Besprechung vom 18.12.2020
Bodenständig sind die Heiligen im Rom des Nordens
Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer laden zu einem kurzweilig-bilderreichen Spaziergang durch die Geschichte Kölns ein
"Schöne Jünglinge und Jungfrauen singen ... nächtliche Lobeshymnen." Als Petrarca 1333 Köln besuchte, fiel ihm die Heiterkeit der Stadt auf, ihre Jugendfrische: "Scherzreden" herrschten vor, wo andernorts geseufzt werde. Tatsächlich musste man sich hier permanent an neue Machtverhältnisse anpassen, das hält fit, so sehr, dass die wichtigste Eigenschaft der Stadt fast zu übersehen ist: dass sie immer schon da war. Sie glänzte unter den Römern und den mit ihnen verbündeten Ubiern, versank nicht unter den Franken, erholte sich gar unter den Karolingern, überstrahlte unter der Führung von Erzbischöfen bald das Reich und wurde von Zünften und Gaffeln in die Neuzeit getragen. Und weil Köln in all dieser Zeit bedeutend blieb und gut vernetzt war, existiert ein Fundus an herausragenden ikonographischen (Selbst-)Zeugnissen, der in seiner Breite wohl nur mit Städten wie Rom, Paris oder London vergleichbar ist. Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer, beide von der Fotografie her kommend, haben aus der bis in die Antike zurückreichenden Bildtradition nun erstmals und sehr überzeugend eine visuelle Biographie der Domstadt komponiert.
Der wuchtige Bildband, der die Geschichte Kölns brauchbar gerafft auch im Text erzählt und allenfalls dem Frühmittelalter etwas Unrecht tut, vervollständigt eine prächtige dreibändige Reihe von Matz und Vollmer, die sich dem Abbild der Stadt in der Fotografie seit 1880 widmet. Unter Rückgriff auf unbekannte Aufnahmen ist ihnen dabei ein überraschend neues Porträt aus der Nahsicht gelungen. Der aktuelle, ebenso sorgfältig zusammengestellte und exzellent gedruckte Band lehnt sich trotz des Medienwechsels an diese Konzeption an. Auch hier also finden sich zwischen gestochen scharfen Abbildungen bekannter Bildzeugnisse wie dem Dionysos-Mosaik (drittes Jahrhundert), dem wundersamen Dreikönigenschrein (um 1200) oder dem Mercator-Plan (1570) zahlreiche weniger (oder gar nicht) bekannte Objekte mit Köln-Bezug, die die Autoren weltweit in Archiven und Museen aufgespürt haben. Darunter sind Grabstelen, Stadtansichten, Architekturzeugnisse, verzierte Alltagsgegenstände, Genreszenen, Stifterbilder und - wie zu erwarten im "Heiligen Köln", der Pilgerstadt - viel christliche Ikonographie.
Die Auswahl zeigt Lebensnähe und amüsante gestalterische Übersteigerungen, die demonstrieren, wie sich Köln über klassische Repräsentation und genormte Frömmigkeit hinaus eine ganz eigene Imago der gottgefälligen Geselligkeit zulegte. Dabei wurde das ans himmlische Jerusalem gemahnende Kirchenpanoptikum der Stadt - sozusagen die offizielle ästhetische Marke Kölns als Rom des Nordens - mit einer lebenszugewandten Heiterkeit verschmolzen, die in ausgesprochen individualisierten Figuren ihren beredten Ausdruck fand.
Man nehme nur "Die vier Gekrönten" aus dem fünfzehnten Jahrhundert, Statuetten von Schutzheiligen der Bildhauer und Steinmetze: So leibhaftige und kuriose Personen scheinen da vor uns zu stehen, dass jede Heiligen-Distanz verschwindet. Das ist noch nicht karnevalesk zu nennen, sondern eher bürgerlich selbstbewusst, kommt den Karnevalsdarstellungen - etwa in der ansonsten eher steifen Franzosen- und Preußenzeit - aber natürlich zupass. Diese Bildhistorie Kölns lädt ein zu einem kurzweiligen Spaziergang durch zweitausend Jahre jugendfrische Stadtgeschichte.
OLIVER JUNGEN
Reinhard Matz und
Wolfgang Vollmer:
"Köln von Anfang an".
Leben, Kultur, Stadt bis 1880.
Greven Verlag, Köln 2020. 362 S., Abb., geb.
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