Schimpansen putzen die Zähne toter Artgenossen. Krähen meiden Orte, an denen sie Kadaver gefunden haben. Elefanten sammeln wie besessen Elfenbein. Wale tragen ihre Toten wochenlang durch das Meer. Dennoch glaubt der Mensch beharrlich, dass nur er allein in der Lage ist, sich einen Begriff von der eigenen Sterblichkeit zu machen. Denn seit jeher verstellt die anthropozentrische Perspektive den Blick auf die Vielfalt im Umgang mit dem Tod auf unserem Planeten. Dabei lassen sich derart viele faszinierende Reaktionen auf den Tod beobachten, die unseren zwar nicht gleichen mögen, doch trotzdem von Verständnis handeln.
Das Schweigen der Schimpansen verbindet philosophisches Nachdenken mit den aktuellsten Erkenntnissen aus der Verhaltensforschung und der vergleichenden Psychologie. So präsentiert Susana Monsó eine neue wissenschaftliche Disziplin: die vergleichende Thanatologie. Und sie zeigt eindrücklich, dass wir, wenn es um Tod und Sterben geht, vielleicht nur ein Tier unter vielen sind.
Besprechung vom 07.08.2025
Ein Biss vom Herrchen zum Abschied
Zu viel Gewese um den Tod? Die Philosophin Susana Monsó traktiert ihn mit einem Parcours durch die vergleichende Betrachtung des Sterbens bei Tier und Mensch
Mit dem Opossum ist es ein wenig wie mit Schrödingers Katze: Es kann einen Zustand einnehmen irgendwo zwischen lebendig und tot. Fühlt sich das Tier bedroht, kippt es um und bleibt wie gelähmt liegen, Körpertemperatur und Atemfrequenz sinken, die Zunge hängt blau verfärbt aus dem Maul, es verdreht die Augen und fängt sogar an, nach Verwesung zu stinken. Dennoch hat das Opossum die Lage im Blick, ist die Luft rein, steht es auf und geht seiner Wege.
Das Opossum stellt sich tot, und zwar sehr überzeugend. Aber versteht es, was es bedeutet, tot zu sein? Versteht es, dass sein Leben endlich ist? Oder was es bedeutet, wenn ein anderes Lebewesen gestorben ist? Haben nur Menschen die Einsicht, was es mit Tod auf sich hat? Der Mensch mache viel Aufhebens vom Tod, der Blick auf die Tierwelt biete hingegen eine Lektion in Bescheidenheit, meint die spanische Philosophin Susana Monsó. Letztlich verkompliziere der Mensch nur, was auch (manche) Tiere durchschauen. Um dies zu belegen, führt sie in ihrem Buch durch eine ungewöhnliche Disziplin: die vergleichende Thanatologie, die Wissenschaft von Tod und Sterben bei Mensch und Tier.
Darin verbindet sie anrührende Geschichten - über Schimpansen, die schweigend zusehen, wie ein verstorbenes Gruppenmitglied weggebracht wird, Elefanten, die versuchen, sterbende Herdenmitglieder wieder aufzurichten, oder Delphine, die sterbende Artgenossen über Wasser halten - mit penibler philosophischer Analyse von Beobachtungen, Begriffen und Bedingungen. Und mit weniger rührenden Geschichten, etwa jenen von Hunden, die mit ihren verstorbenen Herrchen eine Weile allein waren und die Leichen angefressen haben, obwohl ihr Futternapf noch voll war.
Will man verstehen, was Tiere vom Tod wissen, besteht die Herausforderung darin, nicht zu viel menschliches Gefühl auf die Tiere zu projizieren - "emotionalen Anthropozentrismus" nennt Monsó das -, aber auch nicht zu wenig. Es gilt, die Geschichten über sterbende Tiere immer wieder zu hinterfragen, sich die eigenen Kriterien bewusst zu machen und zu überlegen, ob es nicht noch andere Erklärungen geben könnte. Ob es Verwirrung ist, Aufregung, Hunger, Angst oder Trauer, die Hunde bewegt, ihre verstorbenen Herrchen anzufressen, ist bislang nicht geklärt. Auf jeden Fall gibt es mehr Arten, emotional auf den Tod zu reagieren, als die, die wir von Menschen kennen, so die Autorin.
Um diese Vielfalt in den Griff zu bekommen, stellt sie drei Kriterien für ein Verständnis vom Tod auf: Kognition, Erfahrung und Emotion. Um einen Begriff vom Tod zu haben, dürfen Tiere demnach nicht stereotyp auf den Tod reagieren, sondern müssen anhand der Begegnung mit Toten oder Sterbenden einen Lernprozess durchlaufen haben, müssen verstanden haben, dass Tote die Dinge, die Lebende gewöhnlich tun, nicht mehr tun können und dass sich dies auch nicht mehr ändern wird. "Übergang in die irreversible Nichtfunktionalität", nennt Monsó das. Zudem müssen sie den Begegnungen mit Tod und Sterben Aufmerksamkeit schenken, es muss sie interessieren.
