Besprechung vom 26.10.2024
Vergib nicht meinen Händen
Gedichte im Geiste von Jazz, Blues und Soul: Yusef Komunyakaas "Der Gott der Landminen"
Kein Tier ist zu hässlich oder zu klein, um nicht in einem Gedicht besungen zu werden: "Bruder der Schmeißfliege & Gottheit, dein Zauber dringt Über Schlachtfelder In Gammelfleischscheiben & Absteigen". So beginnt die "Ode an die Made". Ihr Autor ist der 1947 als James William Willie Brown in Bogalusa, Louisiana geborene Yusef Komunyakaa. 1994 erhielt er für seinen Sammelband "Neon Vernacular: New and Selected Poems" den Pulitzerpreis für Lyrik. Die "Ode an die Made" schließt mit den Versen: "Kein Gesetz, keine Macht kann dich entmachten, Da du alles, was lebt, auseinandernimmst. Kleiner Beherrscher der Erde, in den Himmel kommt Keiner, ohne dass erst du ihn überkommst." In Gänze lesen kann man sie in dem zweisprachigen Band "Der Gott der Landminen", mit einer von Mirko Bonné ins Deutsche übersetzten Auswahl von 58 Gedichten, von denen die meisten zwischen 2001 und 2021 publizierten Bänden entnommen, einige bisher unveröffentlicht sind.
Einige Selbstaussagen und biographische Stationen Komunyakaas passen eindrucksvoll zusammen mit seinen "Word Paintings" oder "Wortgemälden", wie er sie selbst nennt, deren initiales Moment er stets im Alltagssprachlichen findet: Er ist Vietnamveteran, vernarrt in den Jazz, publizierte 1977 seinen ersten Gedichtband "Dedications & Other Darkhorses". Breitere Anerkennung fand Komunyakaa 1984 mit "Copacetic", einem Band, der seinen charakteristischen Stil begründete. Er ist emeritierter Professor für Literaturwissenschaft an der Princeton University und dort nach wie vor als Lehrer für Kreatives Schreiben tätig. 2014 berichtete er in einem Interview in der "Washington Review", ihm sei schon im Alter von fünf Jahren klar gewesen, Dichter werden zu wollen. Gefragt nach den Wunschgästen einer imaginären Tischgesellschaft nannte Komunyakaa Paul Robeson und Albert Einstein, Marguerite Duras, James Baldwin, Pablo Neruda und Nina Simone. Diese Konstellation ermöglicht eine Annäherung auch an seine Dichtung: Der sozialistisch orientierte Schauspieler, Sänger und Bürgerrechtler Robeson, Sohn eines entflohenen Sklaven, steht wie der Schriftsteller James Baldwin und die Sängerin Nina Simone für den selbstbewussten und kämpferischen Umgang mit der Herkunft und erlebtem Rassismus, für einen Umgang, wie er programmatisch 1925 in dem Gedicht des Lyrikers Langston Hughes "I Too Sing America" formuliert wurde, in dem es darum geht, Mitglied der herrschenden "Tischgesellschaft" zu werden, Akzeptanz zu erfahren. Darin heißt es "I am thy darker brother" und später: "besides, they'll see how beautiful I am".
Eines von vielen Gedichten Komunyakaas im vorliegenden Band, die entschieden und mit großer Sensibilität auf Ausgrenzung reagieren, ist "Aus der Autobiografie meines Alter Egos": "Siehst du diese Augen? Siehst du diese Zunge? Siehst du diese Ohren?", fragen die Eingangsverse und führen aus: "Sie können ein Erschüttern im Gras wahrnehmen, eine Oktave höher oder tiefer - leicht anders, einen Hauch, aber sie sind nicht anders als deine Augen & Ohren. Es stimmt nicht, dass ich nicht weiß, wie sich die Freiheitsstatue neigt zu meinen Gunsten oder deinen, dass ich nicht höre, was ich höre & in der todsicheren Nacht nicht sehe, was ich sehe von Jefferson & Washington bis zu Terroristen unter Kapuzen & Laken im Kopf eines Schwarzen."
Das Unrecht, das die Geschichte der Vereinigten Staaten seit ihrer Gründung in Form von Unfreiheit und rassistischem Wahn, hier dem des Ku-Klux-Klans, begleitet, und das Komunyakaa durch sein Aufwachsen in einem der Südstaaten erlebte, geht von den Menschen aus. Dem Unrecht entgegen steht in diesem an ein Gebet erinnernden Langgedicht der "kollektive Geist von Insekten, Vögeln & Tieren", der als "flüsternder Schatten in den Bäumen" wahrnehmbar ist. Immer wieder wird um Vergebung für alle Kreaturen gebeten, mal anrührend komisch, mal tief tragisch: "Vergib dem Waschbären die Fingerfertigkeit am Flussufer. Vergib dem Mondkalb & dem Glückskind Zweifel. Vergib der diebischen Zunge meines Vaters. Vergib dem betrunkenen Schlaflied meiner Mutter. Vergib dem sechsten Sinn. Vergib meinem Herz & Glied, aber vergib nicht meinen Händen."
Die Musikalität von Komunyakaas Versen überträgt sich auch beim Lesen der Übersetzungen. Mirko Bonné verortet in dieser Lyrik die erste poetische Stimme, der es gelingt, das Wesen des Jazz und seiner auf Improvisation und Zusammenspiel gründenden Klanglichkeit in Verse zu übersetzen. Doch nicht nur der Jazz, auch Blues und Soul bestimmen hier Rhythmik und Melodik. Man denke noch einmal an die imaginierte Tischgesellschaft, an die "High Priestess of Soul" genannte Nina Simone, an das melancholische Timbre einer Billy Holiday, das Elegische und Feinnervige eines Miles Davis und an Nat King Cole und Cassandra Wilson, von deren Musik im Gedicht "Schwarze Feigen" die Rede ist.
Musik, ihre Formen und ihre Metaphern sind omnipräsent, auch in der Grausamkeit und Gebrochenheit der Kriegsgedichte. Die Eindrücke in Vietnam müssen den jungen Komunyakaa stark geprägt haben. "Die Musik war beinahe heilig, auch wenn jetzt aus unseren Trommelfellen das Blut sickerte" liest man in "Heavy Metal Machine", einem Gedicht über die Willkür und Brutalität des Irakkriegs. Gegen Düsternis und Tod stehen Verse, die den Eros feiern: In "Der Körper erinnert sich" heißt es: "Der Körper erinnert sich, wie Beerensträucher im menschenleeren Wald schwer vor Süße bebten." "Der Gott der Landminen" durchwandert unermüdlich das ewige Spannungsfeld zwischen Zerstörung und Zerrüttung und dem Lebendigen und Schöpferischen. BEATE TRÖGER
Yusef Komunyakaa: "Der Gott der
Landminen".
Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Mirko Bonné. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2024.
176 S., geb.
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