Eine Weile dachte ich, dieser Roman könnte zwei ähnliche Männer beschreiben wie Flaubert in "Bouvard und Pecuchet". Weit gefehlt! Während die "Ver-rückten" bei Flaubert im Grunde zwei ausgesprochene Spießer sind, treffen wir mit Langley und Homer auf zwei menschenfreundliche Sonderlinge, die, obwohl Langley ihr riesiges Elternhaus nach und nach in ein höhlenartiges Labyrinth aus Sammelsurium verwandelt (das ist dezent untertrieben; siehe den auf Wikipedia verlinkten Spiegel-Artikel mit Fotos), doch fast bis zu ihrem traurigen Lebensende ausgesprochen weltzugewandt, lebensfroh und menschenfreundlich bleiben.Die Geschichte kann man auf Wikipedia nachlesen. Die Collyer-Brüder gab es wirklich und gelangten schon zu Lebzeiten zu einer gewissen Berühmtheit. Zu verquer war ihr Lebensstil, zumal in der Umgebung des rasant zum Zentrum der Welt aufsteigenden Manhattan, zu befremdlich für die "bürgerliche" Umgebung, deren Misstrauen, ja Hass die beiden häufig weckten.Zwischendurch sei erwähnt: Der Roman ist großartig! Doctorow macht alles richtig! Für mich zeichnen sich sehr gute Romane durch eine Beiläufigkeit im Erzählen aus. Beiläufig wird uns fast ein ganzes Jahrhundert nahegebracht, natürlich immer nur in kleinen Scherben, die aber sind so kennzeichnend, dass wir nach der Lektüre auch etwas mehr über den 1. Weltkrieg wissen, die spanische Grippe, die zig Millionen dahinraffte und unter anderem auch die Eltern von Homer und Langley, über den 2. Weltkrieg - hier ist vielleicht die Szene symptomatisch, in der Homer und Langley nach Pearl Harbour ein amerikanisches Paar aufnehmen, das aus Japan stammt, deswegen den Angriffen des Mob ausgesetzt ist und schließlich in ein Internierungslager verbracht wird -, über die Mafia, die Korruptheit der New Yorker Polizei, Vietnam, die Hippie-Zeit (phasenweise wohnen zahlreiche "Hippies" bei Homer und Langley, die auf eine geradezu verstörende, weil absolut selbstverständliche Weise gastfreundlich sind). Beiläufig sind auch kleine Details, die eine uns ferne Welt erstehen lassen, zum Beispiel die Beschreibung ¿ Langley und Homer veranstalten zeitweise ¿Tanz-Tees¿ für nicht so Begüterte in ihrem Salon -, wie die Nadel des Plattenspielers aus der letzten Rille springt und dann über das Papieretikett in der Mitte der Schallplatte kratzt. Das ist für uns alles sehr weit weg und dann plötzlich so nah, als ob ein Scheinwerfer ins Dunkel der Vergangenheit leuchtet und ein kleines Bild aufscheinen lässt, das uns ein vergangenes Zeitalter nahebringt.Natürlich sind Homer und Langley absolute Sonderlinge. Homer erblindet schon in jungen Jahren und vertreibt sich die Zeit vorrangig am Klavier, man muss sagen: an dem von ihm bevorzugten Klavier, denn Langley, ein Sammler, der von allem, was gebraucht und nicht gebraucht wird, immer gleich mindestens ein Dutzend Exemplare herbeischafft, sorgt auch dafür, dass irgendwann vierzehn Klaviere, Flügel und Pianolas im Haus verteilt sind. Sammeln: Im Speisezimmer steht irgendwann ein Ford T, das ganze Haus ist zunehmend vollgestopft mit Dingen, nach dem Tod der beiden hat man angeblich über 100 Tonnen zum größten Teil unbrauchbare Gegenstände aus dem Haus geschafft. Insbesondere sammelt Langley Zeitungen und kauft jeden Tag alle Ausgaben, deren er habhaft werden kann, denn sein größtes Vorhaben ist, irgendwann die endgültige Zeitung zu erstellen, die in einem einzigen Exemplar die Gesamtheit aller Zeitungen kondensiert (in diesem Prinzip können wir das Prinzip des Romans erkennen). Zum Schluss wird Langley und mit ihm auch Homer die Sammelleidenschaft zum Verhängnis. Der Schluss des Romans: im wahrsten Sinne todtraurig.Homer, der früh Erblindete, erzählt die Geschichte. Der Verlust des Augenlichts trägt dazu bei, dass seine übrigen Sinne extrem ausgebildet sind, so dass er sich fast wie ein Sehender bewegen kann. Er ist auch ein Mensch voller Sinnlichkeit, seine Zuneigung zu Frauen, zumal zu seinen beiden großen Lieben wird eindrücklich beschrieben. Doctorow lässt vor unseren Augen zwei äußerst sanftmütige Gestalten erstehen. Man merkt, dass diese Sonderlinge die wahren Menschenfreunde sind, nicht die ¿Normalen¿, deren ¿Gefühlswelt¿ allzu oft in Hass gegenüber allem ausschlägt , das nicht ihrer ¿Normalität¿ entspricht. Insofern ist der Roman auch ein Lehrstück.Der Roman ist so unendlich viel mehr. Man staunt, wie viel auf 220 Seiten erzählt werden kann. Und so bleibt mir nur ein Wort: Lesen! Ein zweites: Unbedingt!