
Besprechung vom 16.10.2025
Fleischloses zum Wohlfühlen
Schneverdingen ist vielleicht nicht das Zentrum, aber für viele das Tor zur Lüneburger Heide. Jahr für Jahr kommen Tausende Touristen in das Städtchen im niedersächsischen Heidekreis, um von dort aus die urwüchsige Landschaft der Umgebung zu erkunden und am letzten Wochenende im August beim großen Heideblütenfest die frischgekrönte Heidekönigin zu bejubeln. Dafür ist Schneverdingen bekannt, für kulinarische Höhenflüge weniger. In den Gasthäusern und Lokalen in der ländlich geprägten Gegend wird vor allem Bodenständiges und Deftiges serviert: Hochzeitssuppe, Schweinskopfsülze, Heidschnuckenbraten mit Pfifferlingen und Rotkohl, Grünkohl mit Röstkartoffeln und Bregenwurst, Buchweizentorte und Blaubeerkuchen. Ohne Fleisch geht im Grunde nichts. Doch das könnte sich durch Sandra Mühlberg vielleicht ändern.
Die junge Frau war zwar nie Heidekönigin, aber sie ist gerade dabei, Schneverdingen einen Platz auf der kulinarischen Landkarte zu verschaffen. Seit fünf Jahren ist sie als Food-Bloggerin, Influencerin und Food-Stylistin aktiv, in Schneverdingen betreibt sie ihr eigenes Kochstudio, entwickelt Rezepte, veranstaltet Workshops und erreicht über Instagram inzwischen ein beachtliches Publikum. Bei Callwey ist nun ihr erstes Kochbuch mit dem Titel "Grün. Warm. Gut" erschienen, und das hat mit der klassischen Heideküche tatsächlich kaum etwas zu tun. Es ist modern, international - und vegetarisch.
Eine ganze Reihe der Zutaten für die mehr als 80 Rezepte in dem 224 Seiten starken, sehr schön bebilderten Band kennt man von traditioneller Hausmannskost, bei Mühlberg tauchen sie aber meist in anderer, mitunter unkonventioneller Form auf: der Wirsing zum Beispiel als Risotto und gebackener Pie, der Rosenkohl in Pasta mit Blauschimmel-Soße und in einem asiatischen Curry, der Grünkohl nicht als Rahmgemüse, sondern als Pesto mit Walnüssen und Granatapfel und der Kürbis nicht als altbackenes Ofengemüse, sondern als cremiger Dip mit Feta-Käse und Honig.
"Wohlfühlgerichte" nennt Mühlberg ihre Kreationen, Gerichte, die Herz und Bauch wärmen. Gleich zu Beginn des Buches erklärt sie ihren Lesern, was sie unter solchen, im Englischen als Comfort-Food bezeichneten Speisen versteht und dass sie keineswegs eine fleischliche Komponente haben müssen, um glücklich, zufrieden und auch satt zu machen.
Manche ihrer Gerichte sind dabei ganz und gar bodenständig und schlicht, wie zum Beispiel der Salat von grünen Bohnen, die Dill-Kartoffeln mit Eiern und Senfsoße oder das Kartoffel-Möhren-Gratin, andere verweisen auf die polnischen Wurzeln ihrer Familie, etwa die Salzgurkensuppe, der Krauteintopf Bigos oder die süßen Pierogi. Die meisten aber sind kreativ und allen möglichen internationalen Küchen entlehnt, wie das würzig-scharfe Jalapeno-Cheddar-Brot, das Focaccia mit Kimchi, die Mac 'n' Cheese-Variante mit koreanischer Gochujang-Chilipaste oder der Miso-Rosenkohl mit Orangen-Glaze.
Mühlberg gibt im Verlauf des Buches eine Vielzahl nützlicher Tipps, von den Grundlagen der vegetarischen Küche über Hinweise zur Lagerung von Gemüse, von Nährwerten und Vorratslisten bis hin zu Ideen für kindgerechte Gerichte. Zu einem praktischen und alltagstauglichen Ideen- und Ratgeber wird das Buch aber vor allem durch die durchweg sehr verständlich und nachvollziehbar beschriebenen Rezepte. Wer weiß, vielleicht kommt so auch der eine oder andere alteingesessene Heidebewohner auf den fleischlosen Geschmack. bad.
Grün. Warm. Gut.
Sandra Mühlberg, Callwey-Verlag, München 2025,
224 Seiten
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