Besprechung vom 02.06.2025
Möglichst nah an der Wahrheit
Eine der hässlichsten Phasen der jüngeren britischen Geschichte: Joe Thomas schaut mit "White Riot" auf die Subkultur der Thatcher-Jahre.
Ich glaube fest an den Faschismus", so hatte es David Bowie 1976 in einem Interview mit dem "Playboy" gesagt. Dieses und zwei weitere Zitate von Eric Clapton und Rod Stewart stehen dem neuen Roman von Joe Thomas voran, rassistische Äußerungen von Säulenheiligen des Pop, die dem Rechtsaußen Enoch Powell und seiner ausländerfeindlichen Politik zustimmen. Clapton hatte im gleichen Jahr, offenkundig betrunken, bei einem Konzert in Birmingham gesagt, er denke, "Enoch hat recht, wir sollten sie alle zurückschicken".
Claptons Diktum "Keep England white" bleibt nicht folgenlos. Die Konfrontation zwischen der National Front und den Punks spitzt sich weiter zu, Gewaltbereitschaft liegt über London wie früher der Nebel. Die Skinheads machen Jagd auf Einwanderer, Linke und alle, die für - wie man heute sagen würde - ein diverses Land plädieren. Aus der Anti Nazi League geht 1978 die Plattform "Rock against Racism" hervor. Die Initiative organisiert einen Tag des Widerstands, der in die Geschichte eingehen wird: Am 30. April 1978 marschieren 100.000 Demonstranten vom Trafalgar Square aus Richtung Osten durch das Londoner East End, dem Habitat der rechtsextremen National Front und ihrer Schlägerbanden. Ziel war der Victoria Park in Hackney, wo linke Bands wie The Clash, Steel Pulse, Tom Robinson, Misty in Roots und X-Ray Spex ein Konzert geben - als Statement gegen den Rassismus der weißen Mehrheit.
Dieser Protestmarsch ist auch Ausgangspunkt von Joe Thomas' "White Riot". Der Romantitel ist identisch mit The Clashs erster Single. Zwei Todesfälle stehen im Zentrum, beide haben eine Entsprechung in der Wirklichkeit. Zunächst die Ermordung des bengalischen Einwanderers Altab Ali, im Roman heißt er Shahid Akhtar. Dann springt die Handlung in das Jahr 1983 und zu dem Fall des Schwarzen Colin Roach, der sich angeblich in der Polizeiwache von Stoke Newington erschossen hat.
In beiden Fällen ermittelt Detective Constable Patrick Noble. Er gehört zur Race Crime Initiative der Metropolitan Police, die Undercover-Agenten in die National Front und in die Reihen ihrer Gegner eingeschleust hat. Noble hegt durchaus Sympathie für die Position der Punks, das macht ihn zum Guten in Joe Thomas' Geschichte. Das Böse speist sich aus vielen Quellen, die der Autor in Montagetechnik für sein zeitgeschichtliches Panorama einsetzt, darunter viele Zitate aus der politischen Klasse. Es sind die Jahre, in denen Zuwanderer mit einem Gefühl durchs Leben gehen müssen, das Linton Kwesi Johnson 1980 mit einem Song auf den Punkt gebracht hat: "Inglan Is A Bitch."
Bis heute will die Wunde Thatcher nicht verheilen im Vereinigten Königreich, Joe Thomas ist der Beweis, wie Nachgeborene den Schorf abkratzen. In einem Interview mit dem "Freitag" sagte er, angesprochen auf die Rolle der Eisernen Lady: "Natürlich ist Thatcher die Böse." Er finde es angesichts der Entscheidungen der Premierministerin, die bis in die Gegenwart hineinwirkten, erstaunlich, "wie viele Menschen diese Frau heute verehren und verklären". Das wirkt so, als wolle sich der Autor sein Weltbild nicht verderben lassen, dabei war er, als Thatcher Premierministerin wurde, gerade einmal zwei Jahre jung.
1977 im Londoner Stadtteil Hackney geboren, hat Thomas viele Jahre in Brasilien als Lehrer gearbeitet. Zuletzt ist er mit einer Tetralogie über São Paulo hervorgetreten, deren Schlussstein "Brazilian Psycho" wir an dieser Stelle vorgestellt haben (F.A.Z. vom 6. Mai 2024). Neben James Ellroy und Don Winslow ist das unübersehbare literarische Vorbild für Thomas David Peace, dessen Werk er sich auch in seiner Doktorarbeit gewidmet hat. Der in deutscher Übersetzung leider vergriffene Roman "GB84" beschreibt den Tiefpunkt der Thatcher-Jahre, in denen das Vereinigte Königreich am Rand eines Bürgerkriegs steht.
Wie in seinen vier in Brasilien angesiedelten Romanen hat Joe Thomas "White Riot" eine umfangreiche Bibliographie und viele Fußnoten zu seinen Quellen spendiert, was diesmal leider fehlt, ist ein Personenregister. Es hätte der Sache gutgetan, denn der Autor macht es den Lesern mit seiner multiperspektivischen Erzählweise und dem raschen Wechsel der im Stakkato vorgetragenen Dialoge nicht leicht, einen roten Faden zu finden. Der Eindruck, es mit einer Sozialgeschichte zu tun zu haben, überwiegt - ein erzählendes Sachbuch, das mit Gewalt in die vermeintlich alles verzeihende Auflaufform Kriminalroman gepresst wurde.
Das Projekt geht weiter, die Fortsetzung "Red Menace" ist als zweiter Teil der sogenannten United Kingdom Trilogy im Original bereits Anfang 2024 erschienen. Darin spielt Paul Weller, Gründungsmitglied der Bands The Jam und Style Council, später solo unterwegs, eine wichtige Rolle. 1977 sangen The Jam in "The Modern World": "All my life has been the same / I've learned to live by hate and pain." Das waren die Zeiten, als Popmusik noch gegen Politik demonstrierte. HANNES HINTERMEIER
Joe Thomas: "White Riot". Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Alexander Wagner.
btb Verlag, München 2025.
512 S., br.
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