Ein aufregender Thriller, der uns bis ins Mark trifft: Wenn Menschen dank künstlicher Intelligenz ewig leben können - werden sie es auch wollen?
Wien, 2095. Eine Leiche in der Donau ist für Kommissar Landauer eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch diesmal sind es gleich zwei, und was schlimmer ist: Die beiden toten Frauen gleichen einander bis aufs letzte Haar. Wieso gibt es die Tote zweimal?
Bei seinen Recherchen stößt Landauer auf einen bizarren Hightech-Todeskult: Junge Menschen, die Klone ihrer selbst ermorden, wieder und wieder. Sind diese sogenannten Deather schlichtweg verrückt? Oder hat ihr Wahnsinn Methode? Mit der Zeit verdichten sich die Hinweise, dass die Verstorbenen einem großen Geheimnis auf der Spur waren.
Tom Hillenbrands faszinierender Roman führt von Wien nach London, nach Griechenland und einmal um die Welt. Auf verschiedene Weisen werden darin Menschen überall mit der existenziellsten aller Fragen konfrontiert: der nach dem Tod und dem Leben danach. Kühn und unterhaltsam: Thanatopia ist ein philosophischer, cleverer, hochspannender Thriller über das, was unser Leben ausmacht.
Besprechung vom 04.08.2025
Achtung, Braincrash!
Ich habe einen Klon umgebracht, und es hat mir gefallen: Tom Hillenbrand legt den dritten Teil seiner "Hologrammatica"-Reihe vor - und macht sich Gedanken über Todeserfahrungen.
Der Klub heißt "Schöner Tod", die Künstler, zu deren Musik man tanzt, hören auf Namen wie "Snow Golem" oder "Meteoritni Doschd". Das Publikum trägt Kostüme aus Rabenfedern und Knochen, Fledermäuse flattern um eine Discokugel, halbtransparente Geister schweben durch den Saal, wer in Bluejeans erscheint, gilt als Rebell. Ein Gast lässt den Rest der Walpurgisnacht-Truppe per T-Shirt-Aufdruck wissen: "I killed a clone and I liked it".
Damit bezieht er sich auf einen ganzen Industriezweig, denn Klonerien sind Einrichtungen, die allen Quants neben der Einlagerung von Gefäßen auch Uploads anbieten. Bei Quants wiederum handelt es sich um Leute, die ihr organisches Gehirn durch eine digitale Variante namens Cogit haben ersetzen lassen. Dessen Software läuft in einem e-Cephalon - einem Qube, der sich im Cranium des Quants befindet. Das Wort "Qube" setzt sich zusammen aus "Cube" und "Quantum" und meint nichts anderes als einen leistungsfähigen Rechner, der auf den Grundlagen der Quantenmechanik basiert. Gefäße schließlich sind geklonte Körper, in die man Cogits hochladen kann.
Man kommt schnell vom Hundertsten ins Tausendste, wenn man die von Tom Hillenbrand erdachte Science-Fiction-Krimi-Welt zu erklären versucht. Der erste Teil der Reihe erschien vor sieben Jahren unter dem Titel "Hologrammatica" (F.A.Z. vom 3. April 2018), die Fortsetzung "Qube" folgte 2020, und nun liegt Teil drei vor. "Thanatopia" verlängert konsequent (Wiederholungen inklusive), was in den Vorgängern begonnen wurde. Mit denselben raumgreifenden erzählerischen Mitteln und inhaltlichen Volten. Exuberanz mithin in allen erdenklichen Formen, was Vor- und Nachteile hat.
Unter den eingangs erwähnten Gruftis - im Jahr der Handlung, 2095, nennt man sie Gloomer - findet sich die Subfraktion der Deather: Quants, die, wenn sie in einem Gefäß unterwegs sind, Selbstmord begehen, um ihr Cogit anschließend in ein neues Gefäß zu laden, mit dem sie sich abermals das Leben nehmen, und so fort. Was soll das? Echte Deather, weiß der Erzähler, "wollten den Parzen so nahe wie möglich kommen, ihnen auf den Pelz rücken. Ihr Motto lautete deshalb: 'Propter Parcae'." Sie möchten also, wir übersetzen diese Wichtigtuerei, rausfinden, was sich in Kimmerien abspielt. Das ist ein, wie es im Glossar heißt, "quasi-mythischer Ort", der genau an der "Grenze zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten existieren soll". Insofern nicht unähnlich der Prämisse von Joel Schumachers 1990 erschienenem Film "Flatliners" - nur raunender.
Den ursprünglichen Leib eines Quants, Stammkörper genannt, kann man lediglich vier Wochen lang verlassen. Wer dieses Limit überreizt, dem droht der Braincrash - das Cogit stürzt ab, game over. Könnte man ein Cogit unbegrenzt vom Stammkörper trennen, wäre das Ein-Körper-Problem gelöst und der Weg in die Unsterblichkeit geebnet. Man spricht hier auch vom Descartes-Rätsel und liest dazu solche Ausführungen, die den Thriller vollends unihausarbeitstauglich machen: "René Descartes, französischer Philosoph. Glaubte, Verstand und Körper seien zwei getrennte Angelegenheiten. Dualismus nennt man das." Es gebe da "die denkende Sache und die ausgedehnte Sache, res cogitans und res extensa". Vergleichbare Descartes-Exkurse finden sich übrigens schon im Auftaktband der Reihe.
Sprachlich tut sich Hillenbrand oder, wenn man die höfliche Unterscheidung vorbringen wollte, sein Erzähler respektive Personal schwer: "Wer vermochte schon zu sagen, wie lange ihr noch die Gnade gewährt war, sich all dieser segensreichen Geschenke Vishnus zu erfreuen?" Vermochte hier, vermochte da. Lieblingsformulierungen sind eine schöne Sache, aber rhetorisches Taktgefühl wäre auch nicht übel. Dieses Manko gleicht der Autor durch Freude am überschäumenden Plot aus. Es wird, wie bereits in den Bänden eins und zwei, streckenweise verworren, aber das ist nicht nur nicht schlecht, sondern die inhaltliche Rettung der wackeligen Form.
Neben den Deathern dreht sich die Handlung um den Wiener Kommissar Wenzel Landauer, der klären muss, was es mit einer aus der Donau gefischten Frauenleiche auf sich hat. Der Fall ist nur so lange reine Routine, bis Leiche Nummer zwei auftaucht, die Leiche Nummer eins aufs Haar gleicht. Seminarfrage in diesem Zusammenhang: Wenn man ein Gefäß mit Cogit im Kopf um die Ecke bringt, dem Stammkörper jedoch nichts antut - ist das ein Mord? Falls nein, was dann?
Schließlich gibt es da noch eine nicht uncharmante KI, die als Klimacomputer groß rausgekommen ist, im Jahr 2048 entfloh, eingefangen wurde und 2088, obwohl zerstört geglaubt, gesteigertes Interesse an der Kontrolle über die Menschheit entwickelte. Diese Stränge zusammenzuführen, gelingt Hillenbrand ausgezeichnet, wobei sich der Roman an Krimifans und Science-Fiction-Leser gleichermaßen richtet. Ob Letztere die Nase rümpfen oder applaudieren, ist gewiss auch eine Frage des jeweiligen Lektürehorizonts. KAI SPANKE
Tom Hillenbrand: "Thanatopia". Thriller.
Kiepenheuer & Witsch
Verlag, Köln 2025.
384 S., br.
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