks Tipps kommen irdisch direkt daher: Verlier nicht dein Ziel aus den Augen, such dir Verbündete. "Es ist im Leben wie im Fußball. Allein kommt man nicht weiter."
Martina Wildner: "Der Himmel über dem Platz". Roman.
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2021. 218 S., geb., 13,95 [Euro]. Ab 11 J.
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