Interview mit Ken Follett zu seinem neuen Roman "Das Fundament der Ewigkeit"


Wie recherchieren Sie?
Was ich für meine Recherchen brauche, finde ich zum größten Teil in Büchern. Und mit jedem Roman entsteht eine Sammlung von Büchern zu dem jeweiligen Thema. Zu meinem neuen Roman habe ich Bücher über die Geschichte dieser Zeit gelesen, außerdem ganz spezielle Werke über das Theater oder das Münzgeld im 16. Jahrhundert. Neben der Möglichkeit, in Büchern diese Welt zu entdecken, ist es für mich aber ganz wichtig, loszuziehen und mir Orte anzuschauen, an denen meine realen Figuren gelebt haben. Als ich bei meiner Recherche herausfand, dass Hatfield Old Palace, der Ort, wo Elisabeth I. im 16. Jahrhundert als junge Frau gelebt hat, noch existiert, wollte ich ihn unbedingt besichtigen. Mir vorzustellen, wie sie damals durch diesen Raum spazierte, wie sie auf das Mauerwerk schaute, sich mit Menschen unterhielt, zu Abend aß, auf dem Virginal spielte, oder wie sie in diesem beeindruckenden Saal das Echo ihrer Stimme hörte, so wie ich heute das Echo meiner Stimme hören kann, das inspiriert mich ungemein und gibt mir Sicherheit beim Niederschreiben meiner Geschichte.

Wie gelingt es Ihnen, Wahrheit und Dichtung so wunderbar miteinander zu verweben?
Ich muss natürlich herausfinden, was tatsächlich in der Vergangenheit passiert ist und wer was getan hat. Zum Beispiel wissen wir, wer den Geheimdienst von Königin Elisabeth geleitet hat. Das war Francis Walsingham, und wir kennen auch die Namen von ein oder zwei seiner Mitarbeiter, aber eben nicht von allen. Ich kann also keine fiktive Person zum Leiter des Geheimdienstes machen, weil diese geschichtlich überliefert ist, aber ich kann eine fiktive Figur zu einem seiner Geheimagenten machen, weil er viele Mitarbeiter hatte. So baue ich dann meine fiktive Person in die wahre Geschichte ein. Und diese Person muss Dinge tun, die im tatsächlichen Leben passiert sind und sich natürlich an alle geschichtlich belegten Gepflogenheiten richten. Und so kann der Leser sicher sein, dass alles, was er über die historische Person liest, der Wahrheit entspricht und alles über die fiktive Person meiner Fantasie entsprungen ist

Wo erlauben Sie sich als Schriftsteller bei Ihren realen Personen poetische Freiheit?
Gute Frage, denn aus der Geschichte wissen wir natürlich nicht genug über eine Person, um so viel über sie sagen zu können, wie wir in einem Roman über sie sagen müssen. Wir kennen also beispielsweise den Herzog von Guise, der eine wichtige Figur in "Das Fundament der Ewigkeit" ist, Herzog Francis. Wir wissen, wie er ausgesehen hat, denn es gibt Porträts von ihm, sein Gesicht war übel vernarbt, und sie nannten ihn auf Französisch "Le Balafré", "Narbengesicht". Das wissen wir also, und deshalb kann ich sein Gesicht beschreiben, aber was wissen wir über seinen Charakter? Wir wissen, dass er eine sehr starke Persönlichkeit war, aber dann muss ich auf der Basis des Wenigen, das wir über ihn wissen, ein menschliches Wesen erschaffen, mit seinen Eigenarten, einer bestimmten Art sich zu kleiden, zu sprechen, mit anderen Menschen zu agieren. Also nehme ich, was uns tatsächlich bekannt ist, und baue darauf auf, bis sich diese Figur rundet, und das ist der Punkt, an dem meine Fantasie zum Einsatz kommt.

Was gibt Ihnen den inneren Antrieb, historische Romane zu schreiben?
Ich lese etwas in einem Geschichtsbuch oder in einer Zeitschrift, oder ich stehe vor einem historischen Gebäude und schaue mich um, und plötzlich denke ich, darüber könnte ich eine Geschichte erzählen. Ein typisches Beispiel ist der Augenblick, in dem ich herausfand, dass Königin Elisabeth I. den ersten Geheimdienst gegründet hat. Das war der Moment, in dem ich dachte, dass ich darüber eine Geschichte schreiben könnte. Einen solchen Moment gab es bei all meinen Büchern. Das ist so, als würde man vor einer Kathedrale stehen und fragen: "Wer hat die gebaut?", und "Wie haben sie die gebaut?", und "Warum haben sie die gebaut?". Wenn ich eine Antwort auf all diese Fragen finde, dann könnte ich darüber eine Geschichte schreiben. Genau so war das bei "Die Säulen der Erde". Ich recherchierte alles, was mit der Errichtung von Kathedralen zu tun hatte, und schrieb darüber dann einen Roman.

Gibt es ein zentrales Thema, das sich durch Ihre Arbeit zieht?

