Eine prachtvoll gestaltete Schmuckausgabe, die Mary Shelleys Klassiker neu erlebbar macht!
Buchvorstellung"Hüte dich, denn ich bin furchtlos und deshalb mächtig!". Mit diesem eindringlichen Satz wird Mary Shelleys "Frankenstein oder der moderne Prometheus" in der Schmuckausgabe des Coppenrath Verlags angekündigt. Der berühmte Roman erzählt die Geschichte von Viktor Frankenstein, einem jungen Wissenschaftler, der nach dem Tod seiner Mutter von der Idee besessen ist, den Tod zu überwinden. Nicht länger in den Schriften der alten Alchemisten, sondern in den Möglichkeiten moderner Wissenschaft sucht er nach dem Schlüssel zu neuem Leben und er findet ihn.Doch seine Schöpfung, zusammengesetzt aus den Überresten Verstorbener, ist nicht das Idealbild des Menschen, sondern ein Wesen, das er selbst voller Ekel verstoßt. Verlassen und verachtet, wandelt die Kreatur zwischen Einsamkeit, Verzweiflung und dem Wunsch nach Liebe, bis sie sich in Hass und Rache verzehrt. Schöpfer und Geschöpf geraten in einen Strudel aus Schuld, Vergeltung und Zerstörung.Die Coppenrath-Ausgabe ist nicht nur Text, sondern ein fabelhaftes Erlebnis. Zehn aufwendig gestaltete Extras, zum Beispiel Briefe, Karten, Faksimiles und Dokumente, lassen die Welt von Viktor Frankenstein lebendig werden. Dazu kommen die gelungenen Illustrationen von Stefanie Bartsch, eine Übersetzung von Ana Maria Brock und ein interpretierendes Nachwort von Martin Engelmann. Ein Klassiker, eingebettet in eine prachtvolle Ausstattung, die den Roman zugleich würdigt und neu erstrahlen lässt.RezensionDie Lektüre dieser Schmuckausgabe ist mehr als ein Wiederlesen eines bekannten Klassikers. Sie ist ein Eintauchen in eine faszinierende, vielschichtige Welt. Schon die äußere Gestaltung verführt. Der glänzende, türkisfarbene Farbschnitt und das geprägte Cover verleihen dem Buch seinen edlen Charakter. Die Seiten wechseln zwischen weiß, schwarz, zartem Blau und schwachem Cremeton und schaffen so eine wirkungsvolle, stimmungsvolle Vielfalt.Besonders spannend ist, dass Mary Shelleys verschachtelte Erzählstruktur, bei der Robert Walton Briefe an seine Schwester Margaret Saville schreibt, in die Viktor Frankensteins Lebensbericht eingebettet ist, der wiederum die Stimme des namenlosen Wesens aufnimmt, in der Schmuckausgabe durch Illustrationen, Briefe und Dokumentenbeilagen sichtbar wird. Diese gestalterischen Elemente machen das Eintauchen in die verschiedenen Erzählebenen besonders eindrucksvoll und die Geschichte noch greifbarer.Inhaltlich entfaltet der Roman seine ganze Tragweite: Nicht das Monster ist die eigentliche Schreckensgestalt, sondern Viktor Frankenstein selbst, der sich seiner Verantwortung entzieht. Er erschafft Leben, aber er verweigert Liebe. Er baut einen Körper, aber er versagt an der Seele. Die Folgen tragen nicht nur er, sondern vor allem die Menschen um ihn herum. Sein treuer Freund Henri Clerval, seine unschuldige Verlobte Elisabeth Lavenza, die in der Hochzeitsnacht grausam ermordet wird, und die junge Justine, die zu Unrecht für den Mord an Frankensteins kleinem Bruder Wilhelm hingerichtet wird. Diese Figuren sind nicht Randnotizen, sondern das moralische Herz des Romans. Ihre Opfer zeigen, dass Verantwortungslosigkeit niemals folgenlos bleibt.Gerade aus feministischer Perspektive gewinnt die Geschichte für mich beim Lesen dieser Ausgabe eine zusätzliche Tiefe. Frauen treten im Roman scheinbar nur am Rande auf und zwar als Geliebte, Mütter, Schwestern, Pflegerinnen. Doch bei genauerem Hinsehen wird deutlich, sie sind die stillen Säulen, die alles tragen und die mit unter dem Zusammenbruch leiden. Eine Frau eröffnet die Erzählung, in dem Margaret Saville Waltons Briefe empfängt. Eine Frau, Justine, wird unschuldig verurteilt. Ein Tod, der indirekt in Viktors Hand lag. Eine Frau, Elisabeth, stirbt in der Hochzeitsnacht, was auch ein Tod ist, den Viktor hätte verhindern können. Eine Frau, Viktors Mutter, erliegt der Krankheit. Die Männer experimentieren, erschaffen, zerstören, und die Frauen zahlen den Preis.Gerade in den Zwischentönen entfalten sich die stärksten Metaphern des Romans. Wenn Frankenstein versucht, Leben zu