Ein ebenso glänzender wie scharfsinniger Beitrag zur jahrtausendealten Debatte über Wesen und Form, Essenz und Oberfläche, Argument und Rhetorik
Warum lieben wir bestimmte Autos - und oft nicht die nützlichsten? Warum berührt uns ein bestimmtes Kunstwerk, während andere uns kalt lassen? In welchen Worten muss ein guter Ratschlag formuliert sein, damit er beim Gegenüber Wirkung zeigt? In seinem neuen Buch untersucht der Philosoph Robert Pfaller Funktion, Bedingung und Wirkungsweise der Form, um ihrem Geheimnis auf die Spur zur kommen - ihrer Macht.
Schon Quintilian wusste: »Ein Redner muss nicht nur mit scharfen Waffen kämpfen, sondern auch mit blitzenden. « Robert Pfaller geht einen Schritt weiter: Er erklärt, warum überhaupt nur blitzende Waffen scharf sein können.
Der Bestseller-Autor von »Erwachsenensprache« und »Wofür es sich zu leben lohnt« räumt auf mit unserer Vorstellung, wir würden uns von Oberflächen nicht täuschen lassen und direkt in die Tiefe der Dinge blicken. Stattdessen postuliert Robert Pfaller ein sehr viel komplexeres Beziehungsgefüge: die Dialektik von Form und Inhalt.
Besprechung vom 17.07.2020
Mattes Maskenlob
Wir leben "in der finsteren Postmoderne", meint Robert Pfaller, Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Denn den "Individuen sind ganz offensichtlich ihr Spiel und ihre Masken abhandengekommen". Im nächsten Satz zitiert er Richard Sennett, und schon ist klar, wie es weitergeht. Die Postmoderne hat das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Ritualen, Masken und anderen Distanzierungstechniken verloren, alles zielt auf eine als unmittelbar verstandene Wahrheit. Und das ist schlecht, weil es die Voraussetzung der Gesellschaftlichkeit unterminiert.
In seinem Buch möchte Pfaller die "Macht der Form" rehabilitieren. Den Titel hat er Quintilians Lehrbuch der Rhetorik entnommen, wonach die Waffen des Redners nicht nur schlagkräftig, sondern blitzend sein sollen. Diese Qualität, Form oder Ästhetik, vermisst Pfaller im Zusammenleben wie in der Kunst der Gegenwart. Die Diagnose ist nicht neu, es käme darauf an, sie auf ergiebige Beispiele anzuwenden. Stattdessen belehrt uns der Autor allen Ernstes etwa darüber, dass es "kein Sehen ohne Standpunkt" gibt. "Jedes Sehen kommt aus einer bestimmten Perspektive. Man kann nicht einfach nur objektiv sein." Nicht weniger biedermännisch: "Auch etwas so Leichtlebiges und Ephemeres wie die Mode bildet eine symbolische Ordnung." Dass fast alles aus dem Zeughaus der Firma Barthes, Lacan, Zizek & Co. bezogen wird, verstärkt den matten, ganz unblitzenden Eindruck. Und auch die wenigen empirischen Momente stammen aus zweiter Hand. Die aktuelle Kunst leidet unter einem platten "Konsensmoralismus" und einem Mangel an dem, was Kunst am Kunstwerk ist? Gut möglich. Aber das sollte der Autor an autoritativen Beispielen auf eigene Rechnung aussprechen. Stattdessen delegiert er das Urteil an verschiedene ungünstige Rezensionen der documenta 14. Doch wozu braucht es Waffen, blitzend oder brüniert, wenn man sich nicht ins Gefecht begeben will?
STEPHAN SPEICHER
Robert Pfaller:
"Die blitzenden Waffen".
Über die Macht der Form.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 288 S., geb.
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