Besprechung vom 11.01.2025
Romantik hinter der Tapetentür
Was das eigentlich ist, Romantik, muss jede Zeit und jede Gesellschaft, im Grunde sogar jeder Mensch für sich definieren. Das beginnt mit der Frage, welche Künstler und Wissenschaftler man zu dieser Richtung zählt und ob man sie jeweils komplett der Romantik zurechnen möchte - das wird etwa mit Blick auf Goethe in Deutschland ganz anders gesehen als in Großbritannien, wo man diesen Autor selbstverständlich als Romantiker einstuft. Dass zweitens im Verlauf eines Maler-, Bildhauer- oder Schriftstellerlebens auch ästhetische Maximen wechseln können und sich Jugendwerke anders einstufen lassen als die einer späteren Schaffensperiode, liegt ebenfalls auf der Hand. Nicht viel einfacher wird es, wenn man die Disziplin wechselt und im Bereich der Naturwissenschaften nach dem spezifisch Romantischen in der Erforschung der Welt fragt.
Wer also wie der Secession Verlag eine "Handliche Bibliothek der Romantik" in fünfzehn Bänden einrichtet, der traut sich was. Zumindest legt er damit eine Textsammlung vor, aus der sich nun, nach Abschluss der Serie in diesem Winter, ein zugrunde liegender Romantikbegriff ergeben müsste, wenn die Zusammenstellung, verantwortet von Roland Borgards, Mareike Hennig, Christiane Holm, Harald Neumeyer, Günter Oesterle und Dagmar von Wietersheim, nicht völlig beliebig erfolgt sein sollte.
Natürlich steht einem solchen Anspruch entgegen, dass die romantische Strömung ja gerade durch Entgrenzung, durch Offenheit gezeichnet ist, dass also klare Konturen - dies ist Romantik, jenes nicht - gar nicht zum Gegenstand passen. So sind denn auch die in dieser Reihe erschienenen Anthologien, neben den drei Romanen, mit elf Bänden der klare Schwerpunkt der Edition, thematisch und auch im Spektrum ihrer Entstehungszeit jeweils recht weit gefasst. Wenn ein Band "Dinge" versammelt, und das auf knapp 260 Seiten, dann muss man eine gewisse fröhliche Willkür erwarten, die auch das kluge Vorwort des Bandherausgebers Alexander Kling nur unterstreichen, aber nicht als einen scharf umrissenen Plan auslegen kann.
Insgesamt stellt sich die Frage nach dem Wohlbekannten und dem glücklich für die Leserschaft Erschlossenen - in den immerhin fünfzehn Bänden sollten sich doch selbst für diejenigen, die mit romantischen Texten einigermaßen vertraut sind, einige Entdeckungen machen lassen. Das ist in den einzelnen Anthologien auf unterschiedliche Weise der Fall. Einleuchtend versammelt etwa der von Christiane Holm herausgegebene Band "Zimmer" neben wohlbekannten Texten wie Hoffmanns "Des Vetters Eckfenster", Ludwig Tiecks "Des Lebens Überfluß" oder Edgar Allan Poes "Das verräterische Herz" - allein diese drei deuten schon die Bandbreite des Themas an - eine Reihe schöner Trouvaillen wie ein Märchen von Sophie Tieck oder eine sehr lesenswerte, anonym überlieferte Auslegung der Funktion von Tapetentüren.
Auch die Auswahl der Romane erschließt sich nicht sofort, selbst wenn es richtig ist, auf Hans Christian Andersens wenig bekannten Roman "O. T." noch einmal hinzuweisen. Bei Hoffmanns "Meister Floh" dürfte die Überraschung um einiges geringer sein. Am ehesten hätte man August Klingemanns prächtige "Nachtwachen von Bonaventura" in diesem Zusammenhang erwartet, und der Roman bildet, herausgegeben von Harald Neumeyer, mit all seinen losen Fäden tatsächlich einen hervorragenden Abschluss des Sammelwerks.
Vom ersten Band an kommt die Reihe in ausgesprochen schöner Gestalt daher, mit Lesebändchen, Fadenheftung und insgesamt ausgesprochen inspiriert mit Bildmaterial ausgestattet. Die Diskrepanz zur kargen Begleitung der Texte durch Erläuterungen hätte nicht größer sein können. Dass gerade eine Reihe, die sich bemüht, avancierten literarischen Werken über die Distanz von zwei Jahrhunderten hinweg ein neues Publikum zu verschaffen, diesem die kalte Schulter zeigte und zumindest auf rudimentäre Anmerkungen verzichtet, war schwer zu verstehen, außer man unterstellte, dass es die Urheber mit der angestrebten Handlichkeit der Reihe etwas zu ernst genommen hätten.
Nun, zum Abschluss, scheint man im Verlag diese Haltung überdacht zu haben - Klingemanns "Nachtwachen"-Roman sind Anmerkungen beigegeben. Sie erschließen ein verrätseltes Werk wenigstens hinsichtlich der ermittelbaren Realia. Alles andere ist Auslegungssache. So fügen sich die "Nachtwachen" glänzend in die Strömung, in deren Namen das Buch nun ein weiteres Mal erscheint. TILMAN SPRECKELSEN
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