Amos Oz (1939-2018) gilt als einer der prägenden und prominentesten Autoren Israels. Sein Name und sein Werk wurden zum Inbegriff moderner hebräischer Literatur in aller Welt.
Geboren als Amos Klausner, wuchs Amos Oz in Jerusalem auf. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war einer der Gründer der Friedensbewegung Schalom Achschaw (Peace now). In Deutschland war er ein vielgefragter Gast. Sein Werk wurde unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014 ausgezeichnet. Sein bekanntestes Buch Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.
Einfühlsam schildert Robert Alter, Literaturwissenschaftler und ein profunder Kenner des Werks von Amos Oz, den Lebensweg seines langjährigen Freundes, dessen Verhältnis zu seiner Familie, das Leben im Kibbuz und Oz' Entwicklung als Autor und Friedensaktivist im Kampf für ein pluralistisches Israel. In dieser ersten Biografie entsteht ein empathisches Lebensbild des großen Autors.Besprechung vom 28.11.2024
Die gespaltene Wurzel
Hat Amos Oz geahnt, was Israel heute erlebt? Robert Alters Biographie des Schriftstellers erinnert daran, wie er die Rolle als optimistischer Friedensaktivist fast bis an sein Lebensende gespielt hat.
Sechs Jahre nach dem Tod von Amos Oz legt Robert Alter ein vielschichtiges Porträt vor, das neben dem Schriftsteller auch den politisch engagierten Mann zeigt, der immer um den Frieden zwischen Israel und dessen palästinensischen Nachbarn bemüht war. Leider erscheint das Buch während eines endlosen Krieges, den Israel jetzt führt, und das wirft ein melancholisches Licht auf die Gestalt von Amos Oz.
Alter lehrt hebräische Literatur an der Universität von Kalifornien und war ein langjähriger Freund von Oz. Er schreibt mit großer Wärme über ihn, bleibt dabei aber immer sachlich und professionell, lässt ihn weitgehend für sich selbst sprechen. Anhand einer Auswahl von Oz' Werken und Vorträgen, die er zitiert und überzeugend deutet, entstehen divergierende Bilder eines Autors und einer öffentlichen Person, die sich nicht leicht zur Deckung bringen lassen.
Exemplarisch zeigt sich das schon in jenem Buch, das Alter zu Beginn seiner Studie als einen Schlüsseltext analysiert, der die Grundzüge des folgenden Porträts enthält. Im Jahr 2002 legte Oz "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" vor: einen Rückblick auf seine Kindheit in Jerusalem und die schriftstellerischen Anfänge im Kibbuz. Bereits der Gegensatz im Titel, "Liebe" und "Finsternis", deutet auf die gespaltene Wurzel hin, aus der Leben und Werk von Amos Oz erwuchsen.
Als Kind hieß er Amos Klausner und gehörte einer aus Osteuropa nach Palästina eingewanderten Familie an, die auf dem rechten Flügel der zionistischen Bewegung stand und in Menachem Begin ihre politische Leitfigur sah. Schon mit fünfzehn Jahren aber verließ Amos diese Familie und wechselte ins andere Lager, ging zu den verhassten Sozialisten in einen Kibbuz und nannte sich fortan Oz - ein hebräisches Wort, das "Mut" oder "Stärke" bedeutet.
In "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" enthüllte er erstmals das große Trauma seiner Kindheit, über das er bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr fast nie gesprochen hatte: Seine Mutter beging Selbstmord, als Amos zwölf Jahre alt war. Seit dem Erscheinen des Buchs pflegen viele Kritiker, sein Werk im Licht dieser Tragödie zu deuten.
Die Studie fußt auf Tatsachen, die seit Langem über das Leben von Amos Oz bekannt sind. In dieser Hinsicht bringt sie wenig Neues, denn Robert Alter schreibt nicht als Biograph, sondern als Literaturwissenschaftler über den Freund. Seine Stärke liegt in den Deutungen, die er ausgewählten Texten gibt und Oz auf diese Weise als eine komplexe Person sichtbar macht.
"Liebe und Finsternis" liest Alter nicht nur als biographische Quelle, wie viele es tun, sondern als eine Selbstdarstellung, in der sich historische Reminiszenzen mit fiktiven Elementen vermengen. Nicht zufällig hat Amos Oz selbst dieses gewöhnlich als Autobiographie verstandene Buch einen Roman genannt. So gibt es darin zwei Szenen, in denen er zuerst Menachem Begin und später David Ben-Gurion begegnet und beide witzig karikiert. Ob die zum privaten Gespräch stilisierte Begegnung mit Ben-Gurion wirklich so stattgefunden hat, wie Oz sie beschreibt, wird von der Forschung aus guten Gründen in Zweifel gezogen.