Ich fange an zu glauben, dass es ein Thema gibt, das sich durch all meine historischen Romane zieht: Die Welt, in der wir als Europäer und Nordamerikaner leben, ist eine Welt der Freiheit. Und das ist äußerst ungewöhnlich. Die meisten Länder der Welt leben heute unter einer Gewaltherrschaft, und in der Geschichte waren nahezu alle Länder Gewaltherrschaften. Das Seltsame ist also, wie es zu der Freiheit gekommen ist. Es ist schließlich so, dass ein Mensch, der an der Macht ist, eigentlich alles stehlen kann. Die meisten Staatsoberhäupter tun dies ja auch und regieren das Land zu ihrem persönlichen Nutzen. Und warum sollten sie das auch nicht? Sie haben die Macht, es zu tun. Das muss ungemein verlockend sein. Freiheit und Demokratie, unsere Gesellschaftsform, ist also eine Art Wunder, und ich frage mich, wie das passiert ist. Das ist verblüffend. In meinem Roman "Die Säulen der Erde" steht Prior Philip zwar nicht für Demokratie und eigentlich auch nicht für Freiheit, wohl aber für Gerechtigkeit, im Gegensatz zum adligen William Hamleigh. Und in "Die Tore der Welt" geht es bei dem Konflikt um die Wahrheit, um die wissenschaftliche Wahrheit im Vergleich zum biblischen Aberglauben. Und in "Das Fundament der Ewigkeit" sprechen wir über Religionsfreiheit, die erste Freiheit, für die die Menschen gekämpft haben. Lange bevor irgendjemand an Redefreiheit oder Wahlrecht dachte, wollten sie Religionsfreiheit. Ich interessiere mich in jeder historischen Epoche für die Menschen, die sich für ein zivilisierteres Leben eingesetzt haben, sowie für die Menschen, die sie bekämpft haben. Und für die Wege, durch die von Zeit zu Zeit, wie durch ein Wunder, die Gesellschaft ein bisschen gerechter und ein bisschen freier geworden ist.

In der Vergangenheit ist ein Schriftsteller seinen Lesern nur bei Signierstunden, Lesungen oder auf Buchmessen begegnet. Heute bekommen Sie auf den sozialen Netzwerken unmittelbares und direktes Feedback. Wie gehen Sie damit um?
Mir gefällt das, weil ich gern Feedback bekomme. Ich möchte wissen, was Menschen von meinen Geschichten und von meiner Arbeit halten. Und man bekommt sehr viel Feedback durch die sozialen Netzwerke, mehr als je zuvor. Das Großartige daran ist, dass dieses Feedback von den Lesern selbst kommt. Nicht von den Kritikern, die ein Buch ja nicht nur zum Spaß lesen, sondern weil sie darüber schreiben sollen. Diese Kritiker denken darüber nach - das weiß ich, weil ich selbst Rezensionen geschrieben habe: Wie wird mein erster Absatz lauten? Was werde ich über die Themen des Buches sagen? Was wird mein letzter Absatz sein? Was der Abschluss der Rezension? Und deshalb ist dies nicht gerade eine interessante Reaktion für den Autor. Wenn ein Mensch indes in ein Geschäft gegangen ist und sich das Buch ausgesucht und Geld dafür bezahlt und es gelesen hat und einem dann erzählt, ob es ihm gefallen hat oder nicht, das ist wirklich interessant.
Wie stehen Sie zum berühmten ersten Satz?
Nun ja, der ist ungemein wichtig, und ich habe ein-, zweimal einen guten geschrieben. Ich halte den ersten Satz von "Das Fundament der Ewigkeit" für recht gut, er lautet: "Wir hängten ihn vor der Kathedrale, seit alters die Richtstätte von Kingsbridge". Das ist nicht übel. Dadurch denkt man: "Wer wurde gehängt und warum vor der Kathedrale?" Und diese Worte beziehen sich natürlich auf den ersten Satz von "Die Säulen der Erde", der lautete: "Die kleinen Jungen waren die ersten, die zum Richtplatz kamen", den ich geschrieben habe, weil ich die Leser warnen wollte, dass sie es hier mit einer brutalen Gesellschaft zu tun bekamen, in der kleine Jungen kaum erwarten konnten, auf den Richtplatz zu gehen und dabei zuzusehen, wie jemand starb. Wenn ich kann, schreibe ich also immer gern einen wirklich plastischen ersten Satz, aber das gelingt mir nicht immer.

Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Das Entscheidende bei einem Roman ist, dass sich der Leser emotional mit der Geschichte auseinandersetzt. Das heißt, dem Leser muss wichtig sein, was aus diesen Menschen wird. Wenn die Figuren in der Geschichte traurig sind, muss der Leser Traurigkeit empfinden, und noch besser ist, wenn dem Leser Tränen in die Augen treten. Sind die Figuren in Gefahr, muss der Leser Angst bekommen und möglichst auf der Stuhlkante kauern. Wird in der Geschichte jemandem Schaden zugefügt, will ich, dass der Leser rachsüchtig wird und hofft, dass dieser Kerl dafür, dass er das getan hat, seine wohlverdiente Strafe bekommt. Es geht also um die emotionale Reaktion. Wenn den Leser emotional berührt, was in der Geschichte passiert, wird er weiterlesen. Und das ist es, was wir als Leser lieben. Als Leser lieben wir das Gefühl, uns so in einem Buch zu verlieren, dass wir vergessen, was um uns herum vorgeht. Und wir irgendwie vergessen, dass wir lesen. Wenn das passiert, hat man ein erfolgreiches Buch. Oder richtiger gesagt, wenn das passiert, hat man einen Bestseller.

