Vorlesungen über Juristische Papyruskunde
Der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen im Jahre 332 v. Chr. folgte eine lang anhaltende Immigration aus allen Teilen der griechischen Staatenwelt. Seit Jahrhunderten war ein Teil der Bevölkerung Ägyptens landfremder Herkunft. Jetzt aber trat die Eigentümlichkeit der verschiedenen Nationalitäten in ganz anderem Maße hervor. Seit der griechischen Eroberung Ägyptens prägte namentlich der Gegensatz der einheimischen ägyptischen und der kolonialen griechischen Bevölkerung das öffentliche und private Leben. Die Verschiedenheit der beiden Kulturen ist nirgends deutlicher als in ihren Rechtstraditionen, die noch in römischer und byzantinischer Zeit bis zur arabischen Eroberung Ägyptens um 640 n. Chr. fortlebten. Sie sind in einzigartiger Weise durch eine große Fülle von Papyrusurkunden dokumentiert, die durch das trockene Klima Ägyptens vor dem Verfall bewahrt wurden. Während die demotischen und koptischen Rechtsurkunden in den orientalistischen Disziplinen studiert werden, sind die griechischen eine Domäne vor allem der Rechtshistoriker.
Es ist das Recht dieser griechischen Papyri Ägyptens, das den Gegenstand der »Juristischen Papyruskunde« bildet. Sie ist eine Sparte der antiken Rechtsgeschichte und umfaßt das gesamte Rechtswesen. Hans Julius Wolff, eine der überragenden Persönlichkeiten dieses Fachs, hat in den »Vorlesungen über Juristische Papyruskunde« die wichtigsten Bereiche in einem umfassenden Überblick dargestellt. Diese Vorlesungen, die vor dreißig Jahren am Freiburger rechtshistorischen Institut gehalten wurden, sind noch immer die einzige moderne das materielle Privatrecht einschließende Gesamtdarstellung des Rechts der griechischen Papyri Ägyptens. Die Darstellung ist modern in ihrer entwicklungsgeschichtlichen Auffassung; sie ist es ferner in ihrer radikalen Kritik der romanistischen, nämlich durch Kategorien und Konzepte des römischen Rechts bestimmten Interpretation der griechischen Papyri sowie der exemplarischen Befolgung der methodischen Prämisse, daß die griechischen und ägyptischen Institutionen auf eigenen rechtsdogmatischen Vorstellungen beruhten; und sie ist modern und wirklichkeitsnah durch die dauernde Einbeziehung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen des von den Griechen im damaligen Ägypten gelebten Rechts.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsübersicht: Über Hans Julius Wolff - I. Teil: Grundlagen der Rechtsordnung: 1. Kapitel: Zur Periodisierung der griechischen Papyri - 2. Kapitel: Politische und administrative Institutionen: Ptolemäerzeit - Die römische Zeit - Byzantinische Zeit - 3. Kapitel: Die formalen Grundlagen der Rechtsordnung: Ptolemäerzeit - Prinzipatszeit - Dominatszeit - Zusammenfassung - 4. Kapitel: Rechtspluralismus - 5. Kapitel: Justizwesen und Prozeß: Organisation der Justiz (Ptolemäerzeit, Prinzipatszeit, Dominatszeit) - Prozessuales (Der Dikasterionprozeß, Der Chrematistenprozeß, Die Gerichtsbarkeit des Präfekten, Der Strafprozeß) - 6. Kapitel: Das Publizitätswesen: Die hellenistische Urkunde in Ägypten und die Entwicklung des Notariats - Das Registerwesen - Juristische Bedeutung der Urkunde - II. Teil: Das materielle Recht: 7. Kapitel: Vorbemerkung - 8. Kapitel: Personen: Rechtsfähigkeit - Handlungsfähigkeit. Stellung der Frau - Sklaven und Freigelassene - Die sogenannten Perserepigonen - 9. Kapitel: Die Familie: Vorbemerkung - Die Organisation der Familie - Eltern und Kinder - Die Ehe - Ehegüterrecht - Vormundschaft - 10. Kapitel: Die Sachherrschaft: Vorbemerkung - Die Eigentumsordnung - Der Schutz des Eigentums - Erwerb des Eigentums - Sonstige dingliche Rechte - Sachverbindungen - Gesamtberechtigungen - Speziell zum Liegenschaftsrecht - Sachenrechtliche Wirkungen des Immobiliarpfandrechts - 11. Kapitel: Die Haftungsbeziehungen: Die grundlegenden Prinzipien - Voraussetzungen des Rechtes zur - Inhalt des Rechtes zur - Erlöschen des Rechtes zur - Haftung für Nichterfüllung - Besonderheiten beim Vertragsschluß - Vertragstypen - Romanisierung - Sachregister