Mit Wärme, Wucht und Witz erzählt Paula Fürstenberg in »Weltalltage« von einer besonderen Freundschaft und deren Zerreißprobe. Davon, was es heißt, nicht zu funktionieren in einer Welt, in der alles funktionieren muss; vom Körper und wie wir mit ihm umgehen; von der Kraft der Worte und davon, wo Empathie beginnt - und wo sie enden muss.
Sie sind beste Freunde seit der Schulzeit. Jetzt, mit Anfang dreißig, teilen sie sich eine Wohnung. Max ist Architekt, sie ist Schriftstellerin und seit ihrer Kindheit chronisch krank. Immer wieder wird sie von heftigen Schwindelanfällen heimgesucht und ist auf Max angewiesen. Er ist der Gesunde, sie die Kranke. So war es schon immer. Doch dann erfährt Max vom Tod seines Onkels, und in ihm wächst eine Finsternis. Er muss ins Krankenhaus. Mit einem Mal gerät alles ins Wanken.
Was der Schriftstellerin im aufkommenden Freundschaftskummer hilft, ist das Schreiben, das versuchsweise Ordnen der Vergangenheit in Listenform. Also erzählt sie ihre Geschichte, und damit auch die von Max, von der Nachwendekindheit im Osten bis in die schwankende Gegenwart. Sie denkt über die gesellschaftlichen Verhältnisse nach, die sie zu denen haben werden lassen, die sie sind, über das Kranksein - und die Sprache der Körper.
Doch durch Denken und Schreiben allein lässt sich einem Kummer nicht beikommen. Dafür muss sie aufstehen und tanzen gehen, muss sie loslassen und alles vergessen. Ein paar Stunden nur, ein paar Tage. Und dann steht Max plötzlich wieder in der Tür . . .
Besprechung vom 04.01.2025
Der Körper ist doch kein Kriegsgegner
Paula Fürstenbergs Roman "Weltalltage" bietet eine metaphorische Neuausrichtung in Sachen Krankheit
Freundschaftsgeschichten belegen immer nur den zweiten Platz nach den romantischen Liebesgeschichten, und Literatur über Körper gilt als privat und unwichtig im Gegensatz zum Schreiben über den Geist und die Gedanken.
Erfreulicherweise gibt es aber auch Literatur, für die sich das nicht behaupten lässt, wie Paula Fürstenbergs aktuellen Roman "Weltalltage". Die Protagonistin erzählt darin von Freundschaft und von Krankheit: nämlich von ihrem besten Freund Max und auch von sich selbst. Es ist "die Geschichte einer Familientradition, die Geschichte ihrer medizinischen Begriffsstutzigkeit, eingebettet in eine Geschichte des Schweigens über den Körper, die gleichzeitig eine Geschichte des Schimpfens auf den Körper ist".
Ganz schön viel auf einmal, möchte man meinen, und doch übernimmt sich die Hauptfigur nicht in ihrem Vorhaben, diese Geschichten zu erzählen. Die Freundschaft zwischen Max und ihr ist von Beginn an geprägt durch die chronische Krankheit der Protagonistin. Seit dem ersten Schwindel im Alter von elf Jahren durchläuft sie verschiedenste Untersuchungen. Während sie von Ärzten und ihrer Mutter dabei zunehmend Unverständnis, Ungeduld und schließlich Distanzierung erfährt, hält Max zu ihr. Als klar wird, dass Schwimmen und Radfahren zu gefährlich bei diesem unvorhersehbaren Schwindel sind, macht Max kurzerhand eine Schulung zum Rettungsschwimmer und besorgt sich einen Anhänger für sein Fahrrad.
Doch im Roman erzählt die Protagonistin nicht (nur) ihre eigene Krankengeschichte, sondern auch die von Max. Nachdem sein Onkel sich das Leben nimmt, ist er der festen Überzeugung, auch bald sterben zu müssen, weil alle seine älteren männlichen Verwandten früh starben und Max nun der letzte noch lebende Mann seiner Familie ist. Seit dem Suizid des Onkels leidet er an Schlaflosigkeit und "Angst in allen Variationen: diffuser Angst und ganz konkreter, begründeter und unbegründeter, Angst vor der Innenwelt und Angst vor der Außenwelt, Angst vor der Tageszeitung und Wissen um die Fehlbarkeit der eigenen Organe".