Alter liest "Liebe und Finsternis" sehr viel interessanter, nämlich nicht nur als eine Darstellung der Welt, in der Amos Oz aufgewachsen ist, sondern auch als ein poetologisches Manifest, in dem er beschreibt, wie er vom kleinen Kind im nationalistischen Milieu seiner Jerusalemer Familie zum Schriftsteller geworden ist. "Du wirst diesen Abend nie vergessen", zitiert Alter eine entscheidende Stelle: "Bist gerade einmal sechs Jahre alt oder höchstens sechseinhalb, aber zum ersten Mal in deinem kleinen Leben eröffnet sich dir etwas höchst Mächtiges und Beängstigendes, das sich von Unendlichkeit zu Unendlichkeit spannt, dringt in dich ein und öffnet dich plötzlich ganz und gar, und eine Stimme, die nicht deine Stimme ist, aber vielleicht die Stimme, die du in dreißig oder vierzig Jahren haben wirst, gebietet dir, diesen Abend nie zu vergessen."
Amos Oz beschreibt hier das Erlebnis seiner Berufung zum Schriftsteller. Robert Alter nennt es den "Weiheritus des kleinen Jungen zum Künstler", wie wir ihn auch aus anderen Texten dieser Art kennen. Zum Vergleich nennt Alter "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" von James Joyce, denn er schreibt für ein amerikanisches Publikum; der deutsche Leser aber wird wohl eher an Goethes "Dichtung und Wahrheit" denken.
Diese Auslegung ist bestechend, und da Alters Studie in dunkler Zeit erscheint - während jenes langen Krieges, den Israel jetzt führen muss -, ist man versucht, sie um einen Schritt weiterzudenken. Es hat, wie schon gesagt, sehr lange gedauert, bis Amos Oz das große Trauma seines Lebens, den Selbstmord seiner Mutter, zur Sprache brachte. Ausführlich geschah das erst 2002, und es bildete das Ende von "Liebe und Finsternis".
Wer hier den Urschmerz erkennen will, aus dem das Werk von Amos Oz entstanden ist, wird nicht unrecht haben. Verständlich ist auch, dass er lange nicht darüber sprechen konnte. Warum aber entschloss er sich gegen Ende des Jahrtausends dazu, den Schutzwall zu durchbrechen, den er um seinen Schmerz gelegt hat?
Eine Antwort bieten vielleicht die wenigen Zeilen, in denen Oz den mütterlichen Selbstmord schon vorher einmal kurz erwähnt hat. In einer autobiographischen Notiz aus dem Jahr 1975 heißt es: "Aber Fania, meine Mutter, ertrug ihr Leben nicht und beging 1952 aus all ihrer Enttäuschung oder Sehnsucht Selbstmord. Nichts war gelungen."
Hier deutet Oz die Katastrophe seiner Kindheit als Folge einer tiefen Enttäuschung, der seine Mutter nicht gewachsen war. Ist es denkbar, dass auch er am Ende des Jahrtausends eine tiefe Enttäuschung erlebte, die ihn zwang, das so lange gehütete Geheimnis preiszugeben?
Robert Alter stellt seinen Freund in mehreren Kapiteln dar, und eines trägt den Titel "Der Aktivist". In ihm berichtet er, wie unermüdlich sich Oz - einer der Gründer der Frieden-jetzt-Bewegung - für eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern einsetzte. Vielleicht, so schreibt er am Ende dieses Kapitels, "mag Amos Oz sein Vermächtnis als Sprecher für Frieden und Versöhnung wichtiger gewesen sein als das seines literarischen Werks". Eine solche Versöhnung wollte auch Jitzchak Rabin herbeiführen, der am 4. November 1995 ermordete israelische Ministerpräsident, und einige Monate später kamen die Parteien wieder an die Macht, die sich Rabins Friedenshoffnungen widersetzt hatten.
Heute wissen wir nur zu gut, wo das hingeführt hat - und ahnte Oz das damals, am Ende des Jahrtausends, alles schon voraus? Hat auch er, wie seine Mutter, das Gefühl gehabt: Nichts war gelungen? Nach außen hin ließ er sich das nicht anmerken, und Alter erzählt, wie er seine Rolle als optimistischer Friedensaktivist fast bis ans Ende weitergespielt hat.
Lässt er die Leser in "Liebe und Finsternis" gerade deshalb seinen persönlichen Schmerz sehen? Diese Frage bleibt am Ende nur eine Spekulation, im Schatten des Krieges jedoch drängt sie sich dem Rezensenten dieser schönen Studie über Amos Oz unweigerlich auf. JAKOB HESSING
Robert Alter: "Amos Oz". Autor, Friedensaktivist, Ikone.
Aus dem Englischen von Ursula Kömen. Jüdischer Verlag, Berlin 2024. 222 S., geb.
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