Besprechung vom 14.02.2025
Umstrittener Bischof
Protestantische Wünsche: ein Band zu Otto Dibelius
Als "eine der großen Unheilsfiguren des deutschen Protestantismus" bezeichnete Hans-Ulrich Wehler den 1967 verstorbenen evangelischen Theologen Otto Dibelius. Weniger reißerisch fragte Heinrich August Winkler im Vorfeld der Benennung einer "Otto-Dibelius-Straße" in Berlin: "Muss es ausgerechnet Dibelius sein?" Wer sich ein Urteil über den Kirchenmann bilden wollte, war lange auf die 1989 als Auftragswerk erschienene Biographie des Kirchenhistorikers Robert Stupperich angewiesen, eines ehemaligen Mitarbeiters von Dibelius.
Der Marburger Neutestamentler Lukas Bormann und der Berliner Historiker Manfred Gailus haben mit einem Sammelband, der Vorträge einer 2022 veranstalteten Tagung versammelt, jetzt einen Baustein zur fehlenden Biographie geliefert. Dibelius wird ausdrücklich als "protestantische Jahrhundertfigur" bezeichnet, doch kritische Töne fehlen nicht; es ist sogar die Rede von "Dibelius-Machern", ehemaligen Weggefährten, die sich um ein positives Bild des Freundes bemühten. Dass Dibelius (wie sein Nachfolger Kurt Scharf) als Student im antisemitischen "Verband Deutscher Studenten" engagiert war und 1933 zum "Tag von Potsdam" die Predigt in der Potsdamer Garnisonkirche gehalten hatte, war allerdings nie ein Geheimnis und wurde von ihm selbst thematisiert.
Auch in dem ausgesprochen materialreichen Sammelband findet sich nur verstreut eine Erklärung, warum Dibelius mehr polarisiert als integriert. Der rhetorisch begabte selbstbewusste Theologe wurde nach 1945 zum führenden Repräsentanten des deutschen Protestantismus; zum Bischof machte er sich in Berlin selbst. Aus Sicht vieler Mitglieder der Bekennenden Kirche hatte Dibelius aber die Chance zum kirchlichen Neuanfang, gestützt auf Erfahrungen aus dem Kirchenkampf, verpasst und in seinem Konservatismus bruchlos an "vor 1933" angeknüpft. Aufnahmen, die Dibelius neben Bundeskanzler Adenauer zeigten, schienen dies zu bestätigen, erst recht der durch Dibelius für die EKD mit der Bundesregierung 1957 geschlossene Vertrag über Militärseelsorge in der Bundeswehr.
Die Regierung der DDR, auf deren Gebiet große Teile seiner Landeskirche lagen, arbeitete gegen den überzeugten Antikommunisten mit zum Teil infamen Unterstellungen, die aber im kirchlichen Milieu nicht ohne Wirkung blieben. Thea Sumalvico (Halle) beschreibt, wie auch mit gefälschten Zitaten der die nukleare Apokalypse fürchtende Dibelius als "Atom-Bischof" verleumdet wurde; sein frühes Eintreten für Kriegsdienstverweigerung wurde aber gerne übersehen. Anhand eines Antipoden, des Cottbuser Generalsuperintendenten Günter Jacob, zunächst auf der kirchenpolitischen Linie von Dibelius, zeigt Hansjörg Buss (Siegen), dass auch "Eigeninteressen", im ethisierenden Protestantismus gerne vornehm beschwiegen, eine Rolle spielen konnten. Teilweise ziehen unterschiedliche Bewertungen sich durch den Band; während Gailus Dibelius auch Abgrenzung gegenüber der Kirchenaustritts- und "Gottlosenbewegung" vorhält und in den Kontext antisemitischer Äußerungen stellt (die zeitweilige Bewunderung der Kirchenpolitik Mussolinis bleibt leider auch hier außen vor), warnt der Kirchenhistoriker Albrecht Beutel (Münster) in seinem gelungenen und zuweilen humorvollen Beitrag über den "Kirchenreformer" davor, dessen Kriegspredigten aus dem Ersten Weltkrieg "anachronistisch wertend" zu denunzieren.
Vereinzelt wird deutlich, auf welche Theologen Protestanten lieber ihre Wünsche projizieren. Der vom Historiker Hartmut Lehmann angedeutete Vergleich von Dibelius mit Dietrich Bonhoeffer ist dabei unglücklich; Bonhoeffer hatte die Bundesrepublik und auch die DDR nie erlebt, war im KZ ermordet worden und kann als Märtyrer gelten, was Dibelius nie für sich beansprucht hat. Als vermeintlichen Antipoden mit vielen Parallelen stellt Michael Heymel (Limburg) Martin Niemöller vor, der als Kirchenpräsident von Hessen-Nassau wie Dibelius nach 1945 einer Landeskirche vorstand, dabei aber stärker Erfahrungen aus der Bekennenden Kirche berücksichtigte. Unter dem Strich erwiesen sich die organisatorischen Unterschiede als minimal. Für Niemöller, im Ersten Weltkrieg Marineoffizier, war auch nach 1945 die Besatzung eines U-Boots der Inbegriff von Demokratie. Von Dibelius, der sich im Ersten Weltkrieg erfolglos um Verwendung als Militärpfarrer bemüht hatte, sind derartige Bonmots nicht überliefert. MARTIN OTTO
"Otto Dibelius". Neue Studien zu einer protestantischen Jahrhundertfigur.
Hrsg. von Lukas Bormann und Manfred Gailus. Mohr Siebeck, Tübingen 2024. 421 S., Abb., geb.
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