Irgendwie lese ich dieses Jahr recht viele neue Romane, die in der (Nach)-Kriegszeit spielen. Den 2. WK meine ich hiermit. Als ob es gerade eine Art kollektives Bedürfnis gibt, diese Jahre literarisch aufzuarbeiten und zu verarbeiten? Ich muss aber sagen, ich finde die meisten Romane sehr spannend und berührend - so auch diesen, dies gleich mal vorweg geschickt. Und bei diesem hier fühlte ich als "Kriegsenkelin" mich auch direkt auf und mit dem Klappentext angesprochen: die Autorin Frau Jakob schreibt eine Geschichte über unsere Mütter und Großmütter, und wie sich diese Geschichten immer noch auf uns, die Nachfahren, auswirken. Okay, ich war interessiert :-)Wir sind in Süddeutschland, im Badischen. Die junge Agnes ist die einzige Überlebende ihrer Familie, die vor Jahren aus dem nun wieder französischem Straßburg umgesiedelt wurde. Und nun hat sie bei einem Bombenangriff alle verloren. Sie wird bei den Steiners einquartiert, deren ältester Sohn Walter an der Front dient. Walter und Agnes heiraten ein paar Jahre später - nicht wirklich aus romantischen Überlegungen, aber praktisch gesehen passt es. Walter ist lange in Kriegsgefangenschaft, und als er zurückkommt, ist der Krieg längst vorbei - und Walter ein kriegstraumatisierter Veteran. Während Agnes in der Verwaltung der französischen Besatzung eine gute Stelle innehat und von einer neuen Zukunft träumt, ist Walter mit alten Kameraden unterwegs....die beiden leben sich zusehends auseinander. Als dann Tochter Monika auf die Welt kommt, soll Agnes zurück an den heimischen Herd. Es wird eine konfliktbeladene Zeit werden....Auf einer zweiten Zeitebene sind wir im hier und heute bei Lilo, einer jungen Goldschmiedin, und Monika. Also bei Tochter und Enkelin. Deren Verhältnis ist leicht unterkühlt, was nicht daran liegt, dass keine Gefühle da sind, sondern daran, dass Monika ihre Gefühle nie zeigen konnte (Anmerkung: kommt das irgendwem bekannt vor? Die Nachkriegsgeneration, die emotional irgendwo Defizite hat? Ich sag es mal einfach so salopp.....?).Eines Nachmittags liegt ein Brief auf dem Tisch, den Lilo sich anbietet, zur Post zu bringen. Ein Brief an die Familie Steiner. Den Teil der mütterlichen Ahnentafel, den Lilo nur namentlich kennt. Der Tabuteil der Familie. Die, dessen Namen man nicht sagen darf, zumindest nicht, wenn man Mama Monika nicht aufregen will. Aber dieses Mal siegt Lilos Neugier, und sie stellt auf eigene Faust ein paar Nachforschungen an, die sie am Ende zwar tief bestürzen sollen, die aber auch Klärung und schlussendlich eine heilende Wirkung haben. Klassische griechische Katharsis.Ja, mehr zum Inhalt zu verraten wäre spoilern.Ich fand das Buch grandios. Einmal angefangen habe ich das echt in einem Rutsch durchgelesen. Hat mich eine komplette schlaflose Nacht gekostet, aber das Buch hatte Sogwirkung. Ich fand es einerseits wirklich gut und flüssig und spannend geschrieben, es war historisch super recherchiert, aber andererseits habe ich festgestellt: das ist "mein Thema". Auch wenn meine eigene Familiengeschichte komplett anders ist auf Sachebene, habe ich so viele Parallelen auf emotionaler Ebene entdeckt. Also, es hat mich komplett gefesselt; und natürlich hatten wir hier auch gleich drei interessante Frauencharaktere. Und ich denke, die Story von Agnes ist so, so typisch: als junges Mädchen den Krieg mitgemacht, so vieles verloren, immer wieder aufgestanden, Krönchen gerichtet, weitergemacht, Leben wollen, alle Schwierigkeiten gemeistert. Gearbeitet. Geld verdient, Haus und Hof geschmissen, während die Männer im Krieg waren - und kaum waren diese wieder zurück, sollten sie wieder ihre zaghaft angeworfenen beruflichen Karrieren aufgeben. Auch diesen Teil nimmt die Autorin sich thematisch an. Die vielen Frauen, die wieder an das heimische Herdfeuer mussten, und plötzlich durfte der Gatte wieder über komplett alles entscheiden, plötzlich waren wieder alle Rechte weg. Allein daran könnte man schon verzweifeln, und wenn dann die Ehe nicht wirklich glücklich ist....hmmmm....schwierig.Also, Frau Jakob nimmt sich hier einem ganzen Schwung Unterthemen an, und herausgekommen ist eine sehr runde Geschichte. Und natürlich haben wir am Ende die Katharsis. Das wird im Nachwort auch noch einmal kurz erwähnt; die Traumata, die epigenetisch von einer Generation auf die nächste vererbt werden; in diesem Fall von Agnes auf Monika und dann auf Lilo. Epigenetik ist per se ein super interessantes Thema, kann ich jedem nur empfehlen, und mit dieser Geschichte bekommen wir einen kleinen Einstieg in dieses Thema - und einen mit positivem Ausblick, denn epigenetische Prägungen sind durchaus lösbar und heilbar, wie es uns am Ende Monika und Lilo vorleben.Ich denke mir, die Zielgruppe für diesen Roman sind jetzt nicht unbedingt die ganzen jungen Leser und Leserinnen, aber für die, wie sagt man neudeutsch so nett, "Generation X", dürfte gefesselt sein.Große Leseempfehlung meinerseits!Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!