Der junge Gottfried Benn reist im Sommer 1913 für knapp drei Wochen auf die Insel Hiddensee, um eine Entscheidung zu treffen. Er braucht eine Pause.
Er ist nicht gern Assistenzarzt in der Pathologie in Berlin. An den Abenden schüttelt er sein Alltags-Ich ab, verkehrt in den Cafés der Bohème, wo er den literarischen Austausch pflegt und seine Geliebte trifft: die exzentrische Else Lasker-Schüler. Aber auch die Liebesbeziehung macht ihn nicht glücklich. Lasker-Schülers Intensität ist ihm zu viel, die Drogenexzesse zehren an ihm. Er sucht ein anderes Leben. Auf Hiddensee hat er Zeit nachzudenken, zu schreiben. Er findet freundliche Aufnahme und Gleichgesinnte. In der wohlmeinenden Gesellschaft isst man Fisch, trinkt und raucht viel, geht spazieren. Im korrekten Anzug sitzt er am Strand und verliebt sich Hals über Kopf in die verwitwete Schauspielerin Edith Osterloh. Die liegt da vollkommen hüllenlos neben seinem Strandkorb. Die Entscheidung zur Trennung von Lasker-Schüler fällt bald. Die Kündigung in der Pathologie soll folgen.
Christof Kessler hat die knappen drei Wochen Benns auf Hiddensee sehr unterhaltsam dargestellt, die Fakten mit viel Fiktion ausgemalt und in die Seele des Schriftstellers geblickt, der Nähe schwer aushalten konnte. Nebenbei skizziert er auch ein Bild Lasker-Schülers und des zeithistorischen Hintergrunds. Im letzten Teil des Romans, einer Art Nachwort, geht er auf den weiteren Lebenslauf des Dichters und seiner ehemaligen Geliebten Lasker-Schüler ein, auch auf die Frage, ob Benn ein Nazi gewesen sei.
Kein literarisches Juwel, aber intelligente Unterhaltung für Freunde der Literaturgeschichte und/oder der Insel Hiddensee.
Kleine Nachbemerkung am Rande: Schade, dass der Verlag zu wenig Wert auf sorgfältige Korrektur gelegt hat.
NDR Buch des Monats Mai 2025