Schließlich geht Max zur Therapeutin und kehrt mit der Diagnose "akute mittelgradige Depression" zurück. Durch diese Erkrankung werden die Rollen der Freundschaft auf den Kopf und das gegenseitige Vertrauen auf die Probe gestellt. In der gemeinsamen WG herrscht nun vorerst Glatteis: Max wirft der Freundin vor, seine Kranken- und Familiengeschichte zu verkaufen, indem sie über ihn schreibt; die Protagonistin wirft ihm vor, egoistisch zu handeln, sie im Stich zu lassen und sich nur noch mit sich und seiner Diagnose zu beschäftigen.
Neben dieser erzählenswerten Geschichte einer Freundschaftskrise überzeugt der Roman insbesondere auch dadurch, dass es Fürstenberg gelungen ist, grundsätzlich über Körper und Krankheit zu schreiben: "Krank zu sein wäre nur halb so schlimm, wenn die Gesunden nicht wären. Die Gesunden wissen ganz genau, dass du selbst schuld an deiner Krankheit bist. Sie finden es kein Wunder, dass eine Krebs bekommt, so wie die immer alles in sich reinfrisst. Nie, wirklich nie, sagen sie: Kein Wunder, dass die Krebs bekommt, so wie Trinkwasser, Nahrungsmittel und Luft verschmutzt sind."
Fürstenberg beschreibt auf diese Weise überzeugend, dass Krankheit nicht losgelöst von den sozioökonomischen Verhältnissen als individuelles Schicksal abgetan werden darf, und leitet daraus einen grundlegend anderen Umgang mit Körperlichkeit ab. In dem "Manifest eurer Körper", das die Geschichte beschließt, heißt es unter anderem: "Der Kopf gehört zum Körper, auch wenn eure Geistesgeschichte ziemlich erfolgreich damit war, was anderes zu behaupten." Oder: "Wir können uns was vorstellen, das ihr euch nicht vorstellen könnt, und das ist eine Politik, die den Körper als unhintergehbare Grundlage anerkennt." Und: "Eine Politik des Körpers kennt keine Körper, die behindert sind, nur Körper, die behindert werden."
Diese Re-Perspektivierung nimmt Fürstenberg vor, indem sie den Sprach- und Wortgebrauch rund um Körper, Krankheit, aber auch Freundschaft ganz grundsätzlich auf den Prüfstand stellt. Dafür gibt es sogar eine eigene Rubrik im Roman, die sich "Metaphern beim Routinecheck" nennt. Hier wird der Sprachgebrauch rund um Krankheit als abwertend enttarnt, sei es durch die Dichotomie gesund-aufrecht / krank-liegend und die daraus folgenden Begriffsoppositionen "zweifelhaft, illegal, falsch" / "ehrlich, anständig, redlich" oder (mithilfe von Susan Sontag) durch die Feststellung, "dass die Sprache der Krankheit eine Sprache der Kriegsführung ist. Man sagt einer Krankheit den Kampf an, eine Behandlung schlägt an, man spricht von Abwehrkräften, Panikattacken und Hexenschuss." Viel wünschenswerter wäre dabei "eine Sprache, die den Körper nicht als Kriegsgegner begreift".
Es scheint, als wäre es daher falsch, Fürstenbergs Schreiben als metaphorisch zu bezeichnen, denn dem Metaphorischen hat sie regelrecht den Kampf angesagt, und das ziemlich überzeugend. Und doch: Sie erschafft neue Metaphern, solche, die Kranke nicht als illegitim und falsch darstellen, sondern einfach als solche, die ein anderes Leben führen (müssen). Die titelgebende Leitmetapher der Weltalltage beispielsweise hilft der Protagonistin, mit ihrer Erkrankung zu leben, da sie so ihren Schwindel bezeichnen kann. "Deiner ist am ehesten ein Schwanken, hinzu kommt das Gefühl, zu schweben, weshalb du es einen Schwebeschwankschwindel nennst, und weil du dir so das Weltall vorstellst, sprichst du von deinem Weltallkörper, der Weltalltage hat."
Diese metaphorische Neuausrichtung der Krankheit zeichnet "Weltalltage" sprachlich aus. Doch auch inhaltlich und schließlich sogar strukturell - Listen dienen als Strukturprinzip und lassen so schöne Kapitel(-überschriften) wie "Liste möglicher Anfänge dieser Geschichte" oder "Amtliches Verzeichnis einiger Gespräche zwischen Max und dir, die im Nachhinein betrachtet nicht so optimal gelaufen sind" entstehen - hat Paula Fürstenberg einen sehr beachtlichen Roman vorgelegt. EMILIA KRÖGER
Paula Fürstenberg: "Weltalltage". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024.
320 S., geb.
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