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Besprechung vom 15.03.2019
Ignoranz mit fatalen Folgen
Michael Lewis zeigt, wie sehr Donald Trump den Verwaltungsapparat verachtet
Als Donald Trump im November 2016 die amerikanische Präsidentschaftswahl gewann, war er selbst womöglich am meisten geschockt. Ausgerechnet er, der mit der Zurschaustellung seines Ekels vor dem "Sumpf" in Washington bei seinen Anhängern gepunktet hatte, sollte nun als Präsident der wichtigste Teil des verhassten "Systems" werden. Und schon in der Wahlnacht dürfte mancher Beamte des amerikanischen Regierungsapparats, der allein auf Bundesebene zwei Millionen Menschen beschäftigt, ein Stoßgebet gen Himmel geschickt haben: Wie würde ein Präsident, der als Kandidat vor allem durch seine Ignoranz aufgefallen war, mit einem Apparat zusammenarbeiten, den er offenkundig zutiefst verachtete?
In den Wochen nach der Wahl gab Trumps Team eine unmissverständliche Antwort auf diese Frage, wie Michael Lewis in seinem Buch "Erhöhtes Risiko" nachzeichnet - am liebsten gar nicht. Normalerweise werden nach einer Wahl die künftigen Minister oder ihr Stab so schnell wie möglich in ihren Ministerien vorstellig, um sich in die Materie einarbeiten und notwendige Personalentscheidungen treffen zu können. Doch darauf hatte Trumps Stab offenkundig keine Lust. Tausende Stellen bis hinauf ins State Department blieben vakant, weil Trumps Team sich entweder nicht auf entsprechende Kandidaten festlegen konnte oder dem künftigen Präsidenten die Angelegenheit zwischen Golfen in Mar-a-Lago und Fox-News-Twitter-Beschimpfungen egal war.
"Trumps Leute zeigten sich in keinem Ministerium und in keiner Behörde. An den wenigen Orten, an denen sie sich blicken ließen, wirkten sie verwirrt und unvorbereitet", zitiert Lewis die damalige stellvertretende Energieministerin unter Obama, Elizabeth Sherwood-Randall. Anhand dreier Ministerien, dem Energie-, dem Handels- und dem Landwirtschaftsministerium, zeigt Lewis auf, wie unvorbereitet und desinteressiert die Trump-Regierung in ihre Amtszeit stolperte. Lewis führte dafür zahlreiche Gespräche mit langjährigen Mitarbeitern in den Ministerien. Bei diesem Einblick in den "Maschinenraum" der amerikanischen Verwaltung wird deutlich, wie verheerend die Verachtung Trumps nicht nur für Fakten und Wissenschaft, sondern auch für langfristige politische Risikoabschätzungen ist.
Es ist eine Stärke von Lewis' Buch, dass es anhand zahlreicher Beispiele plastisch zeigt, wie gefährlich diese Ignoranz für Amerika werden kann - und wie wichtig es ist, den Blick abseits der großen, medienwirksamen Entscheidungen von Klimaabkommen bis INF-Vertrag auf das weithin unbemerkte Ausbluten des amerikanischen Verwaltungsapparats unter Trump zu lenken. Das amerikanische Energieministerium etwa hat einen Jahresetat von dreißig Milliarden Dollar und mehr als 110 000 Mitarbeiter; es kümmert sich um die Energieversorgung, verwendet nach Lewis aber fast die Hälfte seines gewaltigen Budgets auf die Instandhaltung und Bewachung des Atomwaffenarsenals der Vereinigten Staaten.
