
Tonis Hautton fällt in die Kategorie Cappuccino Macchiato, serviert an einem lauen Novemberabend in Sri Lanka (gemäß der nationalen Kategorisierung Andersfarbiger). Aber nicht nur der alltägliche Rassismus macht ihr zu schaffen, sondern auch die fragwürdigen Leidenschaften ihrer Familie für Versicherungspolicen, Affären, Scam-Mails und Gartenzäune. Und dann sind da noch ihre chronischen Kopfschmerzen sowie die Zwillingsschwester, die in fast allem besser ist als sie. Nur wenn Toni ihre Daily Soap schaut, kann sie kurz abschalten. Bis irgendwann nicht einmal das mehr geht.
Das Familienunternehmen Banal & Bodeca ist derweil einem heftigen Shitstorm ausgesetzt. Um den Vorwurf des Rassismus zu entkräften, möchte es eine Reality-Show mit Schwarzen Darstellern produzieren lassen. Als sich die Wege der beiden Familien kreuzen, kommt es zu ungeahnten Verstrickungen. Alle Beteiligten müssen sich fragen: Ist das Leben nicht selbst eine Art Seifenoper?
Besprechung vom 22.10.2025
Den Spieß umdrehen
Gewitztes Debüt über Schweizer Alltagsrassismus: Nora Osagiobares "Daily Soap"
Migrantische Literatur hat oft einen Hang zur Autofiktion. Nicht so das radikal satirische Debüt "Daily Soap" der Schweizerin Nora Osagiobare. Die 1992 in Zürich geborene Autorin hat ihre Erfahrungen als schwarze Schweizerin - ihr Vater stammt aus Nigeria - in eine Turbofiktion verwandelt. "Daily Soap" hält, was der Titel verspricht: Überzeichnete Figuren mit sprechenden Namen, verwickelte Lieb- und infolgedessen auch Verwandtschaften, absolut unerhörte Begebenheiten - all das ist nur in einer hochtourigen Soap-Opera denkbar.
Eine Kostprobe: Anneli Killer heiratet den aus Nigeria stammenden Thor Osayoghoghowemwen, weil ihr (ebenfalls schwarzer) Freund Louis Efe di Cabrio sie mit ihrer besten Freundin betrogen hat. Dann wird sie doppelt schwanger, allerdings nicht von ihrem Mann Thor (zeugungsunfähig), sondern von ihrem Ex Louis Efe (schwarz) und Herrn Banal (weiß), mit dem sie im noblen Baur au Lac eine Affäre hat, wohin dieser von seiner Ehefrau Zita Bodeca ausquartiert wurde. Das zerstrittene Ehepaar hat nicht nur das Modegeschäft "Banal & Bodeca", sondern auch einen Sohn, der heimlich schwul ist und außerdem Pornodarsteller, in welcher Funktion er seinen Liebhaber kennengelernt hat: Prince Okiti, den Bruder von Thor Osayoghoghowemwen (und so weiter). Erzählt wird das Ganze aus der Ich-Perspektive von Toni, der schwarzen Tochter von Anneli und Louis Efe. Sie wird allerdings erst auf Seite 67 geboren (zusammen mit ihrer weißen Zwillingsschwester Wanda), bis dahin kommentiert sie die Ereignisse süffisant bis maliziös aus dem Off der Fußnoten, die den Text durchgehend begleiten.
Dieser ganze vor Einfällen nur so sprühende Soap-Opera-Irrsinn dient nicht (nur) der Unterhaltung, sondern er ist das Vehikel für eine Fundamentalkritik, die den Spieß umdreht: Denn Nora Osagiobare klagt den alltäglichen Rassismus der Schweiz nicht an, sondern macht sich über ihn lustig, und da sie schon einmal dabei ist, nimmt sie sich gleich noch die Homophobie vor und überhaupt die Schweiz mit ihren Reichen, ihrer Kunstszene und ihren biederen Kleinunternehmen.
