Wolfgang Steih: Schatten über dem Seerosenteich
story.one-Verlag, 2024
Wolfgang Steih hat mit seinem zweiten Buch erneut eine lesenswerte Kurzgeschichte vorgelegt, wie sie jeder miterzählen könnte, der selber Kunst macht, egal ob Malen, Musik oder Schreiben. Jeder/jede, der selber erkennen musste, dass Kunst weniger mit Können zu tun hat als viel eher mit dem Wort Knete, also Geld. Steih verwickelt den Leser in seinem Epos Schatten über dem Seerosenteich auf fünfundsiebzig Seiten kurz und rasant in genau diesen Widerspruch zwischen Können und Kommerz.
Charlotte Caprolat, so der Künstlername der Protagonistin dieser Geschichte, ist eine junge, talentierte Malerin, die der Leser auf ihrem Weg zum Vorstellungsgespräch für ihre erste Ausstellung kennenlernt. Mit bildreicher Sprachgestaltung lässt Wolfgang Steih seine Ich-Erzählerin in das oberste Stockwerk eines Frankfurter Glasturms fahren, was der jungen Malerin nicht nur sinnbildlich als ihr Aufstieg zum Olymp der Kunst erscheint. Ich fuhr nach oben und fühlte mich angekommen auf der Ebene von Geld und Kunst. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, willkommen zu sein, beschreibt er Charlottes Gedanken auf dem Weg zu der Kuratorin der Kunstausstellung.
Der Autor versteht es brillant, mit der eingesetzten Sprache Charlottes anfänglich noch euphorische Stimmung eindrücklich rüberzubringen, genauso wie er es später erreicht, wenn er den Leser dann quasi als Beobachter neben dem Schreibtisch einer technisch kühlen, desinteressierten Kuratorin platziert. Denn Charlottes Gespräch entwickelt sich nicht zum erhofften Dialog über ihre Kunst und den Durchbruch zum Erfolg. Ganz im Gegenteil: Wieso soundso viele Bilder pro Teilnehmer?, fragt sie empört. Ich dachte, ich sei die einzige Ausstellerin!. Nein, sei sie nicht, lautet die kühle Antwort, und die junge Malerin muss erfahren, dass die geplante Vernissage in der Kunstzone einer Bank entstehen soll und alle organisatorischen Details dafür bereits feststehen, von der Auswahl und der Anzahl der Bilder, über ihre Kleidung für den Abend, bis zu den Worten, die sie sagen sollte. Und zu allem Unglück gehört zu den vorausgewählten Bildern von Charlotte auch ihr Lieblingsbild Seerosenteich, welches die Künstlerin allerdings schon vor langer Zeit verschenkt hat. Dieses Bild aber, so hat es sich die Kuratorin in den Kopf gesetzt, soll der Eye-Catcher (so Steihs Wortwahl) werden. Sie will, dass es gezeigt wird. Organisieren Sie das Bild für diese Ausstellung! Es täte mir wirklich leid, wenn ich Sie hier und heute von der Liste streichen müsste. Charlotte bekommt Bedenkzeit, ist plötzlich konfrontiert mit Vertragsklauseln und Schadensersatzforderungen statt Bilderauswahl und Motiven, und damit wieder weit entfernt von ihrem Künstlerolymp, auf dem sie sich zum Anfang der Geschichte noch wähnte.
Wolfgang Steihs Buch endet mit dem Streitgespräch zwischen der Malerin und ihrem Freund Martin über die Frage, was Kunst eigentlich sein soll, ob Mainstream oder Aufrütteln, Avantgarde oder Nachmachen. Martin ist Charlottes Kontrapunkt, die Verkörperung des Widerspruchs von Markt und Überzeugung, zwischen allgemeiner, schöner Kunst (Aber ein schönes Bild, das ist doch Harmonie und Vollkommenheit) und dem Ausdruck von Gefühl des Künstlers. Wie als Symbol avantgardistischer, zum Nachdenken anregender Kunst sind in Steihs Buch vom Autor selber entworfene farbige Illustrationen eingestreut, vermengt mit markanten Sätzen und Aussprüchen bekannter Persönlichkeiten. Zum Nachdenken eben.
Ein sehr gelungenes kleines Buch.