Die Geringschätzung der Trump-Regierung für Details und ihre Weigerung, sich mit der Verwaltung auseinanderzusetzen, können deshalb fatale Folgen haben. Trumps Leute hätten "keinen blassen Schimmer gehabt, dass es im Energieministerium um sehr viel mehr geht als nur um Energie". Ihre Tätigkeit habe vor allem darin bestanden, "durchs Gebäude zu laufen und Leute zu beleidigen", zitiert Lewis einen früheren Obama-Mitarbeiter. Er schildert, wie Trumps Mitarbeiter Kontaktlisten mit den E-Mail-Adressen der vom Ministerium geförderten Wissenschaftler löschten oder eine Liste jener Mitarbeiter anforderten, die an Treffen einer Arbeitsgruppe zur Reduzierung fossiler Brennstoffe mitgearbeitet hatten. Auch Mitarbeiter, die unter Obama an der Umsetzung des Klimavertrags der Vereinten Nationen mitgearbeitet hatten, hätten bei Trumps Leuten unter Generalverdacht gestanden, so Lewis. Der Übergang im Energieministerium von der Obama- auf die Trump-Ära geriet unter Trump so zu einem willkürlichen Akt der ideologischen "Säuberung" eines Ministeriums von allen Spuren der Obama-Zeit.
Auch beim Handelsministerium setzte die Trump-Regierung auf Ahnungslosigkeit. Von den neun Milliarden Dollar, die das Ministerium jedes Jahr ausgibt, entfallen allein fünf Milliarden auf die Behörde für Ozeane und Atmosphäre NOAA, die damit unter anderem Wetterforschung betreibt. Damit sei das Handelsministerium eigentlich ein "Wissenschaftsministerium", schreibt Lewis, das vom Wetter über die Kartierung des Meeresbodens bis hin zum Klima Daten erhebe und verwalte und damit einen essentiellen Beitrag zur amerikanischen Sicherheitslage leiste - nicht nur in der Tornado-Saison.
Trumps Handelsminister aber, der Wall-Street-Milliardär Wilbur Ross, erschien erst Wochen nach seiner Ernennung im November 2016 im Ministerium und hatte "ganz offensichtlich nicht die geringste Vorstellung davon, worauf er sich eingelassen hatte, und er hatte niemanden, der ihm dabei half". Im März 2017 bat Trumps Regierung - in einem raren Moment der Verzweiflung über die eigene Unwissenheit - einen früheren Mitarbeiter von George W. Bush um Unterstützung, ihr den Zweck des Handelsministeriums zu erklären. Als er Ross in einem Gespräch erläuterte, dass sein künftiges Ministerium "nicht wirklich ein Handelsministerium" sei, sondern zu seinen wichtigsten Aufgaben eigentlich "Wissenschaft und Technologie" gehörten, soll der geantwortet haben: "Damit will ich mich eigentlich nicht beschäftigen."
Die Ignoranz einer Regierung, die aus jahrelanger Arbeit generiertes Wissen vom Tisch wischt, das zeigt Lewis, ist mehr als die politische Dummheit einer hoffentlich kurzen Ära. Sie ist zugleich eine Gefahr für künftige Generationen. In einem Kapitel schildert er, wie nach der Amtseinführung von Trump "über den gesamten Staatsapparat hinweg Daten verschwanden": Links zu Klimadaten in der Umweltbehörde und im Innenministerium, Inspektionsberichte von Unternehmen, die wegen Tierquälerei belangt worden waren, Kundenbeschwerden gegen Finanzinstitute, Informationen zur Lage der Trinkwasser- und Stromversorgung auf Puerto Rico nach dem Hurrikan "Maria". Auch die Wetterberichte, die auf der Website der NOAA kostenlos verfügbar waren, verschwanden unter Trumps neuem Behördenleiter. Offenbar weil er der Ansicht war, die Öffentlichkeit solle bezahlen, wenn sie Wetterberichte haben wollte.
Trump glaube tatsächlich, dass der Staat "nutzlos" sei, sagte Lewis neulich in einem "Spiegel"-Interview. Es ist auch sein Verdienst, dass die "vorsätzliche Unwissenheit" des Präsidenten in den Blick der Öffentlichkeit kommt. Barack Obama hat die Brisanz des Themas erkannt, und die potentielle Waffe, die er vor der Wahl 2020 damit gegen Trump in der Hand hält. Gemeinsam mit seiner Frau Michelle hat er sich die Rechte an Lewis' Buch gesichert - für eine "Netflix"-Serie.
OLIVER GEORGI.
Michael Lewis: "Erhöhtes Risiko".
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2019. 224 S., geb.
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