Besprechung vom 10.03.2022
Kathedralen aus Stahl
Deutschland ist das Land der Burgen und Schlösser, der Kathedralen und Klöster. So vermitteln es die gängigen Bildbände zum architektonischen Erbe des Landes. Was dabei untergeht: Um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert war das Deutsche Reich Europas stärkste Wirtschaftsmacht. Entsprechend prachtvoll und selbstbewusst kommen Zechen, Kokereien, Hütten, Wasser- und Gaswerke, Dampflokfabriken und Schiffshebewerke, Kaffeekontore, Papiermühlen, Druckhäuser aus der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik daher. Trotz Kriegszerstörungen und Demontage, Stilllegung und Abriss ist erstaunlich viel davon übrig geblieben und zählt bisweilen zum Welterbe der UNESCO. Etwa die Völklinger Hütte oder das von Walter Gropius entworfene Fagus-Werk in Alfeld. Beide Stätten fehlen in dem Bildband nicht, dessen große Leistung jedoch besteht darin, den meisten von uns unbekannte Industriedenkmäler fulminant in Szene zu setzen. So hat der auf Architektur spezialisierte Fotograf Günther Bayerl etwa den Zauber festgehalten, der über Fräsen, Panzerschrank und Umkleidespinden der seit der Schließung in einen Dornröschenschlaf versunkenen Metallschraubenfabrik Graba in Saalfeld liegt. Aus der Liste geläufiger Industriedenkmäler fällt ebenfalls die bereits 1830 in einem Seitental des Mittelrheins errichtete Sayner Hütte, die als stählerne Basilika mit sakraler Ausstrahlung überrascht. Deutschlands industrielles Erbe ist überwältigend. ksi.
"Deutschlands industrielles Erbe.
Von Gründern, Fabriken und Maschinen", herausgegeben von Günther Bayerl, mit Texten verschiedener Autoren. Frederking & Thaler Verlag, München 2022. 240 Seiten, 220 Abbildungen. Gebunden
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Deutschlands industrielles Erbe" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.