Vor 30 Jahren haben Sie mit "Die Säulen der Erde" den Grundstein für Ihre Kingsbridge-Romane gelegt. Hätten Sie sich je träumen lassen, dass Kingsbridge auf Dauer eine derart große Rolle in Ihrer Karriere spielen würde?
Ich hatte keine Ahnung, dass Kingsbridge ein derart bedeutsamer Ort in meinem Leben werden würde. Hätte ich das gewusst, hätte ich mir einen besseren Namen dafür ausgedacht. Kingsbridge ist ja irgendwie ein langweiliger Name für die Stadt, und außerdem gibt es mehrere real existierende Orte, die Kingsbridge heißen. Ich hätte mir etwas Originelleres einfallen lassen, wenn ich gewusst hätte, dass ich die Stadt immer und immer wieder benutze. Nein, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Was ich nach Fertigstellung von "Die Säulen der Erde" dachte, war, dass ich etwas geschrieben hatte, was ein bisschen was Besonderes war. Ich dachte, dass es von der Qualität her besser war als alles, was ich zuvor geschrieben hatte. Ich hätte mir aber nicht vorstellen können, dass es eine Fortsetzung geben würde, und erst recht keine ganze Serie von Büchern, die alle in der gleichen Stadt spielen.

Sie sind einer der erfolgreichsten Autoren der Welt geworden. Haben Sie als Schriftsteller noch unerfüllte Wünsche?
Mein größter Wunsch ist, weiterhin meiner Arbeit mit solchem Erfolg tun zu dürfen. Leser weiterhin zufriedenzustellen, wie ich sie bisher zufriedengestellt habe. Das ist es, was ich in meinem Beruf in allererster Linie tun möchte. Natürlich ist es schön zu erleben, dass aus meinen Büchern Fernsehserien und Spielfilme gemacht werden, und es ist schön, Preise zu gewinnen - es freut mich sehr, dass ich mit einigen Preisen ausgezeichnet wurde -, aber vor allem möchte ich weiterhin schreiben, weiterhin diese E-Mails und Tweets bekommen, in denen es heißt, ich habe gerade dieses Buch von Ken Follett gelesen, und das ist toll.

Wenn eine gute Fee Ihnen die Möglichkeit zu einer Tagesreise in die Vergangenheit geben würde, wohin würden Sie reisen?
(Lacht) Also, das ist nun wirklich eine schwierige Frage, denn es gibt so viele Epochen in der Geschichte, die ich gern besuchen würde. Ich möchte übrigens in keiner davon leben. Ich nehme an, ich würde zur Kathedrale von Canterbury zurückreisen, so ungefähr ins Jahr 1173, als die Kathedrale erbaut wurde, und den Tag mit den Steinmetzen verbringen und ihnen bei der Arbeit zusehen. Das wäre meine Tagesreise in die Vergangenheit.


Ken Follett gehört zu den erfolgreichsten Autoren der Welt. Seine 31 Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 160 Millionen Exemplaren erreicht, werden in über 80 Ländern und in 33 Sprachen veröffentlicht. Die deutsche Gesamtauflage seiner Romane beträgt über 37 Millionen Exemplare.
Ken Follett wurde am 5. Juni 1949 in Cardiff, Wales, geboren. Sein Vater war Steuerprüfer. Nach dem Studium der Philosophie in London startete er seine berufliche Laufbahn als Reporter bei der Tageszeitung seiner Heimatstadt, dem South Wales Echo und später bei der London Evening News. Danach arbeitete er für einen kleinen Londoner Verlag, Everest Books, und wurde dort stellvertretender Geschäftsführer. 1978 gelang Ken Follett mit dem Thriller "Die Nadel" der internationale Durchbruch, bis heute eines seiner populärsten Bücher. Berühmt wurde Ken Follett mit "Die Säulen der Erde", seinem ersten historischen Roman, in dem es um den Bau der Kathedrale in der fiktiven Stadt Kingsbridge geht, und der 1989 erschien. Dieses Buch eroberte nahezu in allen Ländern die ersten Plätze auf den Bestsellerlisten und verkaufte sich weltweit über 26 Millionen Mal. 2007 folgte mit "Die Tore der Welt" der zweite Kingsbridge-Roman. Die Verfilmungen beider Megaseller wurden ebenfalls große Erfolge.
Mit seinem jüngsten großen Projekt, der "Jahrhundert-Trilogie", legte Ken Follett die Chronik des 20. Jahrhunderts vor, die Handlung spielt auf drei Kontinenten und erzählt die Geschichte dreier Familien über fünf Generationen hinweg. Diese Trilogie verkaufte sich weltweit mit 19,5 Millionen Exemplaren.
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