"Wie soll er dann, also, er kann ja nicht hundert Prozent Schweizer sein, wenn er schwarz ist", gibt eine Mitarbeiterin in der Sitzung zu bedenken, in der die Modefirma "Banal & Bodeca" zur Abwehr eines Rassismusskandals den Ankauf des Gemäldes eines schwarzen Künstlers erwägt, möglichst von einem aus der Schweiz. Als Prince Okiti am Zürcher Hauptbahnhof verhaftet wird, heißt es tadelnd: "Aber als Schwarzer Mann durch die Zürcher Bahnhofstraße zu torkeln, grenzt doch beinahe an eine Aufforderung zur Ausweiskontrolle" (das sei so ähnlich wie der Minirock bei sexuellen Übergriffen, wird in der Fußnote erklärt). "Sind auch Sie ein weißer, mitteleuropäischer, heterosexueller, reicher Cis-Mann und deshalb immer an allem schuld? Dann lassen Sie sich noch heute von uns beraten", so einer der Werbespots, die in keiner Soap-Opera fehlen dürfen.
Die Pointen kommen Schlag auf Schlag, und jede von ihnen sitzt. Es gibt nichts, wovor Nora Osagiobares Satire haltmacht: Die Zensur des N-Worts wird mit einer balkengeschwärzten Passage ebenso vorgeführt wie die identitätspolitisch fein austarierte Groß- und Kleinschreibung von Schwarz, und im multiplen Showdown am Ende kommt es im Ferienhaus in den Bergen gar zu einem Unfall mit letalem Ausgang - die Szene ist eine Art Reenactment der Tötung des Schwarzen George Floyd.
Mit Wörtern wie "Cervelatprominenz", "Riz Casimir" und "Ricola" ist Nora Osagiobares Rassismussatire durch und durch schweizerisch, im Weiteren geht es um die Altpapierbündelung, die Waschküchenordnung und die gutschweizerische Version der Korruption. Ihr verdankt Prince Okiti, dass er nicht schon viel früher verhaftet wurde, denn Ruedi Schreiner, der Vorsteher eines Bundesamts für Hautfarben, hat eine Schwäche für die Pornofilme, in denen Prince Okiti auftritt. Dass dieser dann doch verhaftet wird, liegt daran, dass Ruedi Schreiner ein ehemaliger Kommilitone von Zita Bodeca ist und von ihr dazu gedrängt wird, nachdem sie von der Liebschaft Prince Okitis mit ihrem Sohn erfahren hat. Freigelassen wird Prince Okiti dann wiederum auf Betreiben von Herrn Banal, der mit dem zuständigen Staatsanwalt ein vertrauliches Lebenscoach- und Nachtclub-Verhältnis hat.
Nora Osagiobare, die in Wien und Biel Literatur studiert hat, beherrscht die ganze Klaviatur verschiedener Textformen von kommentierten Listen über grenzdebile Onlinekommentare bis zu einer von Google Translate übersetzten Scam-Mail. Stilistisch reicht die Bandbreite von kalkulierter Übertreibung ("die Durchschnittlichkeit der menschlichen Existenz blitzte ihr entgegen wie das Gebiss eines tobenden Pitbulls") bis zu pseudoromantischen Ergüssen ("dann trifft Thors Blick auf den Annelis, taucht in ihn hinein wie ein schwerer Stein in einen kristallblauen Bergsee, um dann träge auf dem Grund ihrer Seele aufzuschlagen"). Und die Running Gags sind wirklich witzig (beispielsweise Thors Unfähigkeit, Umlaute auszusprechen: "Nicht wortwortlich, aber so ahnlich").
Nora Osagiobare ist ein stupendes Debüt geglückt: Sprachlich virtuos und politisch furchtlos fegt sie in "Daily Soap" über die diskursiven Problemzonen der Gegenwart hinweg. Ihre Weigerung, die Opferpose einzunehmen, ist am ehesten mit dem epochalen Essay "How to Write About Africa" (2005) des kenianischen Autors Binyavanga Wainaina vergleichbar. In der deutschsprachigen Literatur hat noch niemand so souverän über Rassismus geschrieben. SIEGLINDE GEISEL
Nora Osagiobare:
"Daily Soap". Roman.
Verlag Kein & Aber, Zürich 2025. 288 S., geb.
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