Robin Swift wird als kleiner Junge nach England gebracht, wo er sich fortan dem Studium von Sprachen widmen soll. Latein, Griechisch, aber auch seine Muttersprache Chinesisch stehen fortan auf dem Tagesprogramm. Ziel ist Oxford, wo er am berühmten Institut für Sprachen, genannt "Babel", das Silberwerken erlernen soll. Denn Silber beherrscht die Welt, modernisiert sie und gibt England eine Vormachtstellung von der Robin zunächst nur wenig ahnt. Erst in Oxford lernt er Menschen kennen, die so sind wie er: Ramy, Victoire und Letty. Alle kommen nach Babel, um in ihren Sprachen am Machterhalt Englands teilzuhaben. Doch dann trifft Robin auf eine Untergrundorganisation, die diesen Machterhalt anzugreifen sucht und Robin muss sich für eine Seite entscheiden. Kuangs Fantasy-Roman "Babel" könnte nicht realistischer sein. England, Kolonialismus, Sprachvielfalt und auch alle Referenzen stammen aus unserer Welt und Kuang hat damit ein Setting geschaffen, dass als Fantasy mal ganz anders daherkommt. Keine Drache, keine Feen, keine mythischen Wesen. Stattdessen Menschen aus aller Welt, ein Kolonisator, der nach immer mehr Macht strebt, Modernisierungstendenzen (die ja eben genau im 18. und 19. Jahrhundert ihren Durchbruch hatten) und die Welt der Sprachen. Damit konnte mich die Autorin auf so vielen Ebenen einfangen, dass es eine wahre Freude war, dieses Buch zu lesen.Im Mittelpunkt stehen vier jungen Menschen: Ramy aus Indien, Victoire aus Haiti, Robin (dessen richtigen Namen, wir leider nie erfahren) aus China und eben Letty. Sie sollen den Machterhalt Englands sichern und dabei ihre eigenen Herkunftsländer weiter ausbeuten, im Sinne des Landes, das ihnen einen Ausweg aus ihren tristen Leben angeboten hat (so denkt zumindest England). Nur Letty bildet hier eine Ausnahme, denn sie nimmt den Studienplatz ihres toten Bruders ein und stammt aus England. Ein Konflikt, der auch im Zusammenspiel mit Ramy, Robin und Victoire, immer wieder in den Vordergrund rückt. Denn am Ende hat Letty eben nicht die gleichen Ausgangsbedingungen, wie die anderen drei. Und mit diesem Setting spielt Kuang gekonnt. Diskriminierung erfahren alle vier, aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer Rolle als Mann oder Frau. Und das war spannend zu lesen, denn die Autorin zeigt die Nuancen auf, die sich hier auftun und die für weiße Menschen oft unsichtbar bleiben. So hat Letty mit Sexismus zu kämpfen, Victoire aber eben zusätzlich mit den Rassismen einer Zeit, in der die Sklaverei noch immer allgegenwärtig war. Und die beiden Frauen stehen in ihrem Standing wiederum noch immer hinter Ramy und Robin. Und das macht Kuang auf subtile Art sichtbar.Daneben zeigt uns die Autorin eine Sprachwelt, die vielfältig ist. Es gibt eben nicht nur Latein, Griechisch und die europäischen Sprachen. Und ihre Protagonisten verkörpern diese Vielfalt wunderbar mit ihrem Sanskrit, Chinesisch und dem Kreol. Aber auch Kiswahili erhält eine Erwähnung oder das Arabische. Dieses Wissen streut die Autorin im ganzen Buch ein: es geht um die Herkunft von Wörtern, Phrasen und Gedanken, die Bedeutung von Übersetzung, vom Brücken bauen und abreißen, um die Bedeutung der Sprachen für unsere Kulturen und es geht um Macht, die mit Sprachen einhergeht.Nun könnte man meinen, dass diese Vielfalt an Themen: Sprachen, Kolonialismus, Modernisierung, Rassismus, Diskriminierung, die Rollen von Frau und Mann, Antikoloniale Bewegungen und und und, ein Buch derart überfrachten könnten, dass es einfach zu viel wäre; doch Kuang händelt auch das gekonnt und verwebt alle Themen zu einem Großen und Ganzen.Kurzum: Ein faszinierendes Buch, das viele wichtige Themen anspricht und gleichzeitig eine ganz eigene Welt aufmacht und nebenher ein Plädoyer für unsere Vielfalt abgibt. Absolut empfehlenswert!