Zazie ist wütend. Auf den Rassismus, der immer noch in dieser Welt herrscht. Auf die Privilegien weißer Männer. Darauf, dass diesen weißen Männern diese Privilegien nicht bewusst sind. Auf den Sexismus. Auf den Klassismus. Und auf allen anderen Ismen, die es noch so gibt. Ihr große Schwester Dieo ist hingegen zu erschöpft, um wütend zu sein: Die Care-Arbeit und Betreuung der drei Söhne bleibt hauptsächlich an ihr hängen, vor allem seitdem ihr Mann Simon in der Finance-Tech-World arbeitet und von morgens bis abends mit Anglizismen um sich schmeißt. Zwischen ihrer Familie und der Ausbildung als Psychoanalytikerin versucht Dieo zwar, die Wut ihrer Schwester aufzufangen, stachelt sie mit ihrer Verkörperung der gutbürgerlichen, angepassten Familie meist ungewollt weiter an. Als der Vater der beiden Schwestern, Papis, überraschend stirbt, reisen die beiden Schwester zusammen in seine Heimat, den Senegal. Hier wollen sie auf traditionelle Weise von ihm Abschied nehmen, Zazie will sich verstanden wissen und Dieo nach all den Jahren endlich ihre Wurzeln kennenlernen.Weiße Wolkenist der Debütroman der Frankfurter Autorin Yandé Seck - ein Umstand der bei der Lektüre der knapp 330 Seiten mehr als einmal zu spüren ist. Denn ihre Geschichte über zwei Schwestern, BIPoCs aus Frankfurt, studiert, reflektiert und eindeutig privilegiert istnicht immer ganz rund und schießt häufig mal übers Ziel hinaus.Dies liegt vor allem derFigurenzeichnung, die knapp an der Grenze zur Überzeichnung balanciert: Zazie ist die junge, schwarze, wütende Frau, die ihre Marxismus-Seminare fleißig besucht hat und die Sekundär-Literatur zu Rassismus und Feminismus auch in Gesprächen mit Freunden zitiert. Auch wenn sie unweigerlich eigene Erfahrungen mit Ausgrenzung und Stigmatisierung erlebt hat, schaut sie doch bisweilen aus dem Elfenbeinturm auf das Geschehen, ihre Wut wirkt angestrengt, da sie sich sehr aus der Theorie speist. Ähnliches gilt für Simon, Dieos Mann, der als typischer Start-Up-Mitarbeiter mit koksendem Chef gezeichnet wird, der eigentlich zu den Guten gehört und an "The future is female" glaubt, den mental load aufgrund seines überfüllte E-Mail-Postfach doch Dieo überlässt. Diese ist tatsächlich als Figur am besten getroffen, auch wenn sie ebenfalls einen bestimmten Typ verkörpert: die sich zwischen Familie und Beruf aufreibende Frau, die dank des Geldes ihres Mannes jedoch immer weich fallen wird.Seck lässt diese drei Figuren abwechselnd zu Wort kommen und zwar - um jetzt einmal die positiven Aspekte aufzuzählen - auf durchaus gelungene Weise. Ihre Protagonisten sprechenmodern und authentisch,überall dort, wo die Charakterisierung zu stereotyp ist, wirkt Secks Sprache erfrischend echt und nah. Das liegt auch daran, dass sie die Leser:innen unmittelbarins Geschehen wirft und ganz nach dem Motto "Show, don't tell arbeitet".Hintergrundwissen und einordnende Informationen sind inWeiße Wolkeneine Rarität,das Verständnis entsteht aus dem Kontext - oder eben nicht. In manchen Szenen bleiben die Leser:innen außen vor, so wie es nun auch mal im echten Leben passiert: Nicht alles Begegnungen sind verständlich, nicht alle Äußerungen einordbar. Das macht die Lektüre zwar durchaus manchmal anstrengend, vor allem wird sie dadurch abersehr lebendig und mitreißend.Es ist dieseNahbarkeit, die einem immer wieder zum Buch greifen lässt, während der Inhalt doch eher reduziert bleibt. Natürlich geht es aufgrund der Figuren und des zugrundeliegenden PlotsIdentität, Wurzeln, Heimat sowie um die Erfahrungen, die schwarze Frauen im Deutschlanddes 21. Jahrhunderts immer noch machen. Wirklich auslösende Momente, in denen diese Themen konkret greifbar werden, gibt es jedoch nicht. Der Tod des Vaters und die im Klappentext lebensverändernde Reise kommen nach 250 Seiten fast etwas zu spät, das Ende wartet mit einer Versöhnlichkeit auf, die so gar nicht zum Grundton des Romans passt. Hier zeigen sichweitere handwerkliche Schwächender Autorin, die in einem zweiten Roman nicht mehr passieren dürfen.Trotz aller Kritik würde ich zu einem zweiten Roman von Seck greifen.Weiße Wolkenerweist sich auch nach allen Abstrichen immer noch als vielversprechender Erstling, der vor allem mit der Nähe zu seinen Figuren punktet. Ihre Geschichte über zwei sehr ähnliche und doch unterschiedliche Schwestern überzeugt letztendlich doch und weiß, die Leserschaft mitzureißen. Wohlwollende und gerechtfertigte 4 Sterne.