Nach diesen Kriterien gibt es viele Tiere, die offenbar kein Verständnis vom Tod haben. Dazu gehören etwa die Ameisen. Sie sind durchaus in der Lage, in Not geratenen Artgenossen zu helfen. Doch wenn sie nach Tod riechen, nämlich nach Ölsäure, werden sie aus dem Bau befördert. Pinselt man lebende Ameisen mit Ölsäure ein, werden sie hinausgeworfen, auch wenn sie sich heftig wehren: eine unveränderliche Reaktion auf einen Schlüsselreiz.
Aussichtsreichere Kandidaten für ein Verständnis vom Tod findet Monsó unter den Säugetieren. Sie haben meist reichlich Erfahrung mit dem Tod, denn ihr Leben ist ständig in Gefahr; dass der Nachwuchs erwachsen wird, ist bei vielen Arten eher die Ausnahme als die Regel. Bei Schimpansen liegt die Kindersterblichkeit bei etwa fünfzig Prozent, berichtet die Autorin, bei den Löwen der Serengeti bei 76 Prozent. Die einen töten, um satt zu werden, die anderen versuchen zu verhindern, dass sie als Mahlzeit enden. Und dann gibt es noch die unschönen Berichte über Verhaltensweisen unserer nächsten Verwandten, die als Entführungen, Morde, Kriege und Infantizide beschrieben werden. Und die zumindest zum Teil sorgfältig geplant zu sein scheinen.
Verschiedene Studien belegen zudem, dass viele Tierarten ein Verständnis davon haben, wie Artgenossen sich gewöhnlich verhalten und wie, im Gegensatz dazu, Tote aussehen. Die Tiere prüfen auch sorgfältig, ob ein Artgenosse, ein Beutetier oder ein potentieller Räuber wirklich tot ist. Sie zupfen an einem toten Tier herum, schauen es genau an, riechen daran. Im Wesentlichen gilt: Wer tot ist, liegt merkwürdig herum, reagiert nicht und stinkt. Zu verstehen, dass Tiere tot sind, bedeute letztlich erst einmal nur, sie neu zu kategorisieren: raus aus der eigenen Gruppe, hin zu Wesen, von denen das gewöhnliche Verhalten nicht mehr zu erwarten ist. "Besonders anspruchsvoll", so die Autorin, "ist eine solche Form des Lernens nicht, und so gibt es auch keinen Grund anzunehmen, sie sei im Tierreich nicht allenthalben anzutreffen."
Aber verstehen die Tiere auch, dass der Tod unvermeidlich ist, dass sie selbst sterblich sind? Immerhin macht dieses Wissen für Menschen das eigentliche Drama des Todes aus. Für den Trick des Opossums reicht das Wissen der anderen, wie ein totes Tier aussieht. Es selbst muss so wenig vom Tod wissen wie eine Heuschrecke namens "Wandelndes Blatt" darüber, dass sie aussieht wie ein Blatt. Was könnte also als Beweis für eine solche Einsicht gelten? Von manchen Tierarten wird berichtet, dass sich sterbende Individuen von der Herde absondern, aber sind sie vielleicht einfach zu geschwächt, um mitzuhalten? Man könne aufgrund von Verhaltensstudien zumindest davon ausgehen, manche Tiere könnten verstehen, dass es ihnen in einer Situation, in der ein Artgenosse zu Tode kam, ebenso ergehen könnte, meint Monsó. Darüber hinaus ließe sich wenig wissen. Auf das weite Feld der Diskussionen um Bewusstsein und Selbstbewusstsein bei Tieren wagt sie sich nicht. Stattdessen rettet sie sich in den Gemeinplatz, die Abwesenheit von Beweisen für ein Phänomen beweise nicht die Abwesenheit des Phänomens. Vermutlich seien Menschen die einzigen Wesen mit einer Vorstellung von der Unvermeidbarkeit des Todes. Dennoch solle man keine zu scharfe Grenze zwischen Mensch und Tier ziehen.
So steht am Ende der sorgfältigen und betont sachlichen Analyse die nicht so überraschende Einsicht, dass die verschiedenen Tierarten über ein unterschiedlich ausgebildetes Verständnis vom Tod verfügen. Die These, man könne von den Tieren lernen, dass es kein Rätsel um den Tod gebe, sondern nur den Übergang in die Kategorie derer, die herumliegen und stinken, wird der kognitiven Komplexität des Menschen aber vielleicht doch nicht ganz gerecht. MANUELA LENZEN
Susana Monsó: "Das Schweigen der Schimpansen". Wie Tiere den Tod verstehen.
Aus dem Spanischen
von Thomas Brovot.
Insel Verlag, Berlin 2025.
254 S., Abb., geb.
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