schaffen, ohne eine Frau, wird dies zu einer stillen Allegorie für den Ausschluss des Weiblichen aus Schöpfung und Kultur. Die Sprachlosigkeit der Frauen, Margaret Saville, die nur empfängt, aber nicht antwortet, Justine, die unschuldig schweigt, Elisabeth, deren Briefe ungehört verhallen, wirkt wie ein Echo jener Gesellschaft, die weibliche Stimmen übergeht. Und in der Szene der zerstörten Gefährtin erreicht diese Symbolik ihre schmerzlichste Zuspitzung. Eine Frau, die nie zu Wort kommt, weil sie bereits vernichtet wird, bevor sie richtig leben darf. Shelley zeigt dies nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern eingebettet in die Dramaturgie des Schreckens und gerade dadurch bleibt die Unterdrückung der Frauen so eindringlich im Untergrund der Erzählung spürbar.Mary Shelley wusste um diese Dynamik. Als Tochter der frühen Feministin Mary Wollstonecraft, schrieb sie 1816, mit gerade einmal 18 Jahren, eine Geschichte über Macht und Verantwortung, aber auch über das Verschweigen und Übersehen weiblicher Stimmen. Mary Shelly wuchs mit dem Nachhall der Schrift ihrer Mutter "Die Verteidigung der Rechte der Frau" auf. Der Hinweis auf Wollstonecraft in der Schmuckausgabe könnte außerdem ein bewusster Verweis auf diese Traditionslinie sein und zwar von der feministischen Theorie der Mutter zur literarischen Bearbeitung der Tochter.Der Roman erschien anonym, weil eine Frau in jener Zeit kaum als ernsthafte Autorin von "hoher" Literatur gelten durfte. Dass ausgerechnet sie eine Geschichte entwarf, in der der Schöpfer (ein Mann) an seiner Hybris scheitert und die Opfer (auch Frauen) zu Märtyrerinnen seines Versagens werden, eröffnet eine neue, fast subversive Lesart.Das Nachwort von Martin Engelmann verortet den Roman historisch und literaturgeschichtlich. Die Beilagen, etwa die originalgetreue Nachbildung von Briefen oder eine Karte von Frankensteins Reisen, lassen spüren, wie nah die Geschichte an ihrer Entstehungszeit bleibt. Besonders berührend sind die Illustrationen, die Szenen von Intimität und Grauen nebeneinanderstellen. Der Moment, in dem die Kreatur sich im Wasser spiegelt und ihr eigenes "hässliches" Antlitz erkennt, wirkt ebenso erschütternd wie die Szenen der Familienidylle, die durch Mord und Schuld zerreißen.FazitDie Coppenrath-Schmuckausgabe von Frankenstein ist weit mehr als eine prachtvolle Neuauflage. Sie eröffnet einen Schlüssel zu einer tieferen Lektüre. Der Roman wird greifbar, spürbar, beinahe körperlich erfahrbar und erinnert zugleich daran, dass dieser Text von einer jungen Frau stammt, die in einer männerdominierten Welt eine Geschichte über Machtmissbrauch, Verantwortungslosigkeit und Ausgrenzung schrieb.Dabei sollte nicht übersehen werden, dass Shelleys Erzählung zugleich die Tragik einer Kreatur schildert, die zu Beginn eher sympathisch erscheint; lernbegierig, voller Sehnsucht nach Nähe und Anerkennung. Erst durch das Verlassenwerden durch ihren Schöpfer und die grausame Ablehnung durch die Gesellschaft verkehrt sich ihr Wesen in Hass und Zerstörung. Frankenstein ist ein zutiefst menschliches Drama über Verantwortung, Ausgrenzung und die zerstörerische Kraft von Einsamkeit.Die zeitlose Wucht dieser Themen zeigt sich nicht nur in der Literatur. Auch moderne Adaptionen greifen Shelleys Werk auf, so etwa das Brettspiel Abomination - Frankensteins Vermächtnis aus dem Hause Corax Games. Das Spiel überträgt diese düstere Themenwelt auf spielerische Weise und behandelt dabei den Umgang mit Leichenteilen, die ethischen Abgründe wissenschaftlicher Hybris sowie die Frage nach Menschlichkeit. Was Shelley im neunzehnten Jahrhundert als warnendes Gleichnis entwarf, wird hier zu einem interaktiven Erlebnis, das die Spielenden zwingt, eigene Entscheidungen über Macht, Moral und den Preis des Fortschritts zu treffen.Wer also Mary Shelleys Meisterwerk neu entdecken möchte oder den Roman als ästhetisches wie intellektuelles Erlebnis im Bücherregal schätzt, findet in dieser Schmuckausgabe ein unvergleichliches Leseerlebnis. Sie ist ideal für Literaturfreundinnen und -freunde sowie für alle, die sich von der zeitlosen Kraft dieser Geschichte faszinieren lassen wollen.