"Die Lady mit dem Leichentuch" entführt die Leserschaft in die düster-mystische Welt des Fin de Siècle, wo sich Elemente des Schauerromans mit kriminalistischen Motiven und psychologischen Untersuchungen verweben. Der Roman erzählt die Geschichte um Malcolm Malcolmson, der in einer abgelegenen, von Aberglauben und tragischen Familiengeheimnissen geprägten Ortschaft auf das Geheimnis einer Erscheinung trifft, die dem titelgebenden Bild der Lady mit dem Leichentuch entspricht. Stoker versteht es meisterhaft, mit atmosphärischer Dichte, raffinierter Symbolik und einer subtilen Spannung zu arbeiten, die an die literarischen Traditionen von Poe und Le Fanu erinnert und gleichzeitig Fragen nach Wissenschaft versus Aberglaube thematisiert. Bram Stoker, bekannt als Schöpfer des weltberühmten "Dracula", schöpft auch in diesem Werk aus seinem reichen Erfahrungsschatz als Theatermanager, Schriftsteller und Zeitgenosse einer Epoche, in der das Übersinnliche hohe Konjunktur hatte. Sein persönliches Interesse an okkulten Phänomenen und viktorianischen Gesellschaftsängsten spiegelt sich in der feinsinnigen Charakterzeichnung und dem philosophischen Unterton dieses Romans wider, der die Grenzen zwischen Leben und Tod, Realität und Halluzination auslotet. Dieses Buch empfiehlt sich allen Liebhabern klassischer Schauerliteratur, die neben atmosphärischem Grusel auch fein ausgearbeitete Charaktere und eine vielschichtige soziale wie psychologische Tiefe zu schätzen wissen. Der Roman ist ein bedeutendes Beispiel für Stokers meisterhaftes Gespür für Dramaturgie und literarischen Umgang mit Angst und Faszination am Übernatürlichen.