Der neue Roman von einer der interessantesten Autorinnen der deutschen Gegenwartsliteratur
Eine herausragende literarische Auseinandersetzung mit unverstandener Erkrankung und die Geschichte eines Paares, das anders zusammenlebt als die meisten.
Ihre Arbeit an der Universität stagniert, ihr Mann wird seit Jahren nicht gesund, und niemand weiß Rat. Aus dem Forschungstagebuch der Erzählerin zur Kulturgeschichte des Moores wird ein Journal der Arztbesuche und Alltagsmerkwürdigkeiten, ein Porträt der Trauer, des Glücks, der Neugier: Wie soll man leben, wenn man nicht planen kann?
Mit Wärme und Komik erzählt Mercedes Lauenstein in ihrem Roman von den Herausforderungen, vor denen zwei junge Menschen stehen, die anders zusammenleben als die meisten. Sie schreibt über die Abwehr des Menschen von unklaren Zuständen und mysteriösen Landschaften, über die ewige Sehnsucht nach einfachen Erklärungen und davon, was möglich wird, wenn man bloß hinsieht - und wirklich anfängt, miteinander zu leben.
»Auch wenn es zuerst nicht so aussieht, die unendlich empfindsame Erzählerin Mercedes Lauenstein hat ein Buch über das Zusammensein geschrieben. Einen heimlichen Liebesroman. « David Wagner
»Keine andere Autorin hat einen so scharfen Blick auf das ganz Kleine und das ganz Große, aus dem unser Leben besteht. « Dana von Suffrin
»Mercedes Lauenstein trotzt der Ohnmacht mit Schönheit. Ein weises, inspirierendes und tröstliches Buch. « Michelle Steinbeck
Besprechung vom 08.05.2025
Wenn der Körper zum Feind wird
Weil alles so zum Durchdrehen ist: Mercedes Lauensteins Roman "Zuschauen und Winken"
In jungen Jahren trägt manche das Gefühl der Unverwundbarkeit durchs Leben. Schmerzt der Rücken, dann nur, wenn er durch Kistenschleppen bei einem Umzug überbeansprucht wurde, und auch der Kopf pocht lediglich, hat man die Nacht zuvor ohne jedes Maß getrunken. In späteren Jahren, der Blutdruck ist erhöht, die Cholesterinwerte sind aus dem Ruder gelaufen, blickt man sehnsuchtsvoll auf jene Zeit der körperlichen Kraft zurück. Was, schon vorbei?
Miro, der Freund der Ich-Erzählerin in Mercedes Lauensteins Roman mit dem lakonischen Titel "Zuschauen und Winken", hat den Körper als verlässlichen Freund bereits in seinen besten Jahren verloren. Aus heiterem Himmel fiebert der junge Mann, drückt ihn Schwindel nieder, brennen die Fußsohlen und raubt ihm eine bleierne Müdigkeit die Konzentration. Bisweilen ist der Spuk schnell vorbei, denn Miros Symptome sind launisch wie das Wetter im April, und die Ärzte zucken ratlos mit ihren weißbekittelten Schultern. Der Begriff Long-Covid fällt zwar im Roman nicht, doch sofort kommt einem dieses lange unterschätzte Leiden in den Sinn. Eine erlösende Diagnose jedenfalls, wie verheerend sie auch sein mag, haben die Ärzte für Miro, der stets mit dem unausgesprochenen Vorwurf der Übertreibung zurechtkommen muss, nicht. Die Ungewissheit freilich ist das Schlimmste - das ist bei der Gesundheit nicht anders als bei der Liebe.
Einmal träumt die Ich-Erzählerin, sie habe ein Medikament für Miro gefunden. "Mir fehlt nur noch die entscheidende Mithilfe von offizieller Stelle. Aber niemand nimmt mich ernst, meine Familie blockiert meine Bemühungen, und im Traum scheint alles von ihr abzuhängen. Ich brauche die Unterschrift meines Vaters, aber er lacht nur, er sagt, krank ist nur, wer krank sein will, er war ja nicht mal bei der Bundeswehr." Auch der Freundeskreis zweifelt irgendwann bei jeder kurzfristigen Absage einer vor langer Zeit ausgesprochenen Einladung an Miros Leiden.
Mercedes Lauensteins Roman "Zuschauen und Winken" ist indes nicht nur einer über den versehrten Körper, der Miro zu einem gesellschaftlichen Außenseiter macht, sondern auch einer über die Liebe. Geteiltes Leid mag zwar nicht halbes Leid sein, doch die zärtliche, schier unerschöpfliche Beistandsbereitschaft der Ich-Erzählerin rettet Miro, ja rettet das Paar. Dabei kämpft die Ich-Erzählerin selbst - und zwar mit einem universitären Forschungsprojekt über das Moor, eine Landschaft also, der wie Miros Körper nicht zu trauen ist. In der man bei Unachtsamkeit einfach verschwinden, die einen mit Haut und Haar verschlucken kann.
Wie es ist, ein Leben außerhalb der Komfortzone zu meistern, davon erzählt Mercedes Lauenstein in einem zarten, poetischen, bisweilen auch amüsanten Ton, in den sich nie ein Klang von Selbstmitleid schleicht. Die Kapitel sind kurz und werden nicht von Spannung auf den nächsten Plot-Twist getragen, sondern bestechen durch die Reflexionen sowie die Beobachtungsgabe der Ich-Erzählerin, die sich darin übt, ganz im Moment zu sein. Einmal gerät eine ältere Dame am Bahnsteig in ihren Blick, die an einem Getränketütchen saugt und sich suchend umblickt. "Sie sieht aus wie eine Fünfjährige, die ihre Eltern verloren hat, und ich denke, so geht es uns allen, vielleicht nicht immer, aber immer wieder, wir sind Fünfjährige, die ihre Eltern verloren haben." Ein anderes Mal beobachtet sie den Regen und hört ein "in der Landschaft verstreutes Orchester".
Mercedes Lauenstein hat gut daran getan, ihrer Erzählerin neben all der Feinsinnigkeit auch eine - meist in Schach gehaltene - Wut zu verleihen, eine Empörung über Miros und damit in gewisser Weise auch ihr eigenes Schicksal. Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist in einer Szene schließlich der nicht funktionierende Drucker. "Ich drücke Miro weg, knie mich wieder vor den Drucker und brülle, ich bring dich um du Scheißgerät, du Wichsarschlochfickscheißenfotzenhurenloserversager. Ich bring euch alle um, die ganze Scheißwelt." Warum sie so durchdrehen müsse, fragt Miro, und sie antwortet: "Weil alles so zum Durchdrehen ist." Für den Moment mag das stimmen, und auch wenn Miro sich wünscht, einmal Foster aus dem Film "Falling Down" zu sein und auszurasten, doch es kommt ja ein nächstes Jahr, und vielleicht ist da schon alles ganz anders. MELANIE MÜHL
Mercedes Lauenstein: "Zuschauen und Winken". Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2025. 192 S., geb.
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