Über die Trauer von Eltern:
Im Gespräch mit der Autorin Silia Wiebe
Die beiden Journalistinnen Silia Wiebe und Silke Baumgarten haben persönliche Berichte zusammengestellt, in denen Eltern, die ein Kind verloren haben, schildern, wie sie zurück ins Leben gefunden haben. Ihre Erfahrungen machen Mut und helfen betroffenen Eltern, ihren eigenen Weg zu finden. Ergänzend erklärt die renommierte Psychologin Verena Kast die typischen Trauerphasen und beschreibt, wie Angehörige und Freunde trauernde Eltern am besten unterstützen können. Im Interview spricht Silia Wiebe darüber, warum dieses Buch jedoch so gar kein Ratgeber sein kann.

Es ist schon mal kein Ratgeber, ganz bewusst nicht, weil man keine Anleitung geben kann, wie sich Eltern verhalten sollen, deren Kind gestorben ist. In diesem absoluten Ausnahmezustand gibt es kein Richtig oder Falsch. Wir wollen betroffene Eltern unterstützen, in dem wir unterschiedliche Wege aufzeigen mit diesen sehr subjektiven Erfahrungsberichten in unserem Buch. Manche Mütter, die uns ihre Gefühle und Erlebnisse anvertrauten, wollten zum Beispiel recht schnell wieder arbeiten gehen. Andere brauchten viele Monate im geschützten Raum ihres Zuhauses. Einem Vater half der Sport, einem anderen die stille Zwiesprache mit seinem gestorbenen Sohn auf dem Friedhof. Eine Mutter fühlte sich von der Musik sehr getröstet. Einer anderen tat der Glaube gut. Vielen Eltern half therapeutische Hilfe. Jeder findet mit der Zeit selbst heraus, was in der Trauer helfen kann.
Jeden Tag sterben in Deutschland etwa zehn Kinder. Trotzdem herrscht eine große Unsicherheit im Umgang mit betroffenen Eltern. Warum ist das so?
Wer noch nie selbst von Trauer betroffen war, kann sich kaum vorstellen, was dieses Gefühl von Verlust, Schmerz und Zurückgelassenwerden mit einem macht und tut sich dann schwer, die richtigen Worte zu finden. Manches, was unbedacht so dahingesagt wird, verletzt Betroffene. Aber fast immer ist es hilfreich, einfach da zu sein, zuzuhören und zu fragen: Was kann ich dir jetzt Gutes tun? Die renommierte Trauerforscherin Prof. Verena Kast beantwortet in unserem Buch viele Fragen rund um Trauer. Sie sagt: "Trauernde fühlen sich hautlos. Sie werden in einen Veränderungsprozess hineingeworfen, in einen Ausnahmezustand, wie eine Schlange, die sich häuten muss. Darum sind sie auch sehr selbstzentriert. Das dürfen sie aber auch sein, schließlich müssen sie sich auf ihr Überleben konzentrieren und sich wandeln."
Was können das für dahingesagte Worte sein, die unbeabsichtigt verletzen?
Jemand sagte zu einer verwaisten Mutter aus unserem Buch nach der Geburt ihres sogenannten Nachfolgewunders, also des Babys, das nach dem Tod ihrer Tochter zur Welt kam: "Endlich, jetzt ist alles wieder gut!" Auch wenn diese Mutter das Glück hatte, noch einmal ein Kind in ihrer Familie willkommen zu heißen, war nicht alles wieder gut geworden. Ihre Trauer um das Geschwisterkind bleibt. Kein Kind ist durch ein anderes ersetzbar.
Kann man in der Trauer auch Freude empfinden?
Ja. Dieselbe Mutter schildert, wie sie mit ihrem Baby durch die Küche tanzt und im nächsten Moment überkommt sie große Traurigkeit, weil ein bestimmtes Lied im Radio gespielt wird. Das Nebeneinander von verschiedenen Gefühlen ist ganz typisch für Trauer.
Man spricht oft von einem Trauerjahr. Geht es verwaisten Eltern danach besser?
"Wenn man sein Kind verloren hat, dann ist ein Jahr gar nichts. Dann braucht man mehr. Denn mit Kindern verbinden wir unsere Zukunft", sagt Verena Kast in unserem Buch. Der erste Todestag ist für viele Eltern noch mal ein Tiefpunkt. Ob sie anschließend wieder bereit sind, mehr Freude zuzulassen und Trost finden in kleinen Dingen wie einem schönen Sommertag, einem Abend auf dem Balkon mit Freunden, einer Reise - auch das ist individuell verschieden. Was ihnen aber überhaupt nicht hilft, ist die ungeduldige Erwartung von Angehörigen nach dem Motto: Jetzt muss es aber mal langsam wieder gut sein! Geduld gehört unbedingt dazu, wenn man Trauernde unterstützen möchte.
