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Besprechung vom 19.03.2025
Willkommen im Debattendeutschland
Eine Bestandsaufnahme samt mittigen "Leitplanken" zur Migrationspolitik, die Fragen offenlässt
Dass der Autor bei Weitem nicht nur Migrationsrechtler und Dauermitglied diverser Kommissionen ist, sondern auch chronischer Politikberater und Mediengast, merkt man schon am ersten Satz dieses Buches: "Wenn ich ein Interview gebe, bin ich neugierig." Welches Bild wählt die Redaktion wohl dieses Mal zur Illustration, so fragt sich Daniel Thym. Es geht aber nicht um sein Porträt, sondern um ein Bild zur Migration - entweder dynamische junge Menschen in Hochglanz oder schlecht rasierte Gangstertypen in dunklen Farben. Solche "Kategorien" will Thym aufbrechen. Wobei sich schon die Frage stellt, ob Deutschland wirklich so "polarisiert" über Migration denkt. Womöglich ist ja den allermeisten klar, dass ausgewählte, qualifizierte Einwanderung nötig ist, nicht aber unkontrollierte Migration.
Sicher aber ist "Eine Anleitung für das Hier und Jetzt" nicht fehl am Platze, zumal Union und SPD gerade in den Koalitionsverhandlungen auch um die Migrationspolitik ringen, das Thema die Menschen laut Umfragen stark beschäftigt und sich hier auch die Parteien heftige Gefechte liefern. Dass nicht jede Ansicht eins zu eins verwirklicht wird, dass man seine Meinung auch ändern kann, ist klar - dafür steht auch Daniel Thym. "Auch ich bin als Autor nicht neutral", schreibt er gleichsam von Kalifornien aus, wo das Buch während eines Forschungssemesters entstand. Nach einer historischen Herleitung - "Einwanderungsland" sei kein Schönwetterbegriff - wendet sich der Autor dem beliebten Argument zu, man könne Einwanderung nicht steuern. Dabei müsse auch die Asylpolitik fragen, "wie Kontrolle und Schutzgewährung" zusammenpassen.
Die behauptete Steuerungsunfähigkeit sei in erster Linie eine "Delegitimierungsstrategie". Tatsächlich könnten die Staaten Einwanderung begrenzen, indem sie die finanziellen, persönlichen und logistischen Hürden erhöhten. "Bliebe die Zahl der Asylanträge unverändert, wenn eine syrische Familie mit einem günstigen Flugticket aus Istanbul oder Beirut direkt nach Deutschland fliegen könnte, ohne viel Geld an Schlepper für eine lebensgefährliche Überfahrt zu zahlen, weil die EU die Visumpflicht abschafft?"
Thym fordert einen Grundkonsens darüber, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, und ein Leitbild, wie es den Zugang sinnvoll regele und den Zusammenhalt stärke. Nicht neu, aber auch nicht überflüssig. Letztlich macht der Autor acht Leitplanken für eine "ausgleichende" Migrationspolitik fest. So fordert er, die europäische Asylreform konsequent zu Ende zu denken. So sollten die Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen nicht nur eine Minderheit erfassen. Was aber, wenn das nicht gelingt oder nicht gewollt ist?
Auch eine Entschlackung der Vorschriften und ein Zurück zum Geist der Genfer Flüchtlingskonvention und die Behebung der "Ursünde" des Schengenraums leuchten ein, sind aber auch bisher gescheitert. Thym fordert eine tägliche Höchstgrenze für Asylanträge an den EU-Außengrenzen, vorrangig für Menschen, die "vorab elektronisch einen Termin vereinbarten". Daneben sollten sich Einreisewillige etwa schon in ihrem Heimatland um eine legale Einreise nach Europa bemühen können. "Alle anderen dürften die Grenzen nicht überqueren." Sie würden, so der Autor, nach einem extrem kurzen Verfahren mit strengen Prüfungsstandards zurückgewiesen, außer wenn eindeutig und unmittelbar Verfolgung droht." Doch hier zeigt sich wieder das ganze, alte Dilemma: Wer im Land ist, der befindet sich eben auch im Verfahrens- und Vollzugsdefizit-Staat.
Und die Integration? Auch hier fällt Thym einiges ein. Er beklagt etwa, dass die Debatte außer Kontrolle gerate, "wenn Opfergruppen beginnen, die jeweiligen Benachteiligungen gegeneinander aufzurechnen: Muslime sind schwulenfeindlich, also darf ich muslimfeindlich sein!" Das führe, so der Autor, "letztlich zum rhetorischen Bürgerkrieg". Mag sein, doch stimmt der Befund? Richtig ist der Appell, sich in unsere Mitmenschen hineinzuversetzen und die Welt einmal mit ihren Augen zu sehen. Mit Recht konstatiert Thym auch, dass die Sensibilität gegenüber Rassismus und Diskriminierung gestiegen sei. Er warnt auch: Wer immer nur betone, wie wichtig Hautfarbe, Religion und Herkunft der eingewanderten Deutschen seien, könne unbeabsichtigt einen "weißen Nationalismus" fördern, "wenn die mehr oder weniger blonden Alteingesessenen plötzlich ihre Gruppenzugehörigkeit betonen". Dann wird es wieder recht allgemein: Für die politische Mitte könne das Fazit nur lauten, dass der Verzicht auf Quoten den Staat und die Gesellschaft nicht von der Aufgabe befreie, konsequent gegen Rassismus, Diskriminierung und Vorurteile vorzugehen. Auch mahnt Thym abermals, man solle sich "konsequent Schwarz-Weiß-Bildern verweigern".
Bei allem Respekt vor der gut geschriebenen Tour d'Horizon: Man merkt dem gefragten Autor auch an, dass er für jeden anschlussfähig bleiben will. Und so fällt auch sein Fazit mittig aus: "Beherzt müssen Staat und Gesellschaft die mittlere Zivilsphäre der Alltagskultur im Bewusstsein stärken, dass deren Tugenden und Eigenschaft sich regional unterscheiden und beständig ändern." Das Bekenntnis zum Einwanderungsland fordere lebhafte Debatten über die Gestaltung der Einreiseregeln und des Deutschlandbildes." Deutschland, einig Debattenland. Das kennt man eigentlich schon aus dem Hier und Jetzt. REINHARD MÜLLER
Daniel Thym: "Migration steuern. Eine Anleitung für das Hier und Jetzt."
C.H.Beck, 236 Seiten
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