War es ein Unfall? Selbstmord? Mord? Der erste Skandal der deutschen Filmgeschichte.
Berlin 1920: Fritz Lang und Thea von Harbou sind das Glamourpaar des frühen deutschen Films. Den Regisseur und die Drehbuchautorin verbindet eine Leidenschaft, die weit über das Künstlerische hinausgeht. Das Filmmärchen hat nur einen Haken: Beide sind verheiratet. Als Langs Ehefrau durch einen Schuss zu Tode kommt, steht der junge Kriminalkommissar Beneken vor einem Rätsel: Hat die Frau sich das Leben genommen, weil sie die Schmach des Betrugs nicht ertrug? Wollte sich die Harbou ihrer Nebenbuhlerin entledigen? Oder war Fritz Lang seine Frau lästig geworden?
Beneken sucht nach der Wahrheit. Doch keine der Versionen, die die Hauptverdächtigen Lang und Harbou ihm präsentieren, scheint mit den Fakten übereinzustimmen. Je tiefer der Kommissar in die schillernde Welt der Filmsets, der Künstlerpartys und Nachtclubs eintaucht, umso mehr gerät er selbst in Gefahr. Und muss erkennen, dass die Wahrheit immer ihren Preis hat_. . .
Besprechung vom 04.11.2024
Kommissar in Nylons
Krimis in Kürze: Günther, Grangé und Cemile Sahin
Manchmal macht die Geschichte Schriftstellern ein Angebot, das sie nicht ablehnen können. So dürfte es Ralf Günther ergangen sein, als er auf ein Ereignis aus dem Leben des Regisseurs Fritz Lang und der Filmautorin Thea von Harbou aufmerksam wurde. Im September 1920 war Langs erste Ehefrau Lisa Rosenthal unter nie ganz geklärten Umständen im Badezimmer der gemeinsamen Berliner Wohnung durch einen Schuss aus Langs Browning ums Leben gekommen. Ein Suizid, weil sie ihren Mann mit Harbou im Bett erwischt hatte? Oder ein Unfall?
Günther hat aus dieser Konstellation den Roman "Die Könige von Babelsberg" (Rowohlt, 272 S., geb., 24,- Euro) entwickelt, der mit der historischen Ungewissheit spielt und der wohl auch weiß, dass ein amerikanischer Lang-Biograph insinuierte, der 1933 ins Hollywood-Exil gegangene Regisseur habe seine Frau ermordet - wofür es keine Belege gibt. Günther skizziert in der Fiktion die Umrisse einer Dreiecksbeziehung. Und er erfindet einen sehr jungen, sehr ehrgeizigen Kommissar, der noch bei seiner Mutter im Wedding lebt und sich nicht abschrecken lassen will vom Glamour und den einflussreichen Beziehungen des Paars Lang/Harbou. Nur leider muss dieser Kommissar Beneken, um Libertinage und Weltoffenheit der Weimarer Zeit zu illustrieren, ein heimlicher Transvestit sein, der Nylons unterm Dienstanzug trägt und bei seinem Varietéauftritt von Lang und Harbou erkannt wird.
Das ist dann doch zu bemüht auf Queerness getrimmt, und das Vertrauen in die Genauigkeit der Erzählung wird auch nicht größer, wenn Beneken zur Hochbahnstation an der Uhlandstraße geht, wo immer nur eine Unterpflasterhaltestelle war.
Von den Romanen Jean-Christophe Grangés lässt sich ohne maliziösen Unterton sagen, sie seien ein wenig überkonstruiert - wie man auch bei vielen Actionfilmen konstatiert, sie nähmen es mit der Wahrscheinlichkeit nicht so genau. "Blutrotes Karma" (Klett-Cotta, 608 S., geb., 26,- Euro) zeigt, dass das kein Schaden sein muss. Im wilden Mai 1968 in Paris, zwischen Barrikaden, Generalstreik und endlosen Politdebatten, werden zwei junge Frauen aufgefunden: bestialisch zugerichtet, ausgeweidet, in Yogastellung.
Grangés Helden sind zwei ungleiche Halbbrüder: ein brutaler Polizist mit Algerien-Vergangenheit und ständig auf Amphetaminen, sein jüngerer Bruder, ein Student, der auch mal einen Pflasterstein in die Hand nimmt. Vaterlose Söhne mit einer frömmlerischen Mutter. Dazu eine Freundin der beiden Ermordeten, ein junges Mädchen aus gutem Haus, das der jüngere Bruder verehrt. Zu dritt gehen sie auf eine wilde Ermittlungsreise, die, ganz zeittypisch, wie ein finsterer, blutrünstiger Trip wirkt: nach Indien, zu Hippies, Drogen und Tantrismus, schließlich nach Rom.
Mehr soll nicht verraten sein, wie Grangé seinen Serienmörderplot mit exzessiver Gewalt und in einer bildkräftigen, manchmal überinstrumentierten Sprache entfaltet. Man folgt ihm, ohne ihm glauben zu müssen. Er kann halt erzählen. Ein Guilty Pleasure wie schon der Vorgängerroman aus der Nazizeit, "Die marmornen Träume", weil Grangé es versteht, historische Ereignisse wie in einem Exploitation-Film aufzubereiten.
Cemile Sahin ist auf einem ganz anderen Planeten zu Hause. Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch bildende Künstlerin, Wörter und die Bilder sind bei ihr nicht zu trennen, und ihr kurdisch-alevitischer Hintergrund ist bei der Vierunddreißigjährigen sehr präsent, auch in ihrem neuen Roman "Kommando Ajax" (Aufbau, 352 S., geb., 25,- Euro). Das Buch arbeitet mit Bildcollagen von Rembrandt oder Mondrian, gibt sich mitunter als Drehbuch mit angekündigten Rückblenden oder Zooms, trennt zwischen dem, was man sieht, und dem, was man hört. Und spart nicht mit metafiktionalen Partikeln.
Es ist die Geschichte einer nach Rotterdam geflüchteten kurdischen Familie: fünf Brüder, eine Schwester, dazu Ehefrauen und Kinder. Ein Kunstraub in Boston spielt eine wichtige Rolle, es gibt einen Mord bei einer Hochzeit samt Rache der Braut, was man deshalb nicht gleich mit "Kill Bill" vergleichen muss. Cemile Sahin steht sicher auf eigenen Füßen, ihr Buch ist smart und virtuos - ein Kriminalroman für Leute, die sonst keine Kriminalromane lesen. PETER KÖRTE
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