So kann die gerechte Globalisierung gelingen
Gerd Müller kennt als Bundesentwicklungsminister die Welt außerhalb Deutschlands nur zu gut: Auf seinen Reisen wird er konfrontiert mit den Sorgen und Nöten von Ländern, die uns durch die Globalisierung längst deutlich näher gerückt sind, als sie es geografisch vermuten ließen. Doch nicht alle profitieren von dieser neuen Nähe, im Gegenteil: Sie leiden unter den Auswüchsen der Globalisierung. In seinem Buch "Unfair! Für eine gerechte Globalisierung" verharrt Müller nicht nur in einer Beschreibung des Status-quo, sondern fordert, dass endlich etwas unternommen wird - von uns. Dafür müssen wir unbequeme Wahrheiten akzeptieren - und endlich den richtigen Weg einschlagen.

Nur, weil die Debatte weitestgehend weitergezogen ist, heißt es noch lange nicht, alle Probleme seien gelöst. Weltweit sind 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Davon werden 90 Prozent derzeit in Entwicklungsländern aufgenommen. Und das ist nur der Status-quo: Kriege, Hunger und Klimaveränderung führen dazu, dass immer mehr Menschen aus diesen schwierigen Gebieten weg möchten. Hinzu kommt die rasante Bevölkerungsentwicklung.
Inwiefern betrifft uns das nun konkret?
Zur Einordnung ein paar Zahlen: Die afrikanische Bevölkerung wird sich bis 2050 verdoppeln. Heute schon liegt das Durchschnittsalter bei 18 Jahren, das heißt, die Hälfte der Bevölkerung sind Kinder und Jugendliche. Diese jungen Menschen brauchen - und wollen - eine Zukunft, ohne Krieg und Hunger. Entweder müssen wir also die Situation vor Ort verändern oder uns auf riesige Völkerwanderungen einstellen. Übrigens betreffen diese Themen nicht nur die Länder Afrikas, sondern auch etwa Indien und Bangladesch.
Diese Probleme sind aber nicht neu. Und auch ziemlich komplex.
Beides ist korrekt. Aber deshalb den Kopf in den Sand stecken - wer kann das ernsthaft für eine Lösung halten?
Indien und Bangladesch klingen für uns aber sehr weit weg. Warum sollten wir auch diese Länder in den Fokus nehmen, solange das uns nähere Afrika noch nicht stabilisiert ist? Wir leben nicht nur einer globalisierten, sondern auch einer digitalisierten Wert. Bilder von jedem erdenklichen Zipfel der Welt sind heute überall auffindbar, das Fernsehen und Internet haben einen globalen Raum für Bilder und Ideen geschaffen. In Indien weiß man daher z. B. sehr genau, wie das Leben bei uns ist. Daher sind Indien und Bangladesch genauso weit von uns entfernt wie die Elfenbeinküste oder Ägypten - einen Mausklick. Die Menschen und insbesondere die Jugend in diesen Ländern weltweit wissen also wie wir in Deutschland und Europa Leben und haben den Wunsch und das Ziel dies auch zu erreichen.
Sie fordern mit Ihrem Buch eine gerechte Globalisierung. Aber wie soll diese gelingen?
Wir müssen verschiedene Aspekte zusammenbringen, die viel zu oft separat gedacht werden. Es braucht einen dritten Weg zwischen Marktradikalismus und Planwirtschaft: eine ökosoziale Marktwirtschaft mit weltweiten ökologischen und sozialen Mindeststandards für einen globalen Markt. Wenn 10 Prozent der Weltbevölkerung über 90 Prozent des Einkommens und Vermögens verfügen und eine Näherin in Bangladesch für die Arbeit an unserer Kleidung mit einem Hungerlohn abgespeist wird, dann läuft etwas schief.
Bei Globalisierung denkt man meist an ökonomische Aspekte. Warum legen Sie so viel Wert auf Ökologie?
In China wird beispielsweise derzeit jede zweite Woche ein Kohlekraftwerk in Betrieb genommen. Schon heute ist der tägliche Smog dort eine Katastrophe. Aber die Klimafolgen kommen auch zu uns und sollten Indien und der afrikanische Kontinent seinen Energiehunger ebenfalls mit Kohle stillen, so wird es dunkel. Mit neuen Technologien müssen wir zusammen einen anderen Weg beschreiten, um die natürlichen Grundlagen des Planeten zu bewahren. Und wenn der Lebensraum sich verschlechtert, kommt es zu Hunger, Krisen und Kriegen. All dies sind Auslöser für Migration. Wer also nicht ökologische Aspekte mitdenkt, denkt zu kurz.
Und was kann jeder einzelne von uns nun machen, um diese Probleme zu lösen?
Uns dieser Herausforderung stellen! Wir sind die erste Generation, die die Möglichkeiten, das Wissen und die Instrumente hat, die Klimakatastrophe zu verhindern, die Ressourcen des Planeten zu schützen, eine Welt ohne Hunger und ein Leben in Würde für alle zu ermöglichen. Damit es eben nicht mehr "Unfair" auf unserem Planeten zugeht, sondern wir uns selbst zu einer gerechten Globalisierung verhelfen.
