Satire, Literaturkritik, Thriller, Drama - "Yellowface" ist für mich ein literarisches Meisterwerk und hat mich auf sehr vielen Ebenen abgeholt.Ich-Erzählerin des Romans ist June Hayward, eine junge Autorin, die allerdings so gar nicht erfolgreich ist und im Abseits dahindümpelt. Ganz im Gegenteil zu Athena Liu. Die Amerikanerin chinesischer Abstammung ist eine gefeierte Startautorin. Alles, was sie anfasst, scheint zu Gold zu werden. June und Athena kennen sich seit dem Studium und sind lose miteinander befreundet. Die Freundschaft der beiden beziehungsweise Junes Gefühle gegenüber Athena sind übrigens ein erstes Beispiel für Rebecca Kuangs literarische Raffinesse: Einerseits scheint June Athena nicht sonderlich zu mögen, sie ist sogar recht neidisch auf deren Erfolg. Auf der anderen Seite hegt sie aber dann doch recht tiefe Gefühle für Athena. Oder legt sie sich diese erst aufgrund der Ereignisse zu Recht? Und wie stand Athena zu June? War sie in ihren Gefühlen doch nicht so rein, wie angenommen?In einer schicksalhaften Nacht stirbt Athena bei einem Unfall - June ist die einzige Zeugin und nimmt im Affekt Athenas neuestes, gerade vollendetes Manuskript mit. "Die letzte Front" ist ein Roman über chinesische Arbeiter im Ersten Weltkrieg. June beginnt den Roman zu überarbeiten und reicht ihn bei ihrem Agenten ein. Über Nacht wird sie zum Star der Literaturszene, der Roman wird ein Bestseller. Doch wie geht es jetzt weiter? Wie weit ist June bereit zu gehen? Und plötzlich wird sie auch noch bedroht.Während wir Junes Geschichte folgen, die wirklich einem Thriller gleicht, werden aktuelle Diskursthemen wie kulturelle Aneignung und Cancel Culture klug und kritisch beleuchtet: Wer darf welche Geschichten erzählen? Was passiert mit einem, wenn man es sich mit der breiten Masse verscherzt hat? Und wann ist ein Plagiat ein Plagiat? Gleichzeitig bekommen wir auch einen Blick hinter die Kulissen des Literaturbetriebs: wie entsteht ein Bestseller? Wie schnell verschwinden Autoren wieder in der Bedeutungslosigkeit?Rebecca Kuangs Schreibstil ist großartig - sie erzählt sehr dynamisch und vereinnahmend. Ab dem ersten Satz hing ich quasi an Junes Lippen und konnte das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Faszinierend fand ich auch, wie Kuang June gestaltet hat - einerseits ist man entsetzt über ihre Tat, auf der anderen Seite fängt man irgendwann an, sie fast zu verteidigen, sie zu verstehen und auch Mitleid mit ihr zu haben. Selbst wie June sich ihr Handeln schön redet ist absolut toll gemacht.Ein wirklich großartiges Buch, das seinen Hype mehr als Wert ist. Eine kluge Satire über den Literaturbetrieb und die kulturellen Themen unserer Zeit, spannend, unterhaltsam, nachdenklich stimmend.