¿Babel¿ lebt von seiner sprachgewaltigen und detaillierten Erzählung, seiner Liebe zum Wort und zur Sprache.
1836 ist Oxford das Machtzentrum Großbritanniens vor allem aufgrund des dort angesiedelten königlichen Instituts für Übersetzungen. In Babel arbeiten und studieren die angesehensten Übersetzer des Landes und wirken so die Magie des Silberhandwerkes, die Großbritanniens Infrastruktur am Laufen hält. Robin Swift wird als Junge aus dem chinesischen Kanton von einem reichen Engländer nach Oxford gebracht, um in Babel zu studieren. Was zunächst wie eine unfassbare Chance scheint, wird für Robin schnell zu einem moralischen Zwiespalt. Großbritanniens Überlegenheit im Silberhandwerk macht sie zur größten Kolonialmacht, die davon lebt, andere Länder auszubeuten, so wie auch Robins Heimat. Robin muss sich entscheiden was ihm wichtiger ist, sein eigener Wohlstand oder das Leben Hunderttausender, die täglich in den Kolonien um ihr Überleben kämpfen. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Robin, aus dessen Perspektive wir die Geschichte erleben, sowie seine drei Freunde, die mit ihm in Babel studieren. Victoire und Ramy kommen wie Robin gebürtig aus anderen Ländern und wurden in Babel aufgenommen, um das sprachliche Repertoire und damit das Wirken des Silberhandwerks zu erweitern und zu verfeinern. Letty ist eine Engländerin aus adligem Haus, die nach dem Tod ihres Bruders seinen Platz am Institut einnimmt. Alle vier sind mehr oder minder betroffen von Rassismus und Diskriminierung einerseits durch ihre ausländische Abstammung, Letty und Victoire durch ihr Geschlecht, welches ihnen nicht einmal erlaubt Zimmer auf dem Universitätscampus zu beziehen. Die Freundschaft der vier bekommt durch ihren Status als Außenseiter eine interessante Dynamik, muss sich jedoch im Verlauf der Geschichte schweren Prüfungen unterziehen. "Babel" wird zwar als Fantasygeschichte beworben, der Anteil an Fantasy ist jedoch sehr klein und betrifft nur das Silberhandwerk. Hier hat die Autorin ein interessantes "Magiesystem" erschaffen. Die Macht der Silberbarren kann zum Beispiel Maschinen antreiben, für Licht und Wärme sorgen oder Schiffe und Kutschen bewegen. Letztlich sind die Silberbarren ein Ausdruck für Fortschritt, Industrialisierung und Kolonialisierung mit all ihren guten und auch schlechten Seiten. Und vor allem die schlechten Seiten sind zentrales Thema der Geschichte, da die britische Überlegenheit ihre Rechtfertigung für die Ausbeutung anderer Länder und deren Kulturen bildet. Kulturen, die sie zwar als wertlos erachten, deren Sprachen und Ressourcen sie sich jedoch rücksichtlos bedienen. "Babel" lebt von seiner sprachgewaltigen und detaillierten Erzählung, seiner Liebe zum Wort und zur Sprache. Es gibt durchaus sehr spannende Abschnitte, doch es ist meiner Meinung nach nicht Ziel des Buches den Leser durch actionreiche Szenen zu unterhalten, sondern mit gut gewählten Worten Missstände anzusprechen und anzuklagen. Ein großartiges Werk, dass viele Themen behandelt, über die wir uns viel häufiger Gedanken machen sollte.