Dass Rotraut Susanne Berner eine der wichtigsten Illustratorinnen für Kinderbücher ist, dürfte inzwischen allen Eltern von Kleinkindern bekannt sein, denn ihre Wimmelbücher haben sich in kürzester Zeit als unverzichtbare Klassiker in den Kinderzimmern bewährt. Dass sie aber auch eine hervorragende Autorin von Texten ist, das wissen nur die "Karlchenleser", und das dürfen ruhig noch viel mehr werden! Vor allem, wenn ein Kind gerade großer Bruder oder große Schwester wird, ist Karlchen eine ganz wichtige Identifikationsfigur, denn Karlchen fühlt und handelt genau so, wie sie selbst das tun: "Was ist los?", fragt er ganz fundamental, als eines Tages alles anders ist. Man erwartet in einem Hartpappebilderbuch nicht unbedingt große Literatur, Berner aber lässt es sich nicht nehmen, ausschließlich in bester Qualität zu arbeiten, auch wenn sie für Kinder schreibt. Wenn ich also ihre Wimmelbilder immer wieder mit den "Buddenbrocks" vergleiche, dann meine ich das ganz ernst, weil sie hier in Zeit und Raum die Geschichten vieler Figuren so stimmig ineinander gewoben hat, wie sich das für einen großen Roman gehört. Mit ihren Geschichten von Karlchen pflegt sie ebenfalls das, was Literatur ausmacht: Sie bringt die entscheidenden Aussagen eines Ereignisses mit den Mitteln der Sprache auf den Punkt. Ihre Sprache ist dabei ganz schlicht, weil sie dem kindlichen Leser Raum lassen will für die eigenen Gefühle, die eine solch eindrückliche Situation auslöst, wie einem Baby gegenüber zu stehen, das jetzt für immer zu ihm gehört: "Warum will sie in deinem Bett schlafen?", fragt er die Mama und bohrt noch weiter: "Wie lange will sie bleiben?" Dieser Text bietet Platz für alle Wünsche und Ideen, die ein Kind nur haben kann und deckt nichts zu - es ist an den Erwachsenen, die Kinder durch das Abenteuer dieser Geschichte zu begleiten und das Kind von sich erzählen zu lassen. Die Bilder, mit denen Susanne Berner dieses kleine Buch natürlich ebenfalls ausgestaltet hat, begleiten diese Erfahrungen mit eigener Sprache: Wie wunderbar, schon auf den ersten Seite deutliche Hinweise entdecken zu können, dass es Zuwachs geben wird, als Karlchen das noch überhaupt nicht merkt, zum Beispiel den Storch oder die beiden Küken der Henne. Und am Ende umkleiden die Bilder liebevoll Karlchens Entschluss, der kleinen Klara seine Spielsachen zu zeigen, wenn sie schon "für immer" zur Familie gehören soll. (Rezension von Gabriele Hoffmann aus dem LibriFachkatalog Harry & Pooh 